Nach Chaos-Auftakt von AfD-Landesparteitag: Kritiker abgewählt
Der AfD-Landesvorstand Baden-Württemberg stellt sich nach Chaos-Auftakt beim Parteitag in Rottweil neu auf. Kritiker des Lagers um Alice-Weidel wurden abgewählt. Wie der Parteitag am Sonntag zu Ende ging.

Letztlich war es indirekt dem langen Arm von Björn Höcke zu verdanken, dass der AfD-Landesparteitag an diesem Wochenende in Rottweil nach Tumulten, Einlasschaos, Saalräumung, stundenlanger Wartezeit, zu wenigen Sitzplätzen und offenem Zoff auf der Bühne am Samstag nicht völlig entgleiste und am Sonntag völlig unspektakulär fortgesetzt wurde – und dass auch der gesamte Vorstand des baden-württembergischen Landesverbands mit der alten und neuen Doppelspitze aus Emil Sänze und Marcus Frohnmaier wohl künftig geschlossen hinter der Linie der AfD-Bundesspitze, Alice Weidel und Tino Chrupalla steht.
Am Samstag hatte der Parteitag noch auf der Kippe gestanden, weil die Stadthalle am Samstagvormittag schon überfüllt war und geschlossen wurde, als draußen noch Hunderte Einlass begehrten. Gestartet werden konnte erst am Mittag nach kompletter Räumung der Halle und der erneuten Kontrolle der stimmberechtigten Mitglieder. Dutzende mussten danach mangels Sitzplatz stundenlang in der Stadthalle stehen, in der die Stimmung immer wieder überkochte. „Ich habe noch nie einen so miserabel vorbereiteten und durchgeführten Parteitag erlebt, und ich war schon auf vielen Parteitagen“, schimpfte ein AfD-Mitglied am Saalmikrofon.
Gegen Ampel-Regierung, gegen die Grünen und gegen Migration: Alice Weidel eint AfD-Mitglieder bei chaotischem Parteitag in Rottweil
Dass nicht alles entgleiste, dafür sorgte mit eiserner Versammlungsleitung Björn Höckes rechte Hand im Thüringer Landtag, Torben Braga. Von sämtlichen Tumulten unbeeindruckt peitschte der Thüringer AfD-Landtagsabgeordnete die Tagesordnung durch und unterband sämtliche Versuche, den schwelenden Vorstandsstreit und seine Ursachen zu thematisieren. Dieser spaltete den baden-württembergischen Landesverband, seit sieben der 13 Vorstandsmitglieder im Dezember der Weidel-treuen Doppelspitze öffentlich das Misstrauen ausgesprochen hatten und das Gremium quasi arbeitsunfähig machten. Bragas Tagungsleitung bügelte selbst den Antrag am Saalmikrofon, gegen den durchweg hohen Geräuschpegel Stadthalle durchzugreifen, ab und machte weiter im Programm.
Weidel selbst hatte in einem umjubelten Auftritt am Samstag für eine Wiederwahl der Doppelspitze geworben. „Wir sind hier, weil wir uns Sorgen um den Landesverband machen, wir brauchen einen starken und geschlossenen Landesverband“, forderte Weidel. Im frenetischen Jubel über ihre Rede – gegen die Ampel-Regierung, gegen die Grünen, für eine Eindämmung der Migration – zeigte sich der Parteitag erstmals geeint, Weidel wurde mit stehendem Applaus verabschiedet, kassierte für ihren autoritären Ton aber auch lautstarke Buhrufe. „Ich lasse mir doch nicht sagen, dass ich eine schwachsinnige Frage stelle, das ist völlig respektlos und einer Bundesvorsitzenden nicht würdig“, wehrte sich ein Redner am Saalmikrofon.
AfD-Parteitag in Rottweil: Kritiker der Alice Weidel nahestehenden Doppelspitze werden mundtot gemacht
Die Mehrheit der Mitglieder aber wollte nicht diskutieren, reagierte zunehmend genervt auf Anträge nach geheimer Abstimmung, lehnten ein ums andere Mal ab, sich mit kritischer Aufarbeitung auseinanderzusetzen. Ein Vorgehen, das das Lager der Kritiker – weitgehend verortet um den früheren Landesvorsitzenden und Stuttgarter Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel – aus rund 30 Prozent der am Samstag anwesenden Mitglieder zunehmend mundtot machte. Deren Reihen lichteten sich am Samstagabend sichtlich, viele aus diesem Lager fehlten am Sonntag.
