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Spektakuläre Funde
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2400 Jahre alte Kinderknochen in Leingarten entdeckt – Grabungen im Kappmannsgrund

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Archäologen dokumentieren neue Funde im Leingartener Baugebiet Kappmannsgrund, darunter Keramik, ein Kinderskelett und Strukturen möglicher Häuser.

Feingefühl ist gefragt: Um die menschlichen Knochen aus der Erde zu bergen, arbeitet das Ausgrabungsteam vorsichtig mit dem Pinsel.
Feingefühl ist gefragt: Um die menschlichen Knochen aus der Erde zu bergen, arbeitet das Ausgrabungsteam vorsichtig mit dem Pinsel.  Foto: Berger, Mario

Wenn fünf Archäologen lange Zeit in der prallen Sonne vor einem Erdloch stehen, angeregt diskutieren und dokumentieren, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass etwas Interessantes ans Tageslicht gekommen ist. „Wir haben hier tatsächlich menschliche Kinderknochen gefunden“, sagt Felicitas Schmitt, Fachreferentin vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.

Archäologen entdecken 2400 Jahre altes Kinderskelett im Kappmannsgrund Leingarten

Sie und ihr Kollege Benjamin Nix waren am vergangenen Mittwoch ein letztes Mal auf dem neu geplanten Baugebiet Kappmannsgrund 5 in Leingarten, unterhalb der Feuerwehrwache, um die archäologischen Arbeiten zu begutachten. Bis zum 4. Juli sollen diese andauern – es sei denn, ein außergewöhnlicher Fund erfordert eine Verlängerung.


Seit rund zwei Monaten wird dort geforscht und gegraben – mit vielversprechenden Ergebnissen. „Leingarten, gerade der Kappmannsgrund, ist eine archäologische Goldgrube“, sagt Przemyslaw Sikora, Geschäftsführer der beauftragten Ausgrabungsfirma ArcheoBW. Man finde hier alles – von der Steinzeit über die Kelten und Römer, bis ins Mittelalter.

„Kein Wunder“, meint Felicitas Schmitt. „Die Lage ist günstig: Es gibt Flüsse in der Nähe, und der Boden ist fruchtbar.“ Bereits in den 1970er-Jahren entdeckte Heimatforscher Kuno Krieger Werkzeuge aus der Zeit vor Christus im Kappmannsgrund. 2009 folgte eine großflächige Ausgrabung vor dem Bau des Wohngebiets Kappmannsgrund. Dabei wurden Funde aus der Späthallstatt- und Frühlatènezeit gemacht, also aus dem 6. bis 4. Jahrhundert vor Christus. Der Kappmannsgrund gilt daher längst als Kulturdenkmal.

Textilarbeiten aus der Zeit vor Christus: Funde belegen frühes Handwerk in Leingarten

Auch in dieser Grabungskampagne wurden Funde aus jener Zeit entdeckt. Grabungsleiterin Rebecca Bunge und ihr vierköpfiges Team haben alle Objekte sorgfältig verpackt und präsentieren sie stolz Felicitas Schmitt. Ein großes Bodenfragment eines Keramikgefäßes – „sehr besonders“, so Bunge. Oder ein Webgewicht und eine Spinnwirtel (ca. 400 v. Chr.): „Ein Beweis dafür, dass hier Textilarbeiten stattfanden.“ Anhand der guten Erhaltung, der Form und der Verzierungen konnte Bunge die Stücke zeitlich präzise einordnen. Weitere Funde wie Stücke von Hüttenlehm mit Abdrücken des Flechtwerks deuten auf damalige Hausbauten hin. All das wurde in sogenannten Abfallgruben entdeckt.

„Damals hat man Gruben zur Lagerung von Vorräten und später zur Entsorgung genutzt“, erklärt Felicitas Schmitt. „Für uns sind diese Gruben leicht zu erkennen.“ Zumindest für Archäologen mit geschultem Auge. Ein Bagger zieht drei Meter breite und etwa 20 bis 50 Zentimeter tiefe Zugschnitte über die Fläche. Anhand der Farbunterschiede und der Bodenstruktur erkennt man, ob sich darunter etwas befindet: Vorrats- oder Abfallgruben, ehemalige Hausstandorte, Gräber – oder lediglich Tiergänge und alte Baumwurzeln oder -würfe.

