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TV-Film erinnert an Kiesewetter-Mord: Wie sehenswert ist „Die Nichte des Polizisten“?

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In Anlehnung an den Kiesewetter-Mord 2007 in Heilbronn erzählt der Polizeithriller von einer jungen Beamtin, die zwischen die Fronten gerät von Organisierter Kriminalität und extremen Rechten. Wobei das Ende eine Brücke in eine ungute Gegenwart schlägt.


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Heilbronn im April 2007: Gemächlich rollt ein Polizeiauto ins Bild und parkt an einem roten Trafohäuschen. Die beiden Beamten lassen die Scheibe herunter, machen Pause, wechseln ein paar Worte miteinander. Im Hintergrund ragt ein Riesenrad in die Höhe, irgendwo wird gehämmert. Ein Radfahrer und ein schwarzer Transporter fahren vorbei. Die junge Polizistin bekommt eine SMS, ihr Kollege reckt neugierig den Kopf. Da nähern sich zwei vermummte Gestalten von hinten dem Wagen, zielen ins Innere und drücken ab. Schnitt.

Dass diese Geschichte nicht gut ausgeht, das nimmt der Anfang von „Die Nichte des Polizisten“ also gleich vorweg. Und wenn der sehenswerte Spielfilm, der am Mittwochabend ab 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt wird sowie schon in der ARD-Mediathek verfügbar ist, nach knapp neunzig Minuten die Tat ein zweites Mal zeigt, lassen sich nicht nur neue Details entdecken, weil die Perspektive hier und da eine andere ist. Auch hat der Zuschauer dann nähere Bekanntschaft gemacht mit der von Magdalena Laubisch gespielten jungen Polizistin, der die Kamera zuvor nicht von der Seite gewichen ist.

TV-Film mit Anlehnung an Kiesewetter-Mord: Packende Inszenierung

Als „fiktional, aber nicht nur“ stellt sich diese TV-Produktion in der Titelsequenz selbst vor. Womit die Macher ein wenig verdruckst andeuten, woran sich die Handlung anlehnt: den brisanten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter vor 18 Jahren auf der Theresienwiese. Dieser wird zwar inzwischen dem rechtsextremen Terrornetzwerk NSU zugerechnet, nach wie vor sind aber Fragen offen. Leerstellen, in die „Die Nichte des Polizisten“ hineinerzählt.


Von Regisseur Dustin Loose packend inszeniert, schildert der vergangenen Herbst in Wien und Umgebung gedrehte Film die letzten Wochen im Leben von Rebecca Henselmann. Als Anwärterin einer baden-württembergischen Polizei-Spezialeinheit wird die 23-Jährige recht bald für verdeckte Einsätze gegen den Drogen- und Waffenhandel herangezogen. Und gerät so zwischen die Fronten von Organisierter Kriminalität und extremen Rechten.

Nachdem Rebecca erkannt wird, wird die Situation brenzlig, weil die Verbindungen der Neonazis sowohl in ihre Einheit hineinreichen als auch in das kleine thüringische Dorf, aus dem sie stammt. Und in das sie fährt, wenn sie ihren Onkel – Thorsten Merten als Polizist Werner Barth – besucht, der früher für den Staatsschutz schon mit der rechten Szene zu tun hatte.

Zum Regisseur

Dustin Loose, geboren 1986 in Bonn, studierte von 2007 bis 2014 Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Für seine Abschlussarbeit, den Kurzfilm „Erledigung einer Sache“, erhielt er mehrere Preise. Loose führte unter anderem Regie beim „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Die von ihm inszenierte Serie „Die Affäre Cum-Ex“ hatte2025 Weltpremiere auf der Berlinale.

TV-Film zum Heilbronner Kiesewetter-Mord: „Die Nichte des Polizisten“ legt Augenmerkt auf Strukturen

Kein Krimi und schon gar kein True-Crime-Format will „Die Nichte des Polizisten“ sein, sondern ein Polizeithriller. Als solcher legt er ein besonderes Augenmerk auf den polizeilichen Apparat, die Strukturen und Dynamiken, in denen sich die Figuren bewegen.

Harte Ausbildung: Schauspielerin Magdalena Laubisch als junge Polizistin Rebecca Henselmann.
Harte Ausbildung: Schauspielerin Magdalena Laubisch als junge Polizistin Rebecca Henselmann.  Foto: SWR, Leonin Studios

Mit Rolf Basedow hat ein mehrfach ausgezeichneter, Genre-prägender Autor am Drehbuch mitgeschrieben. Gezeichnet wird eine eingeschworene, stark männlich geprägte Gemeinschaft, die einem scharfen Drill unterzogen wird, ausgelassen zusammen feiern kann und auch Selbstjustiz verübt, falls einem aus der Gruppe etwas zustößt. Wer da nicht mitmachen will, bekommt deutlich die Konsequenzen zu spüren.

Hauptdarstellerin Magdalena Laubisch verleiht ihrer Figur Glaubwürdigkeit

„Ich will weiterkommen“, beweist die toughe Rebecca Henselmann Ehrgeiz aber auch Haltung. Nachwuchsschauspielerin Magdalena Laubisch verleiht dieser Figur Glaubwürdigkeit und Tiefe. Mit vollem Körpereinsatz absolviert sie schweißtreibende Trainingseinheiten in der Böblinger Kaserne, zögerlich legt sie ihren Panzer ab und lässt sich auf eine Liaison ein mit Kollege Christoph Laurin, gespielt von Max von der Groeben, zerbrechlich stimmt sie einsam am Klavier Nenas „Wunder gescheh’n“ an. Während die Regie eine immer beklemmendere Atmosphäre erzeugt.

„Ohne das Geld vom Verfassungsschutz wären wir doch nicht so groß geworden“, sagt ein führender Nazi zu Rebeccas Onkel – und diesem dämmert: „Wir haben zu lange zugeschaut.“ Warum die junge Polizistin sterben muss? Der Film liefert keine eindeutig Antwort, provoziert aber eine mögliche Erklärung – und schlägt am Ende über den Soundtrack eine Brücke in eine ungute Gegenwart.

Doku und Diskussion

Unter dem Titel „Warum starb Michèle Kiesewetter?“ beleuchtet zudem eine SWR-Doku den Fall neu. Die gemeinsame Preview und Diskussionsveranstaltung von SWR und Heilbronner Stimme Mittwochabend im Redblue ist ausgebucht. Weitere Berichterstattung folgt.

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