Shitstorm wegen Küken: "Schnell reagieren hätte geholfen"
Die Buga stand über Tage in der Kritik, weil Entenküken im Floßhafen ertrunken sind. Wie die Verantwortlichen besser mit dem Shitstorm hätten umgehen können, erklärt der Social-Media-Experte Philipp Rauschnabel.

Tote Küken auf dem Gelände der Bundesgartenschau (Buga) in Heilbronn haben im Internet eine Welle der Empörung (engl. Shitstorm) ausgelöst. Die Buga stand über Tage in der Kritik. Professor Philipp Rauschnabel erklärt, warum.
Wie lässt sich ein Shitstorm einfangen?
Philipp Rauschnabel: Generell gilt: Eine schnelle und ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe, ohne den Anschein zu erwecken, etwas vertuschen zu wollen, wirkt am ehesten. Es hilft, sich rasch und ehrlich zu entschuldigen, idealerweise in Verbindung mit konkreten Aktionen, die zeigen, dass man das Ganze ernst nimmt.
Wundern Sie die Reaktionen im Internet?
Rauschnabel: Nicht wirklich. Die Buga ist wie fast jedes Großprojekt nicht unumstritten. Da löst ein emotionales Thema bei einigen Menschen noch größeren Unmut aus. Für sie ist ein solcher Vorfall ein "Beweis" gegen die Buga.
Das mobilisiert so viele Menschen?
Rauschnabel: Bei Shitstorms suchen viele Nutzer selektiv nach Hinweisen, die ihre persönliche Meinung bestätigen. Das wird dann geliked, bestätigt und geteilt.

Hängt das vom Thema ab?
Rauschnabel: Häufig lösen Mängel in Qualität und Service einen Shitstorm aus. Im konkreten Fall ärgern sich die Menschen über Pannen in der Kommunikation und als unethisch wahrgenommenes Verhalten. Es handelt sich immer um die subjektive Wahrnehmung einzelner. Das erkennt man in diesem Fall ganz gut.
Was genau ist denn da passiert?
Rauschnabel: Nutzer pochen darauf, dass Leben schützenswert ist und eine zugegebenermaßen unglückliche erste Reaktion des Geschäftsführers dessen Rücktritt rechtfertigt. Andere sehen das Ereignis als verzeihbares Unglück, wieder andere als Lappalie, über die viel zu intensiv diskutiert wird.
Reicht ein Vergehen für Empörung?
Rauschnabel: Ein kleiner Auslöser führt nicht gleich zu einem Shitstorm. Wenn aber reichweitenstarke Gruppen involviert sind, das Thema Emotionen hervorruft oder der Verursacher aus Nutzersicht arrogant oder überheblich reagiert, folgen negative Kommentare.
Wie war es beim Küken-Vorfall?
Rauschnabel: Die Nutzer werfen dem Buga-Geschäftsführer das Zitat: "Es sind doch nur Enten" vor. Er habe zudem seine Macht ausgenutzt, indem er das Hausverbot gegen die Tierrettung aussprach. Es tritt der sogenannte Robin-Hood-Effekt ein. Viele Nutzer formen sich zu einer Gruppe mit starkem Zusammenhalt. Sie kämpfen als "Social Warriors" für das aus ihrer Sicht Richtige.
Das entwickelt eine eigene Dynamik.
Rauschnabel: Weitere Gruppen kommen hinzu. Diejenigen, die die Kritik unsachgemäß finden und gegen die Tierrettung hetzen, oder diejenigen, die schlichten und etwas mehr Sachlichkeit in die Diskussion bringen möchten. Menschen neigen nun dazu, Inhalte, die der eigenen Sicht entsprechen, als glaubhaft und die der anderen Gruppen als Unwahrheit abzustempeln.
Wie hätte die Buga richtig reagieren sollen?
Rauschnabel: Sie hätte schneller reagieren und der Tierrettung öffentlich und mit Nachdruck für deren Einsatz danken können. Zusammen hätte man nach einer gemeinsamen Lösung suchen können.
Und wenn sich die Empörung trotzdem nicht aufhalten lässt?
Rauschnabel: Die Buga-Verantwortlichen hätten Aussagen transparent und konkret klarstellen können. Bei vielen Nutzern kamen sie nie an. Die Krisenkommunikation lief außerhalb des Internets, ein Shitstorm spielt sich aber im Internet ab.
Die Bewertungen auf Facebook fielen in den Keller.
Rauschnabel: Ja. Wenn in kurzer Zeit viele extreme Bewertungen auftreten, filtert Facebook diese aus. Viele Nutzer dachten, die Buga hätte zensiert, da dies in das aus ihrer Sicht unethische Verhalten passt. Das hat die Stimmung nochmal angeheizt. Die Buga versicherte mehrfach bei Facebook, keine Kritik gelöscht zu haben.
Kennen Sie Beispiele von guter Shitstorm-Bewältigung?
Rauschnabel: Viele professionalisierte Unternehmen haben Notfallpläne und standardisierte Prozesse, wie man in so einem Fall reagiert.
Kann es eine gute Taktik sein, sich nicht zu äußern?
Rauschnabel: In der Regel verschlimmert Schweigen die Situation. Erst kürzlich hatte Lego einen Shitstorm, zu dem sich das Unternehmen erst gar nicht und dann nur sehr vage geäußert hatte. Der Shitstorm zog sich über Wochen hinweg.
Wie ist die Empörung zu werten?
Rauschnabel: Man sollte jede Kritik ernst nehmen. Es gibt Fälle, in denen Unternehmen enorme Umsatzeinbrüche auf Ärger im Internet zurückführen. Das trifft Branchen, in denen Online-Rezensionen besonders wichtig sind wie Hotels oder Restaurants.
Hat der Fall der Buga geschadet?
Rauschnabel: Das ist ein öffentliches Großprojekt. Ich gehe nicht von einem starken finanziellen Schaden aus. Für künftige Projekte ist es wichtig, Vertrauen und Rückhalt der Bevölkerung zu bekommen. Die Buga sollte aus dem Shitstorm lernen und ähnliche Kommunikationspannen in Zukunft vermeiden.
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Zur Person: Professor Dr. Philipp Rauschnabel forscht seit 2018 an der Universität der Bundeswehr München zu Themen wie Social Media und Digitales Marketing. Davor war er an der Universität in Michigan (USA) und publizierte eine Studie zu Shitstorms. Der 34-Jährige lebt in München, ist verheiratet und hat ein Kind. 2004 machte er Abitur am Heilbronner Mönchsee-Gymnasium.
Auf unserer Webseite Buga aktuell finden Sie weitere Informationen über die Heilbronner Bundesgartenschau 2019 und Hintergrundberichte. Dazu gibt es 360-Grad-Rundgänge über das Gartenschau-Gelände und Vorher/Nachher-Aufnahmen von der Entstehung der Buga.
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