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Hemmungsloser Sadist und Verführer: Shakespeares Richard III. bei den Salzburger Festspielen

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"Richard the Kid & the King" in der Regie und Fassung von Karin Henkel zeichnet Shakespeares blutigen Antihelden als zeitlosen Autokraten. Stehende Ovationen für ein grandioses Ensemble und einen recht musikalischen Horror-Trip.

Rasender Machtmensch mit traumatisierter Kindheit: Lina Beckmann (rechts) ist Richard III., Kristof Van Boven gleich die ganze Familie Lancaster.

Foto: Festspiele
Rasender Machtmensch mit traumatisierter Kindheit: Lina Beckmann (rechts) ist Richard III., Kristof Van Boven gleich die ganze Familie Lancaster. Foto: Festspiele  Foto: Salzburg

Eine glückliche Kindheit sieht anders aus. Als Krüppel geboren, erfährt Richard von Anfang an Ablehnung und Spott. Wird gemobbt und gedisst, wie man neudeutsch sagen würde. Seine Mutter, die Herzogin von York, ahnt Böses. Sein Leben lang wird Rich um ihre Zuneigung buhlen und sie keinen Hehl aus ihrem Ekel vor dem Monster machen, das sie in die Welt geworfen hat.

Richard III., die schillerndste von William Shakespeares Theaterfiguren, ist der kaltblütig hemmungslose und sadistisch manipulative Antiheld, an dem sich die Mechanismen sozialen Zusammenlebens studieren lassen - sowie die Abgründe der Macht, des pathologischen Narzissmus und des Mitläufertums. So gerät Karin Henkels Inszenierung von "Richard the Kid & the King" auf der Pernerinsel im Salzburg nahen Hallein auch zu einer Parabel auf all die aktuellen Autokraten.

Die Strategien der systematischen Lüge

Noch am Sonntagnachmittag hatte Julian Nida-Rümelin, einst Kulturstaatssekretär unter Gerhard Schröder und Philosoph, in einer Rede zur offiziellen Eröffnung der Festspiele die humanistische Utopie Demokratie beschworen. Wie es um die bestellt ist, nicht nur im fernen England im 16. Jahrhundert, durfte man am Abend besichtigen.

Grell, grotesk, im besten Sinne plakativ werden hier die Strategien der systematischen Lüge ausgestellt, die die Trumps dieser Welt beherrschen. Das ist großes Theater. Henkel und ihr famoses Ensemble feiern die Shakespeare Maxime "Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler." Mit den Mitteln des Bühnenzaubers lässt diese Koproduktion mit dem Hamburger Schauspielhaus den Charme sozialer Medien alt aussehen.

"A fucking matter of prinzip"

Auf einer schwarzen Scheibe, über der Kugeln in Pink, Türkis und Weiß wie Planeten (oder Luftballons) schweben, verquickt Regisseurin Henkel die Königsdramen "Heinrich VI." und "Richard III." zu einem Abend, der von Richards Kindheit den Bogen zu dessen blutigem Aufstieg zum König schlägt. Mit Texten von Tom Lanoye und Luc Perceval, aktuellen Anspielungen und deutsch-englischem Kauderwelsch - "a fucking matter of prinzip" - werden narzisstischer Wahn und die hohe Kunst der Täuschung vorgeführt. Bereits zur Pause gibt es begeisterten Applaus - nach vier Stunden dann stehende Ovationen.

Die verführerisch souveräne Lina Beckmann ist Richard the Kid, der auch als King ein bockiges Kind bleibt, das alles und sofort will. Auf dem ertrotzten Schaukelpferd bekommt der Spross aus dem Hause York, das sich grausige Schlachten um die Krone liefert mit dem Hause Lancaster, die abgetrennten Köpfe seines Vaters und ältesten Bruders in Plastiktüten serviert.

Kein Charakter ist nur eindimensional

Königin Margarete hat rasend vor Wut kurzen Prozess gemacht, als ihr Mann, Heinrich VI., auf die Krone verzichten will. Kristof Van Boven spielt die komplette Familie Lancaster samt Lady Anne, die Richard in einer schaurigen Begegnung sich zur Frau, sprich Beute macht. Diese und weitere genderübergreifende Mehrfachbesetzungen sind schauspielerische Glanzleistung und der Beweis dafür, dass kein Charakter nur eindimensional ist und Emotionen wie das Böse fluide sind. Kate Strong als Richards Mutter und dessen größenwahnsinniger Bruder und Drogenwrack wie auch Bettina Stucky als dritter Bruder George und als Königin Elisabeth sind irrlichternd sensationell.

Der skrupellose Aufsteiger Richard, der mit hellsichtigem Instinkt andere manipuliert und sich selbst als Retter inszeniert, ist das eine. Seine willfährigen Opfer, die auch Täter sind, das andere. Warum spielen alle mit, wo sie doch um die dreisten Lügen Richards wissen, der die, die er verabscheut, für seine Zwecke instrumentalisiert? Wie verunsichert ist eine Gesellschaft, die so einem die Herrschaft überlässt? "Ich bin ein Dreckskerl. Jeder weiß das." Anzusehen, wie die anderen zu Mittätern werden, aus Feigheit, Profitgier oder purer Ignoranz, ist gruseliger als all die Morde, die gefühlt im Fünf-Minuten-Takt passieren.

Spieler und böser Clown

Die Musik, wie der Soundtrack zu einem Thriller, macht den Horror-Trip perfekt. Nicht von ungefähr ist Richard wie der Joker geschminkt, der Spieler und böse Clown. "Ich bin nicht grausamer als die Natur und die Zeit" wird er zum Schluss sagen. "Mein Tod wird die Welt nicht besser machen." So kann man es auch sehen. Schon taucht Kristof Van Boven mit der verlogenen Rhetorik eines kommenden Heilsbringers auf: "Wir werden gemeinsam eine Geschichte des Erfolgs schreiben." Man kennt das. Tosender Applaus.

 

Die Regisseurin

970 in Köln geboren, begann Karin Henkel nach einem abgebrochenen Studium der Geschichte und Germanistik ihre Regiekarriere am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, es folgte eine Assistenz am Wiener Burgtheater, wo sie sich als 24-Jährige mit ihrer Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Ausgesperrten“ für eigene Arbeiten an den großen Bühnen empfahl. Henkel wurde mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Für die Salzburger Festspiele ist es ihre zweite Regie.

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