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Wenn der unfähige Rathauschef am Sessel klebt – Verein fordert Abwahl-Möglichkeit 

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In Baden-Württemberg fehlen gesetzliche Möglichkeiten, Bürgermeister bei schwerem Fehlverhalten abzuwählen. Der Verein „Mehr Demokratie“ fordert vor der Landtagswahl eine Reform der Gemeindeordnung.

Baden Württemberg und Bayern sind die beiden einzigen Bundesländer, in denen Bürgermeister nicht abgewählt werden können. Der Verein „Mehr Demokratie“ will das nun ändern. (Symbolbild)
Baden Württemberg und Bayern sind die beiden einzigen Bundesländer, in denen Bürgermeister nicht abgewählt werden können. Der Verein „Mehr Demokratie“ will das nun ändern. (Symbolbild)  Foto: Thomas Reimer

Zu dritt sind die drei Gemeinderäte aus Niederstetten nach Stuttgart gereist, von jeder Fraktion einer, um vor der Landespresse über ihren Fall zu berichten. Von der Unmöglichkeit, die Bürgermeisterin ihrer knapp 5000-Einwohner-Gemeinde vorzeitig aus dem Amt zu bekommen. Eine Bürgermeisterin, die durch eigenmächtiges und rechtlich fragwürdiges Agieren seit ihrem Amtsantritt 2019 in Windeseile Gemeinderat und Verwaltung gegen sich aufgebracht haben soll.

Fall Niedernhall: Verhältnis zwischen Bürgermeisterin und Gemeinderat hoffnungslos zerrüttet

Der gesamte Gemeinderat forderte ihren Rücktritt, die Verwaltung schrieb einen offenen Brief, die Kommunalaufsicht suspendierte die Bürgermeisterin, später führte ein Formfehler zur Aufhebung der Suspendierung. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Frau Anklage wegen Urkundenfälschung erhoben, die Kommunalaufsicht führt ein Disziplinarverfahren gegen sie, das allerdings derzeit wegen des laufenden Rechtsstreites ruht. Und das Verfahren kommt nicht voran.

In all den Jahren, sagt der Gemeinderat und einer der ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeister von Niederstetten, Ulrich Roth, sei dem Ort nachhaltiger Schaden entstanden. Die Sanierung der Schule sei liegen geblieben und die Beteiligung am internationalen Gewerbegebiet. Damit die Kommune überhaupt handlungsfähig war, mussten zwischenzeitlich die ehrenamtlichen Bürgermeister ran, eine Interimslösung und dann ein Amtsverweser. Das Verhältnis zwischen Bürgermeisterin – die derzeit wieder die Amtsgeschäfte führt – und dem Gemeinderat sowie der Verwaltung sei hoffnungslos zerrüttet, sagt Roth – der einzige Ausweg sei das Ende der Amtszeit im Februar 2026.

Warum ist eine Bürgermeister-Abwahl in Baden-Württemberg nicht möglich?

Doch warum können in Baden-Württemberg Bürgermeister nicht unter bestimmten schwerwiegenden Umständen – wie in allen anderen Bundesländern außer Bayern möglich – vorzeitig von den Bürgern abgewählt oder vom Gemeinderat abgesetzt werden? Der Verein „Mehr Demokratie“, will das schon lange ändern und unternimmt jetzt, vor der Landtagswahl, erneut einen Vorstoß, um von den Parteien im Land eine Änderung einzufordern. Denn auch in Burladingen, Mönsheim oder Appenweier beschäftigten zuletzt ähnliche Fälle Bürger und Öffentlichkeit. Die Vorwürfe reichten von Bestechlichkeit, Inkompetenz, Beleidigung bis hin zur Untreue und dem Übergehen des Gemeinderats.


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„Es gibt überhaupt nur ganz wenige Bürgermeister, die dem Amt nicht gerecht werden. Das sind entweder ganz junge, die in ihrer ersten Amtszeit sind, oder solche, die schon sehr lange im Amt sind. Es gibt ja den Spruch: In der ersten Amtszeit ein König, in der zweiten ein Kaiser, und in der dritten ein Gott“, sagt der „Mehr Demokratie“-Vorsitzende Edgar Wunder.

„Mehr Demokratie“-Vorsitzender fordert, Paragrafen in Gemeindeordnung einzufügen

„Was macht man mit diesen vergleichsweise wenigen Fällen, wenn gar nichts mehr geht?“ Wunder fordert, einen entsprechenden Paragrafen in die baden-württembergische Gemeindeordnung einzufügen. „Demnach soll der Gemeinderat mit sehr hoher Mehrheit – drei Viertel der Stimmen – ein Abwahlverfahren einleiten können; und es soll die Möglichkeit für ein Bürgerbegehren eingefügt werden, auch hier mit sehr hohen Hürden, um einen Bürgerentscheid über den Verbleib einer umstrittenen Amtsperson herbeiführen zu können. „Das wäre auch in Baden-Württemberg möglich, wenn man nur wollte“, sagte Wunder. „Aber dazu braucht es politischen Mut.“

Amtsenthebung

Zwar gibt es schon jetzt die Möglichkeit, einen Bürgermeister vorzeitig aus dem Amt zu entfernen – aber eben nicht durch die Bürger, um eine unmittelbare Neuwahl zu erzwingen. Über eine Amtsenthebung entscheidet ein Verwaltungsgericht auf Antrag des zuständigen Regierungspräsidiums – das seien oft jahrelange Verfahren, beklagt Wunder. „Wir brauchen eine tragfähige Regelung für den Konfliktfall. Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, Gemeinderat und Bürgermeister sollten sich halt einigen. Manchmal geht das eben nicht“, sagt Edgar Wunder. 

Die von den Kommunalverbänden stets angeführten Gegenargumente – eine Abwahlmöglichkeit würde die Position der Bürgermeister schwächen und zudem dazu führen, dass sich noch weniger Bewerber fänden – lässt Wunder nicht gelten. Wir wollen keinen Bürgermeister aus dem Amt kegeln. Niemand muss eine Abwahl fürchten, wenn er eine missliebige Entscheidung trifft oder nur mäßig erfolgreich ist, dazu wären die Quoren viel zu hoch“, so Wunder.

In Niederstetten, berichtet Gemeinderat Roth, habe bei den Bürgern eine Art innere Kapitulation eingesetzt, als klar wurde, dass man mit der Bürgermeisterin werde weitermachen müssen. „Ein Aufbegehren hätte womöglich mehr geholfen“, meint er.

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