Hausärzte fassungslos über Budgetkürzungen: "Patientenversorgung wird sich dramatisch verschlechtern"
Rückwirkend sollen nicht mehr alle Leistungen von Allgemeinmedizinern voll vergütet werden. Hausärzte aus der Region Heilbronn fürchten drastische Auswirkungen für Patienten. Von einer "Katastrophe" ist die Rede.

Die Hausärzte in der Region sind in Aufruhr. Rückwirkend ab dem 4. Quartal 2023 endet die sogenannte 100-Prozent-Vergütung für ärztliche Leistungen, wie die Kassenärztliche Vereinigung im Land (KVBW) den Ärzten Ende vergangener Woche mitteilte.
Überschreitet ein Arzt das Budget, das ihm aus Mitteln der Krankenkassen zugewiesen ist, weil er mehr Leistungen erbringt oder mehr Patienten behandelt, wird ihm dieses "Mehr" rückwirkend nicht voll, sondern nur zu einem geringen Anteil vergütet, bei der KV ist von 15 Prozent die Rede, die tatsächliche Quote stehe aber noch nicht fest.
Budgetkürzungen: Neckarsulmer Hausarzt fürchtet prophezeit lange Wartezeiten auf Termine
"Das ist ganz schlimm, die Patientenversorgung wird sich dramatisch verschlechtern", sagt der Neckarsulmer Hausarzt Tobias Neuwirth, der eine große Praxis mit mehreren Standorten betreibt. "Jegliche Kosten - Räume, Heizung, Personal - sind in den vergangenen Jahren explodiert und unser Honorar ist so schon nicht üppig." Die Budgetierung mache ihm "richtig Angst", sagt Neuwirth.
Im Land herrscht ein Hausarzt-Mangel, knapp 1000 Stellen seien nicht besetzt, so der Hausärzte-Verband. Durch die Regelung werde der Beruf noch unattraktiver. Für Patienten bedeute das, dass sie künftig längere Wartezeiten für Termine in Kauf nehmen müssen, auch in großen Praxen wie seiner, prophezeit Neuwirth. Neupatienten könnten womöglich nicht mehr aufgenommen werden.
Durch Budgetkürzungen werde der Beruf für junge Ärzte komplett unattraktiv
Die Bad Wimpfener Hausärztin Bettina Scheid-Mosbacher hat einen Brief an Landes-Gesundheitsminister Manfred Lucha geschrieben, sie bittet um Unterstützung: "Die tägliche Anlaufstation der Kranken sind doch wir, die Hausärzt*innen", heißt es darin. "Und wir sollen das jetzt für nahezu keinen Lohn mehr durchführen? Wie sollen wir denn die steigenden Kosten für den Erhalt der Infrastruktur und die Löhne unserer MFAs stemmen?"
Scheid-Mosbacher, die selbst nach einem Nachfolger für ihre Praxis sucht, sagt, der Zeitpunkt sei fatal: "So viele Ärzte sind an der Altersgrenze. Es ist doch völlig uninteressant für junge Kollegen, noch eine Praxis zu übernehmen." Im Brief heißt es: "Das wird die hausärztliche Versorgung der Menschen im Land endgültig in die Katastrophe führen, denn auf diesem Weg verlieren wir auch noch die letzten motivierten Kollegen und Kolleginnen."
Das Entsetzen kommt auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung an
"Wir bekommen völlig entsetzte Anrufe und Mails", bestätigt KV-Sprecher Kai Sonntag. Zehn Jahre habe man in Baden-Württemberg genügend finanziellen Puffer im KV-Topf gehabt, um erbrachte Mehrleistungen voll zu vergüten. Das habe sich durch "erhöhte Inanspruchnahme" während und nach der Pandemie geändert, der Puffer sei weg. Wie hoch die Abschläge für die einzelnen Praxen konkret sein werden, werde derzeit berechnet.
Der Heilbronner Ärztesprecher Martin Uellner sagt, die Meldung sei "völlig überraschend" gekommen. Für ihn bedeute der Schritt womöglich, dass er künftig die Zahl von Hausbesuchen in Pflegeheimen deutlich reduzieren muss. "Mit der Konsequenz, dass freie Pflegeplätze nicht mehr besetzt werden können, weil es keinen Hausarzt für die Bewohner gibt."
Budgetierung für Hausärzte soll bundesweit fallen, nur wann ist unklar
In Baden-Württemberg galt die 100-Prozent-Vergütung für Hausärzte zehn Jahre lang - anders als in anderen Bundesländern. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach will das eigentlich ändern, im Koalitionsvertrag ist das Ende der Budgetierung für Hausärzte im ganzen Bundesgebiet als Vorhaben verankert, allerdings ist es bislang nicht umgesetzt. "Das wäre extrem wichtig, aber es gibt noch nicht einmal einen Gesetzentwurf", sagt Kai Sonntag, Sprecher der KVBW.