Das Freibad als Spiegel der Gesellschaft am Beispiel von Nordheim
Im Haus der Geschichte in Stuttgart wird eine Ausstellung zur Bedeutung von Bädern vorbereitet. Darin geht es auch um das Freibad in Nordheim, dessen Entstehungsgeschichte typisch für seine Zeit ist.

Das Freibad, es ist ein Ort, an dem Menschen aller Altersgruppen und Schichten zusammentreffen. Heranwachsende verbringen endlose Sommertage hier, bei Kunststücken auf dem Sprungbrett oder dem Teilen von Pommes. Ambitionierte Schwimmer ziehen am Morgen und in den Abendstunden konzentriert ihre Bahnen. Rentner bewegen sich gemächlich in Grüppchen durchs Becken, während sie darüber schwätzen, was es am Mittag zu essen gibt. Das deutsche Freibad ist kommunikativer Treffpunkt, Sportstätte und sommerlicher Rückzugsort.
Doch es sei noch viel mehr, sagt der Historiker Sebastian Dörfler, nämlich ein Ort, an dem sich große gesellschaftliche Entwicklungen spiegelten. So wird im Haus der Geschichte in Stuttgart aktuell eine Ausstellung vorbereitet, die sich unter dem Titel „Freischwimmen. Gemeinsam?!“ der Geschichte und kulturellen Bedeutung dieser Orte widmet. Die zentrale Frage dabei: „Wer darf mit wem schwimmen und wie?“, sagt Dörfler. „In Schwimmbädern können wir im Kleinen etwas über die Gesellschaft im Großen lernen, nämlich wie gut halten wir es miteinander aus?“

Das Schwimmbad als demokratischer Ort
Schwimmbäder sind vordergründig demokratische Orte. Die knappe Kleidung ist gleichmacherisches Element, Unterschiede von Wohlstand und Status verschwinden. Gleichzeitig seien Schwimmbäder in der Geschichte immer wieder zu Orten der Ausgrenzung geworden, sagt Dörfler und erzählt: von den mondänen Bädern in Baden-Baden für Adelige und reiche Touristen im 19. Jahrhundert – und der Badeanstalt für Arme, die an den Stadtrand verbannt wurde. Von den Licht-Luft-Bädern der 1920er-Jahre, die schon ein Vorgriff auf die Körperkultbewegung der Nationalsozialisten waren.
Von der Ausgrenzung, die Juden in dieser Zeit erlebten. Bäder wie das städtische Freibad in Tübingen waren „für Nichtarier verboten“, jüdische Gäste seien von den Schlägertrupps der SA „brutal vertrieben“ worden, männliche Badegäste hätten sich teilweise „einer Untersuchung ihres Geschlechtsteils unterziehen müssen, um zu sehen, ob sie beschnitten sind“.
Manche Gruppen werden ausgestoßen vom Freibadbesuch
Während des Krieges wurden dann bestimmte Gruppen von Zwangsarbeitern zu Ausgestoßenen, erzählt Dörfler. Laut der rassischen Hierarchie der Nazis sei der Freibadbesuch für Ostarbeiter tabu gewesen, „aber ihnen war klar, dass sie zum Beispiel Franzosen, Belgier und Italiener nicht pauschal ausschließen können“. Deshalb sei die Aufsicht verstärkt und nicht deutsche Badegäste „beim geringsten Fehlverhalten rausgeworfen worden“. Dahinter sei vor allem die Nazi-Erzählung des „Ausländers, der die deutsche Frau bedroht“ gestanden, sagt er. Dörfler sieht eine klare Verbindungslinie zu den Narrativen der Ultrarechten von heute. So hatte die rechtsextreme Identitäre Bewegung im vergangenen Sommer im Stuttgarter Inselbad mit ähnlichen Thesen gegen Migranten gehetzt und „Remigration“ gefordert.

Das Nordheimer Freibad ist ein typisches Projekt der Nazi-Zeit
Intensiv hat sich der Historiker mit dem Freibad in Nordheim beschäftigt, es sei in vieler Hinsicht typisch für seine Zeit, sagt er. Die Nordheimer hätten bis in die 1920er Jahre im Neckar gebadet, „dann kam die Kanalisierung und der Altarm wurde zur Pfütze“. Ab den 1930er Jahren sei der Wunsch aus der Bevölkerung nach einem Freibad immer lauter geworden, aber der Krieg habe seine Schatten vorausgeworfen und es sei nicht möglich gewesen, Arbeiter vom Bau des Westwalls abzuziehen. Also habe man 450 arbeitsfähige Männer aus der Gemeinde dafür eingeteilt, nach der Feldarbeit die Grube auszuschaufeln, die Frauen hätten das Becken später angestrichen. Ganz freiwillig war der Arbeitseinsatz nicht, es existierten noch „Drohbriefe“ des Ortsbürgermeisters an zögerliche Nordheimer. So war am 20. April 1939, dem Geburtstag des „Führers“ Adolf Hitler, Spatenstich für das Nordheimer Freibad. Fertig war es Ende August, schon wenige Tage später wurden viele Männer aus der Gemeinde eingezogen, der Zweite Weltkrieg begann mit dem Überfall auf Polen am 1. September.

Der Bau des eigenen Schwimmbads „durch die Volksgemeinschaft“ sei ein Projekt ganz nach den Vorstellungen der Nazis gewesen, die Propaganda dieser Zeit sei voll von der Aufforderung gewesen, Schwimmbäder zu bauen, sagt er. Die Nazis hätten es verstanden, „viel Tam-Tam“ um solche Projekte zu machen, gleichzeitig sei der Bau von Freibädern die einzige Option gewesen, für Hallenbäder war nicht genügend Geld da.
Konflikte wiederholen sich
Die Konflikte, die heute in Freibädern ausgetragen werden, drehten sich wieder darum, wer zu welchen Bedingungen dort sein dürfe, sagt er: Am einen Ende wird darüber diskutiert, ob das Schwimmen im Burkini zulässig sein soll, am anderen Ende geht es um das Schwimmen „oben ohne“ für Frauen, eine Forderung der FDP.

In Kehl an der französischen Grenze und in Berlin ist es mehrfach zu Randale gekommen, das hat dazu geführt, dass Berliner Bäder Sicherheitsdienste einsetzen und der Zutritt nur noch nach Ausweiskontrolle möglich ist. Themen, die nahezu alle Freibäder beschäftigen, sind der Personalmangel und die Kosten für Betrieb und Sanierung. So hätten sich vielerorts Vereine zur Unterstützung der örtlichen Bäder gegründet, andere Einrichtungen hätten unter großen Protesten ganz geschlossen, etwa das Spaßbad Aquatoll in Neckarsulm.

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