Architekt plädiert für Erhalt des Wollhauses
Philip Kurz spricht über mögliche Perspektiven für den markanten Gebäudekomplex in Heilbronn. Die Politik sei gefordert, sinnvolle Nutzungskonzepte zu entwickelt, sagt der Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung.

Das Heilbronner Wollhaus ist Teil einer Online-Kampagne für von Abriss und Umgestaltung bedrohte brutalistische Architektur. Rund 1900 Bauten weltweit listet die Webseite www.sosbrutalism.org. Das Wollhaus ist auf der Karte rot markiert – das steht für "akut von Zerstörung" bedroht. Der Abriss wäre ein Fehler, meint Philip Kurz, Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung. Sie hat die Kampagne gemeinsam mit dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt (DAM) ins Leben gerufen.
Als zweites brutalistisches Gebäude in Heilbronn listet die Webseite www.sosbrutalism.org übrigens die St. Johannes Kirche in Frankenbach auf, erbaut 1972 bis 1974. Die Beschreibung: "Wird genutzt, wurde irgendwann weiß angestrichen."
Kaum ein Gebäude in Heilbronn spaltet die Gemüter so sehr wie das Wollhaus. Wie erklären Sie sich das?
Philip Kurz: Der Stellenwert von Gebäuden ist eigentlich unabhängig von ihrer Form. Gebäude leben durch ihre Nutzung, sie werden geliebt, wenn Menschen Freude und Glück darin empfinden. Eine solche Nutzung fehlt dem Wollhaus, nach allem, was ich darüber gehört habe. Der aktuelle Ladenmix scheint nicht besonders attraktiv zu sein. Auch Zeichen des Verfalls sind ein wesentlicher Grund dafür, warum viele Gebäude aus den 1970er-Jahren keinen guten Leumund haben.
Zeichen des Verfalls gibt es genügend, das Wollhaus verkommt seit Jahren.
Kurz: Es ist eigentlich ganz einfach, Leute mögen Gebäude nicht, die runtergekommen sind, in denen es durch die Fenster zieht oder es schmutzig ist. Und sie haben ja Recht damit.
Es gibt auch andere Beispiele.
Kurz: Wenn ein gesellschaftlicher Konsens da ist, dass man ein markantes Gebäude oder Areal nicht abreißen möchte, sondern etwas damit anfangen, können tolle neue Dinge entstehen. Nehmen Sie zum Beispiele das Toni-Areal in Zürich. Dort ist durch gute Konzepte und Instandsetzung aus einem kleinen Quartier, das nicht besonders gemocht wurde, ein toller neuer Stadtbaustein entstanden.
Dort sind Hochschulen in einen ehemaligen Industriekomplex im Stil des Brutalismus eingezogen. Eine Lösung für Heilbronn?
Kurz: Solche Gebäude bringen jedenfalls häufig die Robustheit und Flexibilität mit, die neue Nutzungen möglich machen. Sie sind auch durch die Ruppigkeit der Materialien relativ unempfindlich.
Baulich halten Sie also eine Umnutzung für möglich?
Kurz: Ich kenne das Wollhaus nur aus der Literatur, halte das aber für sehr wahrscheinlich. Der Schlüssel für ein gutes Konzept liegt in meinen Augen darin herauszufinden, ob es irgendetwas in Heilbronn gibt, was die Stadtgesellschaft braucht oder gerne hätte und was man dort ansiedeln könnte. Bei einem Gebäude dieser Größenordnung muss es einen Konsens zwischen Politik und Gesellschaft geben, damit das Wollhaus eine auch ökonomisch tragfähige Nutzung bekommen kann. Da ist politischer Gestaltungswille gefragt.
Der Wollhaus-Komplex gehört mehreren Eigentümern. Die Stadtverwaltung will seine Zukunft nach eigener Aussage dem Markt überlassen.
Kurz: Ein Stadtbaustein dieser Größe ist immer ein politisches Thema und sollte nicht allein den Marktkräften überlassen werden. Vor allem, wenn mehrere Eigentümer im Spiel sind, kann die Politik sich kaum heraushalten.
Dann gibt es noch den Aspekt des Klimaschutzes.
Kurz: Gebäude abzureißen, die 40 oder 50 Jahre alt sind, nur weil sie uns nicht mehr gefallen oder irgendwie schwierig erscheinen, ist eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. In der Menschheitsgeschichte zuvor konnte und wollte man sich sowas nur in seltenen Fällen leisten. Man hat immer Gebäude auch umgenutzt – dafür gibt es den Begriff des Weiterbauens. Es ist meistens eine große Verschwendung, einfach in die Städte zu gehen, abzureißen und dann komplett neu zu bauen, auch aus Klimaschutzgründen. In solch einem Komplex stecken viele Rohstoffe und graue Energie.
Ist das ein klares Plädoyer gegen den Abriss des Wollhauses?
Kurz: Man muss generell sehr verantwortungsvoll hinschauen, ob man nicht Strukturen weiternutzen kann. Ich finde auch nicht, dass jedes Gebäude einen Denkmalschutz-Status braucht, um erhaltenswürdig zu sein. Klar ist für mich, dass Dinge, die über 50 Jahre in unseren Städten gestanden sind, dazugehören und dass man etwas damit anfangen muss. Dieses Bedürfnis, vermeintliche Fehler unserer Eltern und Großeltern auszuradieren, hat immer noch mit der Vorstellung zu tun, dass unsere Städte aussehen sollen wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Das ist ein utopischer Wunsch. Auch wenn kleinteilige Strukturen ihre Reize haben, sind unsere Städte nicht mehr so und können es auch nicht mehr sein.
Zur Person:
Professor Philip Kurz (51) ist Architekt und Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung mit Sitz in Ludwigsburg.