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Historiker Thomas Schnabel: "Ohne die A8 gäbe es Baden-Württemberg nicht"

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Mehr als 30 Jahre lang hat Thomas Schnabel das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart geleitet. Anlässlich des 70. Landesjubiläums haben wir uns mit dem Heilbronner Historiker über den Südweststaat unterhalten.

 Foto: Marco Gato Guerreiro/stock.adobe.com

Herr Schnabel, als wir das Gespräch vereinbarten, haben Sie sofort angemerkt, dass einiges an historischer Kenntnis zu diesem Thema verloren gegangen zu sein scheint. Woran machen Sie das fest?

Thomas Schnabel: Ich habe mir zum Beispiel am Karfreitag die SWR-Doku "Szenen einer Ehe" angeschaut. Vielleicht muss die ja allgemeiner sein, aber dass wesentliche Faktoren, die zur Gründung des Südweststaats geführt haben - nämlich die Entscheidungen von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht - nicht mal angesprochen wurden, hat mich irritiert. Das mache ich aber nicht nur an diesem Filmbeitrag fest. An anderer Stelle habe ich auch schon gelesen, dass die Volksabstimmung 1952 gewesen sei, die war aber 1951. Gut, da kann man sagen: Auf ein Jahr kommt es nicht an.


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Werden die Zusammenhänge zu sehr vereinfacht?

Schnabel: Ja. Anderes Beispiel: Auch die komplexen, rechtlichen Hintergründe, warum das Bundesverfassungsgericht 1956 eine zweite Badenabstimmung angeordnet hat, werden oft verkürzt wiedergegeben. Sodass es bis heute mitunter heißt, dies sei deswegen geschehen, weil der Wille des badischen Volkes ursprünglich übergangen worden sei. Nur weil sie immer wieder hervorgekramt wird, wird diese olle Kamelle nicht glaubwürdiger.

 

Wie ausgeprägt das regionale Bewusstsein noch ist, konnte man unlängst sehen, als der Streit zwischen Baden und Württemberg neu entflammte, weil bei einer Veranstaltung zum 70. Landesgeburtstag nur württembergische Organisationen eingeladen wurden.

Schnabel: So wie das offenbar abgelaufen ist, kann man dazu nur sagen: Das war ungeschickt. Die Identitäten im Land sind bis heute aber nicht primär badisch oder württembergisch, sondern viel kleinteiliger. Fahren Sie mal nach Oberschwaben oder Hohenlohe und sagen Sie den Menschen dort, sie seien Württemberger. Und die Kurpfälzer sind mit der Titulierung Badener auch nicht immer einverstanden.

 

Sind die Badener in dieser 70 Jahre währenden Beziehung die stolzeren Partner? Die haben immerhin ihr eigenes Lied.

Für Historiker Thomas Schnabel ein symbolträchtiger Ort, wenn es um die Geschichte Baden-Württembergs geht: die Autobahn A8.
Für Historiker Thomas Schnabel ein symbolträchtiger Ort, wenn es um die Geschichte Baden-Württembergs geht: die Autobahn A8.  Foto: Franziska Kraufmann

Schnabel: Ha! Das ist die nächste schöne Geschichte. Das Badener-Lied ist ein sächsischer Militärmarsch, der in keinem großherzoglichen Gesangbuch auftaucht. Das ist nichts genuin Badisches. Das Lied hat erst nach 1945 vor allem in den Fußballstadien Einzug gehalten. Ich glaube, den Stolz gibt es hier genauso. Die Württemberger haben ein großes Selbstbewusstsein, die hatten auch kein Problem damit, im Südweststaat aufzugehen.

 

Und die Badener haben einen Minderwertigkeitskomplex?

Schnabel: Ein bisschen schon, ja. Das ging bereits beim Wahlkampf "52 los. Da gibt es ein sehr beeindruckendes Plakat mit einem dicken Württemberger, bei dem stehen 60 Prozent, der eine arme, kleine Badenerin, bei der 40 Prozent stehen, innigst umarmt und dabei fast erdrückt. Nach dem Motto: Die Württemberger mit ihrer größeren Einwohnerzahl und stärkeren ökonomischen Potenz machen die Badener platt - was Quatsch ist. Hinter diesem Jammern stehen einfach ganz harte kommerzielle Interessen.


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Inwiefern?

Schnabel: Man will mehr Geld, mehr Einrichtungen et cetera. Das hat am Anfang sicherlich positive Folgen gehabt. In den 50er und 60er Jahren ist mehr Geld nach Baden geflossen als Baden erwirtschaftet hat. Für heute kann man das wohl nicht mehr berechnen, weil man das seit der Verwaltungsgliederung "72 nicht mehr nach den alten Ländern aufdröseln kann. Ich glaube, diese historischen territorialen Einheiten sind wichtig, um in der Landeshauptstadt aufzufallen, seine Ziele durchzusetzen. Man kann bis heute hier im Land die Menschen damit sehr gut mobilisieren. Also: Wir Hohenloher, wir Kurpfälzer oder wir Oberschwaben gegen Stuttgart.

 

Gibt es einen Ort, der, was die Geschichte Baden-Württembergs betrifft, besonders symbolträchtig ist?

Schnabel: Die Autobahn A8. Ohne die gäbe es das Land nicht. Die Amerikaner waren die ersten, die die deutschen Autobahnen nach 1945 wirklich genutzt haben, weil die schon durchgehend motorisiert waren. Und die wollten eine durchgehende Autobahnverbindung in ihrer Besatzungszone von Frankfurt über Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg nach München. Das hat faktisch zu einer Autobahngrenze und einer absurden Teilung geführt. Alle Landkreise, durch die die A8 führt, waren amerikanisch, alle südlich davon gelegenen französisch. Keiner im Südwesten wollte, dass das so bleibt, jeder wollte eine Veränderung, auch Leo Wohleb, der badische Staatspräsident. Aber darüber, was am Ende dabei herauskommen sollte, wurde gestritten.


 Zur Person

Thomas Schnabel, geboren 1952 in Heilbronn, studierte Geschichte, Deutsch und Politik in Freiburg und promovierte mit einer Arbeit über Württemberg zwischen Weimar und Bonn. Bis zu seiner Pensionierung 2018 leitete er das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, das er 2002 nach mehrjähriger Vorbereitungszeit auch eröffnet hatte. Als Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg veranstaltet Schnabel, der sich selbst nicht als Württemberger, sondern Baden-Württemberger fühlt, derzeit noch wissenschaftliche Übungen.

 
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