Das Ergebnis: Die Weidel-treue Doppelspitze des Landesverbands aus dem Bundestagsabgeordneten Marcus Frohnmaier und dem Rottweiler Landtagsabgeordneten Emil Sänze wiedergewählt, sämtliche Kritiker aus dem Landesvorstand abgewählt. Alle verzichteten sie angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Saal auf eine erneute Kandidatur, auch Spaniel selbst trat entgegen selbst geschürter Erwartungen nicht als Landessprecher an. Die Querschüsse gegen Weidel – ebenso stärkstes Zugpferd der Rechtspartei wie in Teilen des eigenen Landesverbands umstritten, dürften damit vorerst der Vergangenheit angehören.
AfD-Landessprecher Emil Sänze hat keine Sorge um Außenwirkung nach Chaos beim Parteitag in Rottweil
„Wir sind auf dem Weg zur Funktionärspartei“, kommentierte diese Wendung einer der Wortführer des Weidel-kritischen Lagers, der abgewählte Schriftführer Raimond Hoffmann, der am Sonntag fehlte. Am Samstag war er noch bei seiner Forderung nach kritischer Aufarbeitung mit „Hau ab, Hau ab“-Sprechchören überbrüllt worden, „das berührt mich schon“, so Hoffmann. Für die AfD will er aber dennoch weiter in den Kommunalwahlkampf ziehen.
„Wir haben gezeigt, dass wir auch Chaos können, sind dann aber schnell in ruhigere Fahrwasser gekommen“, zog der alte und neue Co-Landessprecher Sänze am Sonntag trotz der hässlichen Szenen und der harschen Kritik an der Organisation des Parteitags vom Vortag eine positive Bilanz. Auch Marcus Frohnmaier will auf die Kritiker zugehen, versprach, dass jetzt keine offenen Rechnungen beglichen würden. „Wir reichen allen die Hand, wir haben ein gemeinsames Ziel“, so Frohnmaier am Ende. Die Partei müsse sich weiter professionalisieren, um Chaos-Szene wie am Samstag künftig zu vermeiden. Bedenken, dass die Rechtmäßigkeit des Parteitag angefochten wird – wie von den Gegnern schon am Samstag wiederholt angekündigt – zeigten sie nicht. „Ich frage mich, was da angefochten werden soll. Jeder, der reinwollte, konnte auch rein“, so Sänze. Sorge um eine Außenwirkung der AfD als Chaostruppe hat er nicht. „Das hat uns in der Außenwirkung eher genutzt als geschadet“, hofft Sänze.
Wahlen auf dem AfD-Parteitag in Rottweil: Das sind die Vorsitzenden in Baden-Württemberg
Als Landessprecher wiedergewählt wurden ohne Gegenkandidaten Emil Sänze (76 Prozent) und Marcus Frohnmaier (75,1 Prozent). Zu stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt wurden Martin Hess, Ruben Rupp, Marc Bernhardt und Jürgen Kögel. Schatzmeister sind Hans-Peter Hörner und stellvertretend Rainer Pordeswa. Schriftführer ist Sandro Schewer. Lars Haise, Diana Zimmer, Alexander Arpaschi, Anton Baron und Benjamin Götz wurden als Beisitzer gewählt. Ob die neuen Mehrheitsverhältnisse für Frieden im Landesverband sorgen, bleibt offen. Einer der Abgewählten klingt am Sonntag mehr kampfeslustig als versöhnlich: "Wir haben eine Schlacht verloren", sagt er.
Parallel zum AfD-Parteitag war in Rottweil zum Stadt- und Kulturfest „Rottweil bleibt bunt und vielfältig“ aufgerufen worden. Rottweils Oberbürgermeister Christian Ruf freute sich bei der Kundgebung am Samstag, dass so viele Rottweiler sich aufgemacht hatten, um 200 Meter neben der Stadthalle gegen die AfD zu demonstrieren. Laut Polizei seien rund 2000 Teilnehmende vor Ort gewesen.
Für Demokratie und gegen die AfD: Gegendemonstrationen in Rottweil verlaufen ohne Vorkommnisse
„Es ist Zeit, nicht mehr zu sagen, wofür man einstehen will – für Demokratie, Menschenrechte, Toleranz, sondern auch, wogegen: Gegen Hass und Hetze, gegen Rechtsextremismus, gegen die AfD“, sagte Ruf. Von den Trillerpfeifen und den Sprechchören bei der Kundgebung war aber am Samstag in der Stadthalle nichts zu hören. Drinnen war es viel zu laut.
Am Samstagnachmittag führt zudem ein angemeldeter Korso mit rund 100 Fahrzeugen durch das Stadtgebiet. "Gegen Diskriminierung, Hass und Hetze, gegen die Zerstörung des Handwerks, der Bauern, des Mittelstandes, der Industrie, Politik zum Wohle des Volkes" war das Motto der rund 150 Teilnehmenden. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot vor Ort war, meldete indes keine besonderen Vorkommnisse rund um AfD-Parteitag und Gegenveranstaltungen.