Jamaika oder Neuanfang: Wie lange kann sich Laschet noch halten?
Die politische Zukunft von CDU-Chef Laschet hängt am seidenen Faden. Doch selbst für den Fall, dass der Union noch eine Koalition mit FDP und Grünen gelingt, gibt es schon einen Plan B.

Peinlicher Realitätsverweigerer, klarer Wahlverlierer, wer sagt Armin Laschet, dass es vorbei ist? Am Tag zwei nach dem historischen Unionsdesaster bei der Bundestagswahl ist die Kommentarlage für den CDU-Chef katastrophal.
Selbst in der eigenen Parteispitze heißt es zur Frage, ob der schwer angezählte Kanzlerkandidat am Ende doch noch eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP schmieden und sich ins Kanzleramt retten kann: „Das wird sehr, sehr schwer.“ In der Unionsfraktion werden an diesem Dienstagabend wichtige Weichen gestellt - unabhängig davon, ob die Union in die Opposition stürzt oder es noch in die Regierung schafft.
Die Dynamik in den Unionsparteien ist immens. Zwar glaubt ein Teil auch in der CDU-Spitze eher nicht, dass Laschet schnell aus dem Amt als Parteichef gefegt werden könnte. Solange SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz noch keine Ampel-Regierung mit Grünen und FDP gebildet hat und noch eine Machtoption für Laschet und die Union besteht, werde der NRW-Ministerpräsident kaum hinwerfen. Wie Laschet kämpfen kann, habe er schon mehrfach unter Beweis gestellt. Zumal es für ihn (wieder) um alles oder nichts gehe. Eine Rückkehr nach Düsseldorf im Falle eines Scheiterns in Berlin hatte er ausgeschlossen.
Am Dienstagmittag machen dann passend zur allgemeinen Lage neue Gerüchte in Berlin die Runde: So wünschten sich Teile der CDU, dass CSU-Chef Markus Söder bei möglichen Jamaika-Verhandlungen eine führende Rolle übernehme, um sich im Erfolgsfall für die Wahl zum Bundeskanzler aufstellen zu lassen, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aus der CSU-Landesgruppe heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, es gebe hierzu keine Bestrebungen, das Drängen komme aus einigen CDU-Landesgruppen.
Tatsache ist, dass Söder in der Unionsfraktion schon im April im Machtkampf mit Laschet um die Kanzlerkandidatur großen Rückhalt erfahren hatte. Damals ergriffen auch viele CDU-Abgeordnete das Wort für den bayerischen Ministerpräsidenten. Söder berichtete später auch von Zuspruch aus der CDU-Basis, sogar von Personen, die er zuvor nicht einmal gekannt hatte. In München stößt das neueste Gerücht auf durchaus offene Ohren. „Der Gedanke hat Charme“, heißt es etwa.
Die Nachrichtenlage am Dienstag lässt erahnen, wie groß der Druck auf den Bergmannssohn Laschet ist. Und aus seiner Sicht ist zu befürchten, dass er noch weiter zunehmen wird. Dies zeigt sich schon im Vorlauf für die anstehende Wahl des neuen Unionsfraktionschefs am Abend. Ginge es nach Laschet wäre der machtbewusste bisherige Fraktionschef Ralph Brinkhaus wegen der aktuell offenen Lage zunächst nur bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages am 26. Oktober kommissarisch im Amt geblieben. Doch Brinkhaus reagierte empört - er will sich wie üblich für ein Jahr wiederwählen lassen.
Hinter Laschets Plan dürfte dabei nicht das Ziel stecken, den Posten direkt selbst zu übernehmen, wie dies Angela Merkel 2002 gemacht hatte, als die Union mit dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) gegen den SPD-Mann Gerhard Schröder gescheitert war. Laschet will erreichen, dass die Personalie offen bleibt, bis die Regierungsbildung entschieden ist: In der Opposition wäre der Fraktionsvorsitz neben dem Parteivorsitz das wichtigste Amt, das die Union zu vergeben hat.
In der Folge erwächst aus der Wahl des Fraktionschefs eine Art Machtkampf. Zwischenzeitlich sieht es so aus, als könnte es sogar auf eine Kampfabstimmung hinauslaufen, neben Brinkhaus sind auch die Namen von Jens Spahn, Norbert Röttgen und Friedrich Merz zu hören.
Während Laschet eine Kampfkandidatur verhindern will, gibt sich Söder in Berlin vor Journalisten deutlich gelassener. Es werde noch besprochen, welche Lösung die beste und konsensfähig sei. Wenn es keinen Konsens gäbe, wäre es aber kein Beinbruch, wenn gewählt werde. „Das ist der Normalfall der Demokratie.“ Die CSU wolle keinem Abgeordneten das Recht vorenthalten, im Zweifel zu wählen oder zu kandidieren. In der aufgewühlten Union zeigt schon das Vorspiel der Wahl, welch unterschiedliche Interessen es gibt und belegt auch, dass der CDU-Chef längst nicht alleine entscheiden kann.
Wie schon beim Machtkampf von Söder und Laschet im April beginnt somit erneut eine mit Spannung erwartete Sitzung der Unionsfraktion, bei der beide Parteichefs anwesend sind. Nachdem die Fraktion wegen der Wahlpleite deutlich geschrumpft ist, dürfte die Stimmung ohnehin nicht die beste sein. Und Laschets Machtposition dürfte sich nach der Niederlage nochmals deutlich verringert haben.
Mit neuen Spitzen hatte sich Söder direkt nach dem Desaster vom Sonntag zurückgehalten - offen ist, wie lange das so bleibt. Nicht nur der mächtige Bayer, auch viele in der CDU befürchten, Laschet könnte auch das nach 16 Jahren Ära von Angela Merkel noch übrige konservative „Tafelsilber“ verschleudern und etwa den Grünen in Jamaika-Verhandlungen so symbolträchtige Erfolge wie die Einführung eines Tempolimits 130 zugestehen. Oder in der Unions-Kernkompetenz Innere Sicherheit und Migration zu große Zugeständnisse machen.
Söder selbst reagiert am Dienstagnachmittag auf die neusten Gerüchte über seine Person ähnlich ausweichend wie schon vor Monaten, als er öffentliche Aussagen zu seinen Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur regelmäßig weglächelte: Er habe jetzt seine Aufgaben hier als Parteivorsitzender, sagt Söder. „Alles andere ist eine Spekulation, die, glaube ich, keinen Nährboden hat.“
Söder weiter: „Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz - eindeutig.“ Auch das kann man als Seitenhieb auf Laschet verstehen, der im Gegensatz zu vielen anderen in der CDU (und in der CSU) die Niederlage der Union noch immer nicht recht öffentlich zugestanden hat. Es sei, so Söder, daher wichtig, das Wahlergebnis zu respektieren. Daher wolle er auch Scholz dazu gratulieren, dass die SPD die meisten Stimmen bekommen habe. Von Laschet sind derartige Glückwünsche noch nicht bekannt.