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Große Impfaktion in Mannheims Neckarstadt-West

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Die Stadt geht mit mobilen Impfteams vor Ort, um Menschen zu erreichen, für die der Zugang zu einem Impftermin besonders schwierig ist. Heilbronn sieht dafür keinen Bedarf.

 Foto: Blass, Valerie

Ein "Vielfaltsquartier" sei die Mannheimer Neckarstadt- West, sagt Natalie Papadopoulos vom Quartiermanagement der Stadt. Übersetzt bedeutet das: Hier wohnen Menschen vieler unterschiedlicher Ethnien dicht beieinander. Menschen, deren Lebensumstände oft schwierig sind.

Die Einkommen sind niedrig, die Probleme vielfältig: Die Ausbeutung von Arbeitsmigranten aus Osteuropa war hier einige Jahre lang das große Thema. Alkoholmissbrauch, Drogen, Prostitution sind es noch - und in der Corona-Pandemie ist ein weiteres hinzugekommen: die Inzidenzzahlen. Sie sind in der Neckarstadt-West deutlich höher als in den übrigen Mannheimer Stadtteilen, bei über 200, seit Langem.

In der Neckarstadt-West sind die Inzidenzzahlen deutlich höher als in anderen Mannheimer Stadtteilen

Die Menschen hier lebten auf engem Raum und arbeiteten überwiegend in der Produktion, sagt Papadopoulos - "sie haben keine Möglichkeit, ins Homeoffice zu gehen". Gleichzeitig erreiche die Impfkampagne gerade sie nicht.

Vor etwa vier Wochen nahmen Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) und der Gemeinderat das Thema ins Visier. Seit vergangenen Montag läuft nun täglich von 9 bis 15 Uhr die sogenannte "Quartiersimpfung", die sich speziell an die 21.000 Bewohner richtet. Personal des Impfzentrums Mannheim verimpft vor Ort im Bürgerhaus täglich 300 Dosen des Moderna-Vakzins - 3000 in zehn Tagen. "Wir hoffen, damit etwa 12 Prozent der Einwohner zu erreichen", sagt Koordinator Tobias Vahlpahl.


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Anstehen, warten, drankommen

An diesem Montag um kurz nach 9 ist die Schlange der Wartenden nicht allzu lang. Wer sich rechts einreiht, wird ohne Termin geimpft - man muss nur warten, bis man dran ist und nachweisen, dass man auch in der Neckarstadt-West wohnt. Menschen aller Altersgruppen stehen geduldig und mit reichlich Abstand in einer Straße aus rot-weißen Absperrbändern.

Überall im Viertel Neckarstadt-West hängen solche Plakate, die auf die Quartiersimpfung hinweisen.
Fotos: Valerie Blass
Überall im Viertel Neckarstadt-West hängen solche Plakate, die auf die Quartiersimpfung hinweisen. Fotos: Valerie Blass  Foto: Blass, Valerie

Studenten sind einige darunter. Junge, schwarzhaarige Frauen mit Kinderwagen, die auf die Fragen der Zeitungsfrau nur die Schultern zucken und sich wegdrehen - sie verstehen nicht oder wollen sich nicht äußern, soll das wohl heißen. Auch Claudia und Harry Adeski warten hier, beide über 60, beide bisher mit wenig Aussicht auf einen Impftermin. "Bei meinem Hausarzt hab" ich auch schon angerufen, aber da müsste ich zwei Monate warten", sagt Claudia Adeski in breitem kurpfälzer Dialekt, ihr Mann Harry ergänzt: "Ich will wieder ins Stadion und in der Kneipe Bier trinken."

Sozialarbeiter haben gezielt Menschen angesprochen

In der zweiten Schlange links gibt es kaum Wartezeiten. Hier wird geimpft, wer zuvor einen Termin vereinbart hatte. Die Menschen wurden gezielt angerufen - von Sozialarbeitern und anderen Multiplikatoren. Ein 80-jähriger Eriträer sei in der vergangenen Woche hier gewesen, erzählt Stadt-Sprecher Ralf Walther. "Er war längst impfberechtigt, konnte aber wegen der Sprachbarriere keinen Termin im Impfzentrum ausmachen. Solche Fälle haben wir ständig."

Manche Bevölkerungsgruppen sind mit staatlichen Angeboten besonders schwierig zu erreichen

"Viele der Menschen, die hier leben, kennen die Gepflogenheiten nicht so gut und sprechen die Sprache kaum. Für sie ist die Hürde, per Telefon oder Computer einen Termin zu vereinbaren zu hoch, sagt Papadopoulos. Ihnen gilt dieses Angebot, für sie ist der Zugang zur Impfung einfach gehalten. "Die Gelegenheit darf man sich nicht entgehen lassen", sagt Fülya Yilandie. Sie hat sich bereits in der vergangenen Woche impfen lassen und dann selbst kräftig für das Angebot geworben. "Ich habe allen gesagt, dass sie auch herkommen sollen", sagt die Frau mit türkischen Wurzeln. Vor allem die bulgarische Community sei allerdings schwer zu erreichen - obwohl die meisten Bulgaren türkisch verstünden, so Yilandie. "Sie haben Angst vor den Impffolgen", hat sie in Gesprächen mitbekommen. "Da müsste mehr Aufklärung passieren", findet sie.

Die Aktion ist aufwendig, aber sie lohnt sich, findet die Stadt

Tobias Vahlpahl bestätigt diese Beobachtung. Gerade unter den bulgarisch-stämmigen Mitbürgern sei das Misstrauen groß - auch gegenüber staatlichen Strukturen im Allgemeinen. "Jahrhunderte der Diskriminierung haben sich ins Gedächtnis gebrannt." Er vermutet, dass aufgrund sprachlicher Hürden oft keine seriösen Medien zur Kenntnis genommen werden und "obskure Geschichten" an die Stelle von Fakten treten. Dem sei extrem schwer beizukommen, sagt er. Man brauche Multiplikatoren, die beide Sprachen beherrschten und auf Augenhöhe mit den Menschen redeten. Am Samstag sei ein bulgarischer Arzt im Impfteam gewesen, der lange draußen auf bulgarisch mit einer Gruppe gesprochen habe - einige ließen sich daraufhin impfen. "Das ist ein sehr kleinteiliges, gezieltes Vorgehen und das wird auch so bleiben", sagt Ralf Walther.

Natalie Papadopoulos kümmert sich im Laufschritt um die individuellen Anliegen der Wartenden. Eine Frau will verreisen, wenn ihr zweiter Impftermin ansteht. Papadopoulos erklärt nach Rücksprache mit einem Arzt, dass das so leicht nicht möglich sei. Der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung müsse eingehalten werden, damit die Impfung gut wirke. Ein Ehepaar, beide deutlich über 70, hat sich in die kurze Schlange eingereiht, aber keinen Termin. Lange anstehen, um eine Spritze zu bekommen, wollen sie nicht. Natalie Papadopoulos versucht auch das zu regeln, rennt hin- und her, spricht Menschen an, die vorbeilaufen, beschwichtigt, erklärt gestenreich.


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