2400 Jahre alte Knochen: Totes Kind wurde in Abfallgrube „beerdigt“

Dass in diesen Gruben früher nahezu alles entsorgt wurde, zeigt ein neuer Fund des ArcheoBW-Teams um Grabungsleiterin Bunge: ein Kinderskelett, vermutlich circa 2.400 Jahre alt. Die Archäologen schließen aus der verstreuten Lage der Knochen, dass das tote Kind damals in die Grube geworfen wurde. „Das ist keine reguläre Bestattung – für das damalige Süddeutschland aber typisch. Dort waren Siedlungsbestattungen üblich“, so Schmitt. Alle hören aufmerksam zu und dokumentieren für die spätere Auswertung. Eine Anthropologin soll hinzugezogen werden, um die Knochen näher zu untersuchen.

„Im Jahr 2020 startete das Planverfahren für den Bauabschnitt Kappmannsgrund 5“, berichtet Felix Hellmich, stellvertretender Bauamtsleiter der Stadt Leingarten. „Das Regierungspräsidium wird in die Pläne einbezogen, und bei Verdacht auf archäologische Funde erfolgen Ausgrabungen vor allen anderen Maßnahmen“, so Hellmich. Für ihn ist das immer auch eine Zeit des Abwartens. „Wird etwas besonders Bedeutendes gefunden, kann sich der Baubeginn um Monate oder Jahre verzögern.“ Bisher ist das nicht der Fall. Die Arbeiten enden wie geplant am 4. Juli.

Einen Erdhügel weiter wartet das nächste Highlight: Hinweise auf ein sogenanntes Grubenhaus – eine Vertiefung im Boden, über die früher ein einfaches Dach gespannt wurde. Dort wurden dann Textilarbeiten durchgeführt. Es könnte allerdings auch kein Grubenhaus sein. Die Archäologen rätseln. „So tief habe ich das lange nicht gesehen“, meint Felicitas Schmitt. „Mir fehlen die Einlassungen für die Holzpfähle“, ergänzt Przemyslaw Sikora. „Es könnte auch nur eine Grube zur Lehmentnahme gewesen sein.“ Schließlich wird beschlossen, die Stelle intensiver zu untersuchen. Eine detailliertere Vorgehensweise soll hier Klarheit bringen.

Archäologische Ausgrabungen in Leingarten: Funde kommen nach Rastatt

Auffällig: Es häuften sich Funde auf der nördlichen Erhebung der Ausgrabungsfläche – anders als bei den Grabungen 2014 im Tal, wo ganze Grundrisse von Häusern entdeckt wurden. Diese fehlen dem Team bei den aktuellen Grabungen etwas. Vermutlich hat die dort lange betriebene Landwirtschaft Spuren wie Pfostengruben verwischt. Doch Schmitt ordnet ein: „Es gibt keine Abfallgruben ohne Menschen.“ Sie blickt neugierig nach Westen – zum zweiten Bauabschnitt des Kappmannsgrund 5. „Dort gibt es sicher noch einiges zu entdecken.“ Wann dort mit den Grabungen begonnen wird, steht noch nicht fest.

Nach Abschluss der Arbeiten wird die Fläche wieder verfüllt. „Eine kontrollierte, aber dokumentierte Zerstörung“, sagt Schmitt und lacht. „Wir hinterlassen das Baugebiet archäologiefrei.“

Die Funde samt Grabungsdokumentation werden anschließend an das Landesamt für Denkmalpflege übergeben. Dort erfolgt ihre wissenschaftliche Aufbereitung, bevor sie ins Fundarchiv nach Rastatt kommen – ein großes Lager. Also wie in den Indiana-Jones-Filmen? „Ungefähr“, antwortet die Archäologengruppe lachend. „Fast wie bei Indiana Jones.“

Dass die Funde nach Rastatt kommen, gefällt allerdings nicht jedem. Zum Beispiel den Verantwortlichen des Heimatmuseums Altes Rathaus.

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