Eine kleine Geschichte der Prostitution in Heilbronn
Das Geschäft mit der schnellen Liebe florierte in Heilbronn seit den 1960er Jahren. Ein Überblick zu käuflichem Sex in der Region - und Rotlichtgrößen wie Hannes Söhner.

Wäre es nach Bürgermeister Erwin Fuchs gegangen, dann würde vielleicht noch heute ein Liebesboot auf dem Neckar vor Anker liegen. 1969 wertet Fuchs den Vorschlag eines Unterländer Geschäftsmannes als "eine gute Idee". Nur: Das Boot kommt nicht. Die Stadt kann keinen geeigneten Standort finden, schreibt damals Uwe Jacobi, Reporter bei der Heilbronner Stimme.
Was die Verwaltung schon damals quält, ist das nächtliche Treiben auf dem Heilbronner Straßenstrich. Der findet in den 1960er Jahren laut Stimme noch im "berüchtigten Viereck Bad-, Holz-, Halbmond- und Frankfurter Straße" statt. 120 registrierte und rund 50 "wild tätige, leichte Mädchen" stellen sich ab 23 Uhr auf die Straße und warten auf Kundschaft. Diese nehmen lange Wartezeiten in Kauf und fahren bis zu 30 Mal auf und ab. Die Stadt verhängt Strafen und erklärt den Bereich zum Sperrbezirk.
Ende des Jahrzehnts zieht der Straßenstrich in Richtung Theresienstraße weiter. Dort eskaliert die Situation. Es tobt ein "Zuhälter-Krieg". So titelt 1973 diese Zeitung. Ein Prozess vor dem Landgericht Stuttgart gegen 18 Angeklagte folgt. Auf der Theresienstraße werde eine "organisierte Gewerbeunzucht" betrieben, lautet der Vorwurf. Zuhälter kontrollierten "Dirnen", die sich an einem festen Standplatz auf der Theresienstraße aufzustellen haben.
Landfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung und Handel mit "Hasch" folgen. In Neckarsulm-Obereisesheim beschießen Unbekannte ein Wohnhaus in dem ein Zuhälter vermutet wird. Dieser hält sich dort jedoch nicht auf. Seine Dogge wird jedoch erschossen. Die Stadt spricht von einem Notstand. Der Eröffnung eines "Dirnen-Wohnheims" in der Sontheimer Straße stimmt die Stadt zunächst nicht zu. Die Polizei befürchtet, dass sie "in einem außergewöhnlichen Maße" tätig werden müsse.
Letzten Endes sorgt ein Urteil vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart für Klarheit. Das Bordell S 3 eröffnet am 12. Februar 1973 seine Pforten und zieht im Februar 1982 ins S 7 um. Hinzu kommt das benachbarte C 6 in der Charlottenstraße. Heilbronn hat seine sündige Meile.
Fraglich bleibt, warum Hamburger Zuhälter Interesse am Rotlicht-Milieu in Heilbronn haben
Ein Grund könnte gewesen sein, dass durch die in Heilbronn stationierten US-amerikanischen Soldaten so mancher Dollar für ein Schäferstündchen mit einer Prostituierten liegenbleibt. Das hiesige Rotlichtmilieu sei eine Goldgrube gewesen, sagt einer, der die Szene von damals kennt. Die Geschäfte sind organisiert. Das Hamburger Milieu wähnt Reichtümer, die in Heilbronn zu holen seien. Hinzu kommt, dass auf dem Kiez aktive Zuhälter aus Baden-Württemberg in ihrer alten Heimat Fuß fassen wollen. Da die Geschäfte in St. Pauli rückläufig sind, drängt es einige ins Rotlicht-Eldorado nach Heilbronn.
Ein Mann sorgt in den 1980er Jahren weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Die Rede ist von Hans-Jürgen Söhner, den viele nur als "Hannes" kennen. Er betreibt das Bordell S 3 und das Hard-Rock-Café in der Neckarsulmer Straße. Einem Großteil der Region ist Söhner bekannt, weil er mit einem auffälligen amerikanischen Sportwagen der Marke Excalibur durch Heilbronn kurvt. Wenn er mit seiner Entourage in Heilbronns Diskotheken unterwegs ist, suchen viele seine Nähe.
Die Clique um Söhner ist eingeschworen. Wer in alten Zeiten schwelgt, verklärt zu oft die Vergangenheit. Nicht wenige neigen heute dazu, "den Hannes" zu glorifizieren. Tatsächlich handelt es sich um einen Zuhälter und Bordellbetreiber, der bereits in jungen Jahren zum Kriminellen avanciert. 1978 sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Ulm eine Haftstrafe ab. Nach seiner Entlassung baut er kontinuierlich das Milieu in Heilbronn auf. Charismatisch sei er gewesen. Nicht wenige Frauen fühlen sich wohl in seiner Nähe, sagen die, die ihn besser gekannt haben.
