Bahn-Ausbau in Baden-Württemberg lähmt den Deutschlandtakt
Der Deutschlandtakt soll den Bahnverkehr in der Bundesrepublik umkrempeln. Doch mehrere Bauprojekte im Südwesten werden erst weit nach 2030 fertig und verzögern damit das Vorhaben.
Eigentlich soll im Jahr 2030 ein neues Bahn-Zeitalter in der Bundesrepublik beginnen. Der Deutschlandtakt sieht vor, dass Züge zur immergleichen Uhrzeit in Richtung ihres Ziels aufbrechen. Wer von Stuttgart nach Hamburg will, weiß vorab, wann die Züge gen Norden fahren. Geplant sind außerdem ein Halbstundentakt im Fernverkehr und deutschlandweit abgestimmte Anschlüsse.
Sowohl das geplante Schienennetz als auch der zukünftige Fahrplan sind auf das Jahr 2030 ausgerichtet. Bis dahin will die Bundesregierung zudem die Zahl der Bahnreisenden verdoppeln.
Doch mehrere Bauprojekte der Bahn in Baden-Württemberg werden erst weit nach 2030 fertig. Der Grünen-Bahnexperte und Nürtinger Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel zeigt sich zwar optimistisch: „Die Umsetzung des Deutschlandtakts war immer in Stufen vorgesehen.“ Absehbar sei jedoch, dass der Taktfahrplan keinesfalls 2030 fertig sein wird. „Wir werden relevante Teile des Deutschlandtakts bis zum Jahr 2030 umsetzen können, wir werden weitere Teile bis 2035 umsetzen und weitere bis 2040.“ Ähnlich äußert sich das Verkehrsministerium im Land: „Der Deutschlandtakt kann und soll in verschiedenen Stufen realisiert werden“.
Wir erklären, welche Bahnprojekte im Südwesten für den Deutschlandtakt relevant sind und wann sie fertig werden sollen.
Rheintalstrecke: Mannheim – Basel

Der Ausbau der Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel wird seit den 80er-Jahren geplant, lag lange Zeit wegen Geldmangel auf Eis und erlebte mit dem Einsturz eines Tunnels 2017 einen Rückschlag. Die Deutsche Bahn plant, den Abschnitt zwischen Karlsruhe und Basel bis 2035 auf vier Gleise auszubauen. Besonders aufwendig ist der Bau zweier Tunnel: In Rastatt wird bereits daran gebaut, in Offenburg wird der Tunnel noch geplant. Bis 2041 soll die Strecke dann für Geschwindigkeiten bis 250 km/h fit gemacht werden.
Für den Deutschlandtakt ist geplant, dass die Fernzüge zwischen Mannheim und Basel im Halbstundentakt mit 300 km/h fahren und insgesamt 95 Minuten an die Schweizer Grenze brauchen. Ein Bahnsprecher betont, dass dieses Ziel nach und nach erreicht werden soll: „Die Geschwindigkeiten auf der Strecke werden mit dem Baufortschritt erhöht, folglich verändern sich auch die Reisezeiten schrittweise.“ Das zahle „auf die Ziele des Deutschlandtakts ein“.
Neubaustrecke Rhein/Main: Frankfurt – Mannheim

Auf den Bahngleisen zwischen Frankfurt und Mannheim wird es zu Spitzenzeiten voll: 300 Züge sind dort laut Angaben des Konzerns jeden Tag unterwegs. Um den Abschnitt zu entlasten, soll weiter östlich eine zweite Strecke gebaut werden, die an Darmstadt angrenzt. Die Trasse steht inzwischen fest, ab 2024 soll sich der Bundestag mit dem Projekt und Änderungsvorschlägen befassen. Die Deutsche Bahn geht davon aus, dass die Strecke erst „nach 2030“ in Betrieb sein wird.
Ein Konzernsprecher verweist darauf, dass die bisherige Strecke im zweiten Halbjahr 2024 saniert wird. „Während des Vorhabens wird die Riedbahn für den Zugverkehr voll gesperrt.“ Laut Matthias Gastel sei der Abschnitt anschließend leistungsfähiger, da die Züge in kürzeren Abständen hintereinander fahren können. Außerdem würden Weichen eingebaut, über die die Bahnen schneller fahren können. So könne eine Überlastung vermieden werden, bis die Neubaustrecke in Betrieb geht.
Fernbahntunnel: Frankfurt

