Kochendorfer Doppelmordprozess: Für Ehefrau war Angeklagter am Tatabend so wie immer
Einen Tag nach der Vorstellung des psychiatrischen Gutachtens hat die Verteidigung im Bad Friedrichshaller Doppelmordprozess neue Beweisanträge gestellt. Darauf haben die Ehefrau und der Bruder des Angeklagten ausgesagt.
Am Abend des 7. Januar sei ihr Mann nach Hause gekommen. „Er war wie immer. Ruhig und ganz normal“, sagte seine Ehefrau am Mittwochnachmittag vor der ersten Schwurgerichtskammer des Heilbronner Landgerichts. Er habe die Türe aufgeschlossen, sich umgezogen und die Hände gewaschen. Danach habe er sich zu seiner Familie an den Tisch gesetzt und Tee getrunken.
Nicht einmal eine Stunde vorher soll der 53 Jahre alte Seckacher laut Staatsanwaltschaft um 17.43 Uhr zwei seiner Kollegen in der Bad Friedrichshaller Zahnradfabrik Hänel erschossen und einen weiteren schwer verletzt haben. Noch in der selben Nacht stürmte ein Spezialeinsatzkommando der Polizei die Wohnung in Seckach und verhaftete den Beschuldigten.
„Es war auf einmal laut“, erinnerte sich die Ehefrau. Die Familie sei gerade dabei gewesen, ins Bett zu gehen. Schreie von draußen habe sie gehört. „Gehen Sie weg von der Türe. Legen Sie sich auf den Boden“, sollen Beamten gerufen haben. Die Zeugin habe nicht gewusst, was passiert, und habe die Polizei gerufen. Der Beamte vom Notruf habe sie aufgefordert, das zu tun, was man ihr sagt. Auf dem Boden liegend habe sie ihren Mann das letzte Mal gesehen.
Kochendorfer Doppelmordprozess: Von den Waffen hat die Ehefrau des Angeklagten gewusst
Dass ihr Mann Waffen hatte, habe sie gewusst. Gezeigt habe er ihr das Gewehr und die Pistole aber nie. Für den Safe im Keller, in dem die Waffen eingesperrt waren, habe sie keinen Schlüssel gehabt. „Irgendwann werden wir sie brauchen“, habe der Angeklagte ihr gesagt. „Wir müssen uns beschützen.“ Auf die Frage, vor wem, habe er geantwortet: „Das wirst du sehen.“

Wegen eines Reizhustens sei der Beschuldigte B. am Tattag des 7. Januar krankgeschrieben gewesen, sagte die Ehefrau, die während ihrer Aussage immer wieder mit den Tränen kämpfte. Gegen Mittag sei er noch daheim gewesen. Auch zu diesem Zeitpunkt sei er nicht anders gewesen als sonst. „Er saß auf der Couch und hat die Wand angestarrt“, sagte die Zeugin. Aggressiv sei er nicht gewesen.
„Was er vorhatte, wusste ich nicht. Das hat er mir nie erzählt“, sagte die 52-Jährige. Auch wo er gewesen ist, habe er ihr nie erzählt. „Er war immer so verschlossen“, sagte die Ehefrau. Auch über seine Krankheit habe er nie mit ihr reden wollen. Der Angeklagte leidet offenbar spätestens seit 2010 an paranoider Schizophrenie. Deswegen ist B. seit Jahren in ambulanter Behandlung und nimmt Medikamente. Über seine Arztbesuche habe er nie mit ihr gesprochen.
Bruder des Angeklagten bezeichnet mutmaßliche Tat als grausam
Er habe seine Diagnose nie akzeptieren wollen. „Denn dafür hat er sich geschämt“, so die Ehefrau. Wenn er nicht arbeiten musste, habe er auch nicht immer seine Tabletten genommen.
Als „grausam“ bezeichnete der jüngere Bruder des Angeklagte das, was er von der mutmaßlichen Tat seines Bruders gehört und gelesen habe. Das Verhältnis zwischen den beiden sei gut gewesen. Auch wenn sie sich nicht oft gesehen hätten. Von der Krankheit wisse er nicht viel. Auch wann der Angeklagte welche Medikamente in welcher Dosis einnahm, wisse er nicht.
Die Ehefrau und der Bruder des Angeklagten waren am Mittwochnachmittag der kurzfristigen Ladung des Gerichts gefolgt. Die Schwurgerichtskammer entsprach damit den Anträgen der Verteidigung, die nach dem psychiatrischen Gutachten am Tag davor neue Beweisanträge stellte.
Denn der psychiatrische Sachverständige Dr. Matthias Michel war am Dienstagabend zu einem klaren Ergebnis gekommen. Für den Ärztlichen Direktor des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg gibt es keinerlei Hinweise auf eine eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten.
Verteidiger stellen nach psychiatrischem Gutachten neue Beweisanträge
Mit seinem Gutachten hatte Michel die Verteidigung offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. Sie brach am Dienstagabend die Befragung ab. Am Mittwoch stellte sie neue Beweisanträge. Neben den Zeugenaussagen der Ehefrau und des Bruders solle ein weiterer psychiatrischer Gutachter erklären, dass nach dem Absetzen und der Wiederaufnahme der Medikamente starke psychotische Symptome auftreten können.
Am Tattag des 7. Januar habe B. angeblich die Tabletten in höherer Konzentration wieder eingenommen, nachdem er sie vorher abgesetzt habe. Was nach Auffassung der Verteidiger zu einem Rebound-Effekt und damit zu einer stark auftretenden Psychose habe führen können.
Dass es zu so einem Effekt kommen könnte, stellte Michel nicht in Abrede. So ein Phänomen sei aber auch klinisch nachweisbar. Letzteres hatten die Ärzte im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg nach der Verhaftung des Angeklagten nicht festgestellt. Darüber hinaus, so Michel, klinge eine starke Psychose auch nicht „von heute auf morgen wieder ab“.
Die Überlegungen der Verteidiger sind für Michel rein theoretischer Natur. Ihren Antrag zogen sie am Abend wieder zurück.

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