Kohle statt Erdgas: Rückgriff auf den Klimakiller
Weil Russland seine Gaslieferungen stark reduziert hat, setzt Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) auf einen Energieträger, der seine Zukunft eigentlich längst hinter sich hat: Vorübergehend soll in der Stromproduktion verstärkt Kohle statt Erdgas zum Einsatz kommen.


Nach und nach dreht Russlands Machthaber Wladimir Putin Westeuropa den Gashahn zu. Auch Deutschland bekommt seit der vergangenen Woche deutlich weniger Erdgas geliefert. Wenn es schlecht läuft, gelingt es nicht, die Gasspeicher für den Winter zu füllen. "Die Versorgungssicherheit ist aktuell gewährleistet. Aber die Situation ist ernst", sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Um den Gasverbrauch zu senken, sollen bei der Stromproduktion wieder Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Ein Überblick.
Wie stellt sich die Lage beim Gas-Import aus Russland dar?
Russland hatte vergangene Woche den Gastransport nach Deutschland durch die Pipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt. Offiziell sind technische Probleme die Ursache. Tatsächlich dürfte das Vorgehen eine Reaktion auf die Unterstützung des Westens für die Ukraine sein, gegen die Russland einen Angriffskrieg führt. Die Bundesnetzagentur betonte am Montag in ihrem Lagebericht, dass die Gasversorgung in Deutschland weiterhin stabil sei. Die von Lieferausfällen betroffenen Unternehmen könnten diese Mengen anderweitig am Markt beschaffen, müssten aber höhere Preise bezahlen. Die Füllstände der deutschen Gasspeicher lägen jetzt bei 57,57 Prozent.
Kann Kohle Erdgas ersetzen?
Wirtschaftsminister Robert Habeck will erreichen, dass im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich eingespart wird, um die Speicher für den Winter zu füllen. Für die Industrie sind Auktionen geplant, die Anreize zum Gassparen setzen sollen. Bei der Stromerzeugung sollen Gaskraftwerke, die im vergangenen Jahr noch rund 15 Prozent der hiesigen Produktion ausmachten, so weit wie möglich von Kohlekraftwerken aus dem Markt gedrängt werden - obwohl Kohlekraftwerke schlechter fürs Klima sind. "Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken", sagt Habeck.
Wie soll das praktisch gehen?
Die Regierung hat Anfang Juni einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der das Ziel hat, Ersatzkraftwerke in Betrieb nehmen zu können, wenn das Gas knapp wird. Er befindet sich im parlamentarischen Verfahren und soll so schnell wie möglich verabschiedet werden. Geplant ist, befristet bis zum 31. März 2024, eine Gasersatz-Reserve einzurichten. Heruntergefahrene Kraftwerke aus der Netzreserve (Steinkohle und Öl) sowie aus der Sicherheitsbereitschaft (Braunkohle) sollen von den Betreibern ertüchtigt werden, um bei Bedarf Strom zu produzieren.
Will Deutschland nicht aus der Kohle aussteigen?
Die Kohleverstromung soll bis 2038 eingestellt werden. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es, dass dies "idealerweise" sogar schon bis 2030 über die Bühne gehen solle. Daran soll auch nicht gerüttelt werden: "Der Kohleausstieg 2030 wackelt überhaupt nicht. Es ist wichtiger denn je, dass er 2030 über die Bühne geht", erklärte ein Sprecher des Ministeriums am Montag. Um sich von Kohle und Gas unabhängig zu machen, will die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. Wenn jetzt vorübergehend Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen, werden diese zwangsläufig Gaskraftwerke verdrängen, da Kohleverstromung billiger ist.
Was sagt die Wirtschaft dazu?
Industriepräsident Siegfried Russwurm unterstützt Habecks Vorgehen. "Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt." Die Befüllung der Gasspeicher müsse Priorität haben. Unternehmen müssten kurzfristig von Gas auf andere Energieträger umstellen, wo das gehe. Eine Reihe industrieller Prozesse funktioniere aber nur mit Gas. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup, sagte, Deutschland müsse zügig alle Möglichkeiten nutzen, Gas da einzusparen, wo es ersetzbar sei. Vor allem beim Umstieg der Stromgewinnung auf Kohle müssten umgehend alle Kapazitäten genutzt werden können.
Was plant die EnBW konkret?
Im Karlsruher Energiekonzern laufen die Planungen, seit der Gesetzentwurf vorgelegt wurde, wie ein Sprecher berichtet. Unter anderem liegt die geplante Anmeldung des Karlsruher Kohlekraftwerk-Blocks RDK 7 zur Stilllegung vorerst auf Eis. Fünf Kohle-Blöcke der EnBW befinden sich derzeit im Reserve-Status: Heilbronn 5 und 6, Altbach 1 und Walheim 1 und 2. Zurzeit werde geprüft, wie Beschaffung, Logistik und Lagerung der Kohle organisiert werden könnten - der Gesetzentwurf sieht auch größere Reserven als normal vor Ort vor.
Was könnte das größte Problem werden?
Das Personal. "Unsere Personalplanung sieht vor, dass die Technologie endlich ist, und ist daher auf einen allmählichen Abbau ausgerichtet", erklärt der EnBW-Sprecher. Sprich: Immer mehr erfahrene Kraftwerksmitarbeiter gehen in Ruhestand. Nun müsse geprüft werden, wie qualifiziertes Personal gehalten oder gewonnen werden kann - und wie lange es überhaupt gebraucht wird.
Und die Pläne für das Gaskraftwerk Heilbronn?
Sind erst einmal nicht betroffen. "Stand jetzt sehen wir keine Beeinflussung", erklärt der Sprecher. "Wir gehen da von zwei verschiedenenen zeitlichen Schienen aus - einer kurzfristigen zur Behebung des Gas-Engpasses und einer mittel- bis langfristigen für die künftige Energieversorgung."






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