Der Frankfurter Hauptbahnhof ist ein Kopfbahnhof. Entsprechend länger dauert es, bis Züge dort weiterfahren können. Für den Deutschlandtakt sollen ICE und IC künftig durch einen neuen Tunnel unter der Stadt durchfahren. Laut dem Gutachten, das die Umsetzung des Deutschlandtakts betrachtet, sei der Tunnel ein „zentraler Infrastrukturausbau“, der mehr Züge und eine kürzere Fahrzeit ermöglicht.
Wann es den Tunnel geben wird, ist jedoch unklar. Die Deutsche Bahn rechnet damit, dass die Planungen erst nach 2030 abgeschlossen sind. Fertig werde der Fernbahntunnel nicht vor 2040. Ziel sei es, ihn „schnellstmöglich“ zu bauen, erklärt ein Sprecher. Derzeit werde mit dem Bund verhandelt, wie das Vorhaben beschleunigt werden könnte. „Mir wäre es auch lieber, der Fernbahntunnel würde zehn Jahre früher kommen“, sagt Matthias Gastel. Zuvor gebe es jedoch viele kleine Maßnahmen, die den Frankfurter Bahnknoten verbessern.
Murrbahn: Waiblingen – Schwäbisch Hall

Die Murrbahn zwischen Waiblingen und Schwäbisch Hall-Hessental ist wegen vieler eingleisiger Abschnitte von Verspätungen geplagt. Über den Ausbau wird seit Jahren gestritten, bisher ohne Ergebnis. Gastel fordert, die Murrbahn oder alternativ die Remsbahn auszubauen, „damit Baden-Württemberg von dem extrem teuren Neubauprojekt zwischen Nürnberg und Berlin einen Nutzen hat“. Wenn Züge auf einer der beiden Strecken schneller sind, sei die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Nürnberg kürzer. Der Ausbau der Murrbahn sei einfacher, die Strecke habe aber ein geringeres Fahrbahnpotenzial, erklärt Gastel – auf der Remsbahn sei es andersherum.
Laut Bahn ist bis auf zwei Maßnahmen kein Ausbau der Murrbahn geplant. Der Grund: Baden-Württemberg und Bayern wollen dort nur Nahverkehrszüge fahren lassen. Das Landes-Verkehrsministerium betont, man wolle den Ausbau von Murr- und Remsbahn erneut prüfen lassen.
Gäubahn: Stuttgart – Singen

Mit dem Deutschlandtakt sollen Fahrgäste mit dem Ziel Schweiz in Stuttgart umsteigen können. Möglich ist das über die Gäubahn, die nach Singen Richtung Schweizer Grenze führt. Im Zuge der Stuttgart-21-Bauarbeiten soll die Strecke allerdings jahrelang abgetrennt werden und im Stuttgarter Norden enden. Fahrgäste müssen also vom Hauptbahnhof zum Nordbahnhof fahren und dort umsteigen. „Man verliert Zeit und Komfort, beides bringt immer Fahrgastverluste“, sagt Gastel. Erst in Zukunft soll die Gäubahn über den Flughafen und den neuen Pfaffensteigtunnel an den Stuttgarter Tiefbahnhof angebunden werden. Die Bauarbeiten für den Tunnel sollen 2026 beginnen, 2032 soll er fertig sein, so plant es die Deutsche Bahn.
Zwischen Horb und Neckarhausen wird die Gäubahn momentan zweigleisig ausgebaut. Auf anderen Abschnitten wird geplant, „aber eine Fertigstellung bis 2030 ist nicht realistisch“, erklärt ein Sprecher des Verkehrsministeriums in Stuttgart. Man setze sich für eine „zügige Realisierung“ ein.
Stuttgart 21: Stuttgart – Ulm

Während die S21-Neubaustrecke im Dezember in Betrieb geht und die Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm verkürzt, bleibt die Zukunft des Stuttgarter Hauptbahnhofs ungewiss. Ende 2025 soll der Tiefbahnhof fertig sein, „darauf sind sämtliche Planungen ausgerichtet“, erklärt ein Bahnsprecher. Auch die Pläne für den Deutschlandtakt gehen fest davon aus, dass Stuttgart 21 „einschließlich sämtlicher Zulaufstrecken“ bis 2030 fertig ist. Dazu zählt die P-Option, die den Tunnel aus Feuerbach mit dem aus Bad Cannstatt verbindet. Die Vorkehrungen dafür seien laut Bahn geschaffen worden, beschlossen wurde die Erweiterung jedoch erst in diesem Sommer.
„Es gibt Elemente, durch die die Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs nicht grundsätzlich gefährdet ist, aber erheblich erschwert wird“, sagt Gastel. Etwa der Abstellbahnhof in Untertürkheim, der seit Sommer gebaut wird. Ohne ihn sei S21 nicht zu betreiben. „Irgendwo müssen die Züge hin, sie können nicht im Tiefbahnhof warten.“