Gewaltspirale dreht sich: Was ist nur los auf Baden-Württembergs Straßen, Plätzen und Ecken?
Schüsse in der Region Stuttgart, ein Handgranatenangriff auf eine Trauerfeier: Wer sind die rivalisierenden Gruppen, deren Auseinandersetzungen die Region Stuttgart seit Monaten erschüttern? Der LKA-Chef benennt Ursachen und eine Tätergruppe ohne Perspektive.
Es wird scharf geschossen nachts in "The Länd". Eine Serie von Schießereien und Gewalttaten hält die Region Stuttgart seit Monaten in Atem - in Plochingen, Asperg, Stuttgart-Zuffenhausen und Reutlingen. Der Fall Altbach, bislang letzter dieser Reihe, hat schließlich auch die Politik auf den Plan gerufen. Am 9. Juni wird eine Trauerfeier mit 400 bis 500 Gästen auf einem Friedhof in Altbach südöstlich von Stuttgart durch eine Handgranate buchstäblich gesprengt, es gibt zehn Verletzte.
Gäste der Trauerfeier verfolgen den mutmaßlichen Täter und schlagen ihn krankenhausreif. Später stellt sich heraus: Auch die Polizei ist im Hintergrund vor Ort. Ein Beamter in Zivil, der auf dem Friedhof in der Nähe des Handgranatenwerfers stand, wird von der aufgebrachten Menge für einen Mittäter gehalten - und rennt um sein Leben. Am Mittwoch verlangte der Innenausschuss des Landtags Aufklärung von Innenminister Thomas Strobl, die Sitzung war geheim. 20 Personen seien im Zusammenhang mit den Taten bereits festgenommen worden. Um organisierte Clankriminalität handele es sich dabei nicht.
Tätergruppe: Junge Männer zwischen 19 und 26 Jahren
Aber um was dann? "Das sind Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen junger Männer zwischen 19 und 26 Jahren, die sich territorial verorten. Es sind vor allem zwei Gruppen, lose Teilgruppierungen und Einzelpersonen, insgesamt ein Kreis von etwa 300 Personen. Schwerpunkte sind Esslingen/Plochingen, Ludwigsburg und Stuttgart", sagt LKA-Chef Andreas Stenger. "Der plausibelste Hintergrund, den wir erkennen: Da geht es um Respekt und um Ehre. Eine Gewalttat löst eine Reaktion bei der anderen Gruppierung aus, und so eskaliert es."
Viele haben türkische, kurdische, syrische Wurzeln oder stammen aus der Region Westbalkan. Und sie haben jede Menge unstrukturierter Freizeit, sagt Stenger. "Die wissen, dass sie sozial abgehängt sind. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist: Sie sind perspektivlos, ohne guten Schulabschluss und mit schlechten Chancen auf berufliche Karrieren. Sie sind über soziale Netzwerke verknüpft, verabreden sich da, hängen zusammen ab, sprechen in diesem Gangster-Slang. Und sie suchen Anerkennung und Respekt." Für ihn, so Stenger, sind diese Täter das Produkt einer "misslungenen Integration in der zweiten und dritten Generation".
Laut LKA-Chef zeigen die Kontrollen Wirkung
Die Polizei setzt bei der Bekämpfung auf Prävention und Repression, ist mit hohem Personal- und Technikeinsatz bei der Verfolgung unterwegs, setzt dazu auf Abschreckungen durch Kontrolldruck und Razzien. "Wir wissen, wo die sich aufhalten. Unsere Kontrollen sprechen sich herum und zeigen auch Wirkung", sagt Stenger.
Aber dennoch ist die Verfolgung dieser mobilen, unstrukturierten Szene für die Ermittler ein riesiges Puzzlespiel. So auch in Altbach, als das Handgranaten-Attentat erfolgte. Der junge Mann, der dort beerdigt wurde, war durch einen Unfall ums Leben gekommen, nicht durch eine Gewalttat. "Er hatte aber weitläufigen Kontakt zu dem Klientel, um das es uns geht. Es war klar, dass aus dem Milieu einige zur Beerdigung kommen, deswegen waren Beamte in Zivil vor Ort an den Zugängen und Zufahrten postiert", sagt Stenger. "Aber es war überhaupt nicht damit zu rechnen, dass etwas oder gar so etwas passiert", sagt Stenger. "Dass jetzt gemeingefährliche Kriegswaffen zum Einsatz kommen, hat eine neue Dimension. Und wir nutzen die ganze Klaviatur, um das zu bekämpfen." War Altbach jetzt der Schlusspunkt dieser Gewaltspirale? "Die Hoffnung haben wir nicht", sagt Stenger. "Wir rechnen mit weiteren Aktivitäten."
Rivalisierende Gruppen sind bei der Polizei in der Region gerade kein Thema
Rivalisierende Gruppen oder mögliche Clan-Strukturen sind derzeit im Bereich des Heilbronner Polizeipräsidiums kein Thema, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. In jüngster Vergangenheit kam es auf dem inzwischen verbotenen Straßenstrich in der Heilbronner Hafenstraße zu Konflikten zweier bulgarischer Großfamilien. Im Mai durchsuchte die Polizei in Heilbronn und im bulgarischen Dobritsch mehrere Objekte. Es kam in Heilbronn zu Festnahmen von vier Bulgaren und einem Türken. Straßenprostitution hat sich seither in Heilbronn nicht mehr etabliert.