Heilbronner Ermittler berichtet: So läuft eine Geld-Automatensprengung ab
Täter-Banden sprengen vermehrt Bankautomaten, um an Geld zu kommen. Was die Ermittler über die Kriminellen wissen – und wie sie ihnen auf die Spur kommen.

In diesem Jahr kam es allein in Baden-Württemberg zu 30 Bankautomaten-Sprengungen. Die Täter gehen sehr professionell vor. In Trainings lernen sie, wie sie mit hochmotorisierten Autos fahren und wie sie einen Sprengsatz anbringen. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) arbeitet bei den Ermittlungen mit Kollegen aus dem europäischen Ausland zusammen, erklärt Andreas Mayer. Der Heilbronner Ermittler ist Abteilungsleiter und für den Bereich Organisierte Kriminalität zuständig.
Was weiß das LKA über die Täter?
Andreas Mayer: In den allermeisten Fällen handelt es sich um Niederländer mit marokkanischer Herkunft, die bereits in der zweiten oder dritten Generation im Großraum Amsterdam und Utrecht leben. Insgesamt haben wir es mit etwa 500 Personen zu tun. Sie kommen aus einem sozial-problematischen Umfeld und suchen Anschluss. Den finden sie bei Geldautomatensprenger-Banden. Die Täter sind zwischen 20 und 35 Jahre alt.
Sind die Täter der Organisierten Kriminalität zuzuordnen?
Mayer: Es gibt eine Szene der Geldautomaten-Sprenger. Bei der Tat gehen sie arbeitsteilig vor. Von daher kann man von einer Organisierten Kriminalität sprechen. Es gibt Täter, Logistiker, Hintermänner und Führungspersonen in der Szene.
Woher wissen die Täter, wie man einen Geldautomaten sprengt?
Mayer: Das wird an Geldautomaten irgendwo in einem Steinbruch geübt. Es gibt Experten für die Herstellung des Sprengstoffes, die Fahrer des Fluchtfahrzeugs üben Hochgeschwindigkeitsfahrten und gefährliche Manöver. Die hochmotorisierten Autos machen es der Polizei fast unmöglich, zu folgen, ohne sich selbst zu gefährden.
Was weiß die Polizei über die Fluchtfahrzeuge?
Mayer: Die Fahrzeuge sind zum Teil gekauft, zum Teil geleast. Oft sind es kleine Mietwagenfirmen, bei denen das Fahrzeug geleast wird. Da stellt sich die Frage: Sind die seriös oder vielleicht Teil des Problems? Bei den gekauften Autos ist bis auf die Sitze oft nichts mehr im Wageninnern. Die Täter haben Benzinkanister dabei, damit sie unterwegs nicht zur Tankstelle fahren müssen. Um Zeit zu sparen, schütten sie das Benzin über eine Kunststoffgießkanne, deren Boden abgeschnitten ist, in den Tank.
Wie viele Täter sind an der Organisation einer Sprengung beteiligt?
Mayer: Vor Ort sind es drei Täter. Ein Fahrer, zwei, die die Automaten aufbrechen, sprengen und das Geld mitnehmen. Im Hintergrund bereiten andere die Tat vor und halten währenddessen Kontakt. Sie sind zuvor tagelang unterwegs und schauen sich Geldautomaten an. Die Täter vor Ort kennen nur die Anschlussstelle, an der sie abfahren müssen. Erst kurz vor dem Ziel wird ihnen die genaue Adresse mitgeteilt. Wir gehen von fünf bis 20 Tätern aus, die pro Tat gemeinschaftlich agieren.
Wie läuft so eine Sprengung ab?
Mayer: In 80 Prozent der Fälle nutzen die Täter zwischen 150 bis 300 Gramm Festsprengstoff. Die Tendenz geht nach oben. Die Täterschaft kann nicht einschätzen, wie die Sprengsätze wirken. Dass Unbeteiligte, zum Beispiel Bewohner des Hauses, gefährdet werden, ist immer gegeben. Oder es läuft zufällig jemand vorbei. In 20 Prozent leiten die Täter übrigens Gas ein. Doch oft reicht das Gas nicht mehr aus, um den Automaten zu öffnen.
Wie oft gelingen die Sprengungen?
Mayer: Wir hatten in diesem Jahr bislang 30 Taten. In 24 Fällen kam es zur Detonation, in sechs Fällen nicht. 19 Mal entwendeten die Täter Bargeld. Das klappt also nicht immer. Manchmal verbrennt das Geld oder wird beschädigt oder der Geldautomat fällt auf die Öffnung. Allein in diesem Jahr liegt die Tatsumme in Baden-Württemberg bei etwa 1,4 Millionen Euro.
Darin sind die Schäden an Gebäuden und Geräten nicht enthalten.
Mayer: Stimmt, der liegt um ein Vielfaches höher. Wir hatten allein an einem Gebäude einen Schaden von 1,5 Millionen Euro. Entwendet wird ein fünf- oder sechsstelliger Betrag. Der Tatanreiz ist hoch. Mit relativ wenig Risiko kommen die Täter an relativ viel Geld. Die Sprengung hat den Banküberfall ersetzt.
Wer kommt für die Schäden auf?
Mayer: Der wird von der Versicherung ersetzt, inklusive der zerstörten Bankautomaten. Den Banken entsteht kein Schaden.
Der Schock in der Bevölkerung sitzt tief, und für die Bank kann das doch keine gute Werbung sein?
Mayer: Wir haben Bewohner, die sind nach so einer Tat regelrecht traumatisiert. Das Sicherheitsgefühl der Menschen leidet erheblich. Wir beraten seit Jahren Banken und Sparkassen zum Thema Geldautomaten-Sicherheit und sprechen unsere Empfehlungen aus. Ob die Empfehlungen umgesetzt werden, liegt in der Entscheidung der Banken und Sparkassen.

Wie reagieren Banken?
Mayer: Die Bereitschaft ist deutlich gestiegen. Sie haben sich bereit erklärt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Landesweit gibt es etwa 6000 Geldautoamten. Wenn die gefährdetsten 15 bis 20 Prozent technisch aufgerüstet werden, wäre viel erreicht. Für Baden-Württemberg gibt es großen Bedarf.
Zur Person:
Andreas Mayer ist Leitender Kriminaldirektor beim Landeskriminalamt. Er war von 2017 bis 2020 stellvertretender Leiter der Kripo Heilbronn, leitete danach interimsweise das Kriminalkommissariat Mannheim. 2022 wechselte er zum LKA. Der 60-Jährige lebt in Heilbronn, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.