Mittendrin ist ein Mann, der bundesweit für Furore sorgt
Werner "Mucki" Pinzner geht als St.-Pauli-Killer in die bundesdeutsche Kriminalgeschichte ein. Auf sein Konto gehen fünf Morde, die ihm die Polizei nachweist. Elf Morde räumt er bei seiner Vernehmung ein. Im April 1986 verhaftet ein Sondereinsatzkommando den berühmt berüchtigten St.-Pauli-Killer in Hamburg. In einem Vernehmungsraum erschießt Pinzner drei Monate später zuerst den ermittelten Staatsanwalt Wolfgang Bistry, danach seine Frau und dann sich selbst. Der Vorfall beherrscht über Wochen die Schlagzeilen und gilt noch heute als einer der spektakulärsten Kriminalfälle in der Bundesrepublik Deutschland.
Der "Stern" widmet Söhner Ende 1986 eine Doppelseite. Ein Novum. Dagobert Lindlau, ehemaliger Chefreporter bei der ARD, schreibt ein Buch über Pinzner mit dem Titel "Der Lohnkiller", in dem auch Söhner eine Rolle spielt.
Das Hamburger Milieu ist dem Zerfall geweiht. Kokain vernebelt die Sinne der Luden. Habgier und Misstrauen regieren. Neue Märkte sollen erschlossen werden. Doch die Hamburger Zuhälter tun sich schwer, in Heilbronn Fuß zu fassen. Einer, der auch heute noch im Geschäft ist, sagt: "Da war ein Zusammenhalt da. Das Wort ,familiär‘ trifft es sehr gut." Polizei und das Milieu hätten sich gekannt. "Man hatte einen Überblick."
Werner "Mucki" Pinzner soll dem Abhilfe schaffen. Der damals 38-Jährige taucht am 20. Februar 1986 in Heilbronn auf. Das Kopfgeld für Söhner: 30.000 Mark. Zum Auftragsmord kommt es nicht. Söhner sei ein "Gerader" gewesen, zitiert Lindner den Profikiller in seinem Buch. Anders, als die Luden auf dem Kiez. Staatsanwalt Bistry möchte wissen, warum Pinzner in Heilbronn ist und reist zur Vernehmung Söhners von Hamburg an. Hier erzählt ihm Söhner, dass er von Pinzner gewarnt worden sei. "Gegen mich wird in Hamburg Politik gemacht. Ich sei der nächste, der fällig ist", wird der damals 36-jährige Söhner im "Stern" zitiert.
"Hannes" Söhner stirbt im Juni 1996. Auch knapp 20 Jahre nach seinem Tod ranken sich Gerüchte. Er soll versucht haben, über ein Fenster im Treppenhaus auf den Balkon und dann in seine Penthouse-Wohnung im Obergeschoss zu gelangen. Dabei stürzt er in die Tiefe. Andere glauben, jemand habe nachgeholfen. Die Polizei findet keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Angeblich soll der Hausschlüssel zu Söhners Wohnung unter der Fußmatte gelegen haben.
Zu Manne in den Europäischen Hof
Anders als in früheren Jahren gibt es in Heilbronn keine echte Rotlichtszene mehr. Prostitution bleibt aufs nackte Geschäft beschränkt. Einschlägige Treffpunkte wie Kneipen und Bars sind Geschichte.
Das ist zur Hochzeit des Rotlicht-Milieus anders. Mit den Bordellen an der Sontheimer Straße etablieren sich in deren Umfeld einschlägige Lokalitäten. Nachtschwärmer und das Milieu treffen sich im Europäischen Hof. Der liegt geographisch günstig am Rathenauplatz. Die Bordelle sind nur einen Steinwurf entfernt. Amerikanische Soldaten verkehren dort genauso wie Prostituierte und deren Zuhälter, die in den frühen Morgenstunden einen Feierabenddrink zu sich nehmen.
Manfred "Manne" Trost hat den Europäischen Hof seit Anfang der 1970er Jahre betrieben. Zu Beginn noch bis 2 Uhr. Irgendwann ist die Gaststätte rund um die Uhr geöffnet. "Ich hab alle gehabt. Sogar die Stadträte kamen zu mir", sagt der heute 82-Jährige.
Die Gruppe um Söhner seien wunderbare Kerle gewesen. "Die haben immer gut Trinkgeld liegenlassen." Amerikanische GIs hätten oft einen über den Durst getrunken. Trost erinnert sich, dass Steine, irgendwann ein Stuhl durch das Lokalfenster geflogen seien. Er erteilte ihnen Hausverbot. Seit den 1990er Jahren ist der Europäische Hof geschlossen.
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