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Proteste von Landwirten
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Politologe aus Freiburg: "Die Bauern haben einfach die Schnauze voll"

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Der aus Schwaigern stammende Freiburger Politologe Uwe Wagschal rechnet damit, dass die Regierung den Landwirten weiter entgegenkommt. Er hält die Proteste, auch in ihrer Schärfe, für gerechtfertigt.

Die Regierung wird den Landwirten weiter entgegenkommen, sagt der Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal. Im Gespräch mit unserer Redaktion begründet er, warum er die Proteste (Stimme.de berichtet in einem Newsblog), auch in dieser Schärfe, für legitim hält.

Die Ampel ist mit ihren Sparmaßnahmen gegenüber den Bauern zurückgerudert, bevor die überhaupt mit den Protesten begonnen haben. Macht sich die Ampel dadurch erpressbar?

Uwe Wagschal: Das Vorgehen passt ins Bild des vergangenen Jahres, beim Heizungsgesetz war das ja ähnlich. Es gibt kein gutes Bild ab, wenn man als Regierung sofort einknickt. Aber das Regierungshandeln war auch nicht besonders geschickt, offenbar wurde der eigene Landwirtschaftsminister übergangen. Cem Özdemir ist ohnehin keine starke Figur in dieser Regierung, er gibt kein gutes Bild ab.



Einige SPD-Ministerpräsidenten üben öffentlich deutliche Kritik an der Regierung und ihrem eigenen Kanzler. Wie sicher steht die Regierung?

Wagschal: Diese Kritik hängt natürlich mit der Bedeutung der Landwirtschaft in den jeweiligen Bundesländern zusammen, in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern gibt es große Höfe. Deshalb ist es kein Wunder, dass Stephan Weil und Manuela Schwesig sich zu Wort melden. Zumal das gestern gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht der SPD große Sorgen macht, im Hinblick auf die anstehenden Europawahlen und die Wahlen in einigen ostdeutschen Ländern. Und es gibt Umfragen, die sagen, dass zwei Drittel der Deutschen sich inzwischen Verteidigungsminister Pistorius als Kanzler wünschen. In der SPD gehen da die Warnleuchten an.


Welchen Anteil hat Olaf Scholz an der Misere?

Wagschal: Den großen Schweiger zu geben hat als Regierungsstil bei Merkel lange funktioniert. Aber wir leben in einer Zeit vieler Krisen: der Haushaltsnotstand, das Verfassungsgerichtsurteil, Kriege, die Umwelt. Angesichts dessen hätte von Scholz eine Ruck-Rede kommen müssen, um die Sparbeschlüsse zu begründen, stattdessen kam gar nichts und er macht im alten Modus weiter, das ist schlechte Kommunikation. Und es ist auch nicht in Ordnung, wenn bei der Haushaltskonsolidierung nur wenige Gruppen gerupft werden sollen.


Werden die Bauern Ihrer Meinung nach überproportional belastet?

Wagschal: Das sehe ich schon so. Bei den Beamten, im Kulturbereich oder bei der Umwelt, für die Robert Habeck steht, gibt es keine Kürzungen. Die Regierungsparteien haben bei der Klientel gespart, bei der sie für sich selbst den geringsten politischen Schaden erwarten. Die Bauern wählen in der Mehrzahl eben nicht SPD oder Grüne und schon gar nicht FDP. Aber so geht das nicht, um einen Haushalt erfolgreich zu konsolidieren, müssen Lasten symmetrisch verteilt werden. Wenn man das einseitig macht, gibt es Proteste − und die Bauern haben etwas in die Waagschale zu werfen, sie sind systemrelevant und haben die Macht, Teile des Landes lahmzulegen, ähnlich wie die Lokführer.


Gleichzeitig heißt es vielfach, die Bauern stünden gar nicht so schlecht da.

Wagschal: Ich halte es für mediales Framing zu behaupten, den Bauern ginge es gar nicht so schlecht. Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist nicht befriedigend, im öffentlichen Sektor und im Kulturbereich sind die Gehälter viel höher, aber diese Sektoren sollen ungeschoren davonkommen. In der Landwirtschaft hatten wir 1970 noch deutlich über eine Million Betriebe, heute nur noch 266 000. Wenn es den Bauern gut gehen würde, hätte es nicht dieses Massensterben in der Landwirtschaft gegeben.


Halten Sie die Proteste in ihrer Radikalität noch für legitim?

Wagschal: Wir adaptieren gerade radikalere Protestformen aus dem Ausland, lehnen uns zum Beispiel an den Gelbwestenprotesten in Frankreich an. Für Deutschland ist das insgesamt nicht gut, denn unsere bisherige Art, Konflikte konsens- und lösungsorientiert auszutragen, hat auch unseren Wohlstand nach vorne gebracht. Gleichzeitig merken die einzelnen Gruppen, dass sich Radikalisierung auszahlt.


Sehen Sie die Gefahr der Unterwanderung der Proteste von rechts?

Wagschal: Die sehe ich im Osten. Dort waren ja zum Teil 10.000 Menschen bei den Demonstrationen, so viele Bauern gibt es dort gar nicht, da sind eindeutig noch andere mitgelaufen. Die Abgrenzung von Verbandsvertretern wie Joachim Rukwied zu rechten und radikalen Gruppen halte ich für glaubwürdig. Die Bauern haben einfach die, entschuldigen Sie die Deutlichkeit, die Schnauze voll. Sie haben heute keine große Bedeutung und keine Lobbymacht mehr. Vor 30 Jahren waren die Bauernvertreter die wichtigsten Akteure vor Ort. Denken Sie an ehemals ländlich geprägte Gemeinden wie Leingarten oder Meimsheim. Heute sind Wohngebiete, wo früher landwirtschaftliche Flächen waren.


Trotzdem: Vereinzelt sieht man Galgen, wenn man über die Dörfer fährt.

Wagschal: Gewaltaufrufe gegen einzelne Politiker sind natürlich anstößig. Ich habe aber auch Galgen gesehen, an denen symbolisch der Landwirt selbst stirbt, nach dem Motto ,es geht uns an den Kragen". In dieser Form ist das okay. Und man darf nicht vergessen: Die Grünen, die sich jetzt betroffen geben, haben in der Vergangenheit auch radikal demonstriert, ich erinnere an die Auseinandersetzung um die Startbahn West am Frankfurter Flughafen, dabei starben sogar zwei Polizisten.


Wie geht es jetzt weiter?

Wagschal: Die Proteste gehen weiter und werden sich auszahlen, in einigen Tagen wird die Regierung den Landwirten weiter entgegenkommen.

Zur Person: Professor Uwe Wagschal (57) ist Politikwissenschaftler und Direktor des Seminars für Wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg. Aufgewachsen ist er in Schwaigern und in Eppingen zur Schule gegangen.

 

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