Innenminister Strobl im Strudel einer Affäre, die immer weitergeht
Der ranghöchste Polizist Baden-Württembergs gerät in eine Sex-Affäre und zieht CDU-Innenminister Thomas Strobl mit hinein. Wir werfen einen Blick zurück auf die Vorgänge.

Thomas Strobl, CDU-Politiker, Innenminister, Vize-Regierungschef von Baden-Württemberg, ist Sportler. Aber auf diesen zweifelhaften Rekord im Jahr 2022 hätte der Ausdauer-Läufer mutmaßlich gerne verzichtet: Wohl kein Landespolitiker und kein Regierungsmitglied sah sich in diesem Jahr so vielen Rücktrittsforderungen, so vielen kritischen Berichten und Schlagzeilen gegenüber wie der 62-jährige Heilbronner. Strobl wurde im Verlauf des Jahres bald im Wochentakt mit der Aufforderung konfrontiert, vom Amt zu lassen, und im gleichen Maß ging die Aufforderung auch an Regierungschef Winfried Kretschmann, seinen vermeintlich nicht mehr tragbaren Innenminister endlich zu entlassen.
Dazu kamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Strobl, eine Hausdurchsuchung im Stuttgarter Innenministerium, bei der die Staatsanwaltschaft Akten beschlagnahmte; dann ein Untersuchungsausschuss des Landtags, der zwar formal eine andere Stoßrichtung hat, aber eindeutig darauf abzielt, dem CDU-Politiker unlauteres Handeln oder Fehler nachzuweisen. Ende Oktober folgte ein Entlassungsantrag im Landtag, den Strobl mit der grün-schwarzen Regierungsmehrheit überstand.
Kein Freispruch erster Klasse
Schließlich stellte zwar die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Zahlung eines stattlichen Geldbetrags von 15 .000 Euro ein, allerdings mit der dezidierten Feststellung, dass Hinweise auf eine Straftat vorlägen und bei einem Verfahren eine Verurteilung wahrscheinlicher sei als ein Freispruch. Im Übrigen, formulierte die Staatsanwaltschaft, sei der Innenminister im zugrunde liegenden Fall seiner besonderen Verantwortung als oberster Dienstherr nicht gerecht geworden. Das war kein Freispruch erster Klasse, sondern eine amtliche Ohrfeige.
Und nun endet das Jahr für Thomas Strobl damit, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart schon wieder Vorwürfe gegen ihn prüft. Diesmal: Ob er im Untersuchungsausschuss bei seiner Mammut-Zeugenaussage über 16 Stunden in einem Detail die Unwahrheit gesagt hat. Wäre ihm das nachzuweisen, wäre dies eine Straftat − und Strobl hätte erneut ein Verfahren am Hals.
Dabei schien für Strobl, Stehaufmännchen der Südwest-CDU, vielfach als Landesvorsitzender angeschlagen, aber nie gefallen, am Ende des Jahres 2021 endlich wieder Ruhe einzukehren.
Trotz Wahlschlappe und Rücktrittsforderungen im Amt bestätigt
Die historische Schlappe der CDU bei der Landtagswahl 2021 hatte er als Landesvorsitzender im Amt überstanden, weil er die Christdemokraten erneut neben die Grünen auf die Regierungsbank verhandelt hatte. Und weil die CDU so etwas nicht vergisst, strafte sie Strobl zwar auf dem Landesparteitag im Herbst 2021 mit einem miserablen Ergebnis von gerade mal 66 Prozent ab, bestätigte ihn aber trotz vorheriger Rücktrittsforderungen aus der Partei damit für zwei weitere Jahre im Amt. Alles schien für den Heilbronner wieder auf dem Gleis.
Bis zum 22. November des Jahres 2021. An diesem Tag wurde der Inspekteur der Polizei (IdP) und ranghöchste uniformierte Polizeibeamte Baden-Württembergs, Andreas R., wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung durch eine ihm untergebene Polizeibeamtin vom Dienst suspendiert und ist es bis heute. Ein Skandal.
Anzeige wurde erstattet, die Staatsanwaltschaft ermittelte, Anklage ist erhoben, das Verfahren wird in den kommenden Monaten am Stuttgarter Landgericht geführt, ein Disziplinarverfahren folgt. Andreas R. ist schon jetzt, wo noch die Unschuldsvermutung gilt, tief gefallen. Und von dem mutmaßlichen Opfer der Belästigung redet niemand mehr, auch die Karriere der jungen Beamtin nimmt wohl einen ganz anderen Weg, als von ihr geplant. Zudem ermittelte auch gegen sie die Staatsanwaltschaft, weil sie unerlaubt ein Gespräch mit Andreas R. mitgeschnitten haben soll. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass die Beschuldigte nicht rechtswidrig, sondern aufgrund eines rechtfertigenden Notstands gehandelt habe.
Fehler und fragwürdige Entscheidungen
Aber im politischen Fokus steht, obwohl ursächlich gar nicht in die IdP-Affäre verwickelt, Thomas Strobl. Immer tiefer geriet Strobl, der unmittelbar nach Suspendierung des IdP vollständige Transparenz und Aufklärung versprochen hatte, in den Strudel dieses Skandals. Selbst verursacht durch fragwürdige Entscheidungen, Einschätzungsfehler mit fatalen Folgen, eine Kommunikationsstrategie, die nach hinten losging. Und die Weitergabe eines Anwaltsschreibens ausgerechnet an einen Journalisten, der seit langem tief im Innenministerium und bei der Polizei über den suspendierten IdP und dessen erstaunlich schnelle und steile Karriere recherchierte.
Im Untersuchungsausschuss hat sich nach kurzer Zeit die heimliche Hoffnung der Opposition im Ausschuss auf "Beifang" Richtung Strobl erfüllt. Einer der Zeugen sagte in der jüngsten Sitzung aus, dass Andreas R. als Wunschkandidat von Strobl für die Beförderung auf den Posten des IdP gegolten habe. Strobl dagegen hatte auch im Ausschuss ausgesagt, dass er keinen Einfluss auf die Beförderung von Andreas R. genommen habe. Die Rücktrittsforderungen werden den CDU-Politiker wohl verlässlich ins neue Jahr begleiten. Es nimmt einfach kein Ende.
Ausschuss
Der Landtags-Untersuchungsausschuss prüft nun drei Komplexe: Vorwürfe der sexuellen Belästigung in Landesbehörden und gegen den Inspekteur der Polizei, die Umstände der Weitergabe des Rechtsanwaltsschreibens durch Strobl an den Journalisten sowie die Beförderungs- und Besetzungsverfahren bei der Landespolizei insgesamt und speziell im Fall von Andreas R.. Am 30. September 2023 soll der Ausschuss eigentlich seinen Abschlussbericht vorlegen. Schon jetzt aber ist klar, dass diese Zeit bei der Vielzahl von Zeugen, die benannt wurden, nicht ausreichen wird. Geladen ist nahezu die gesamte Führungsspitze der baden-württembergischen Polizei und des Innenministeriums der vergangenen Jahre. dpa