Wegen Sparkurs: Gereizte Stimmung bei VW in Wolfsburg – jetzt stehen Tarifverhandlungen an
Ein Besuch in Wolfsburg zeigt, dass die Volkswagen-Angestellten angesichts der Krise sehr angespannt sind. Was der Sparkurs für die nun anstehenden Tarifverhandlungen bedeutet.
Zwischen 14 und 15 Uhr herrscht reges Treiben am Tor 6 des VW-Werks in Wolfsburg. Schichtwechsel. Die einen gehen nach Hause, die anderen kommen zur Arbeit. Gedanken machen sich die meisten Angestellten in diesen turbulenten Wochen. Europas größter Autobauer, der in Deutschland rund 120.000 Menschen Arbeit gibt, steckt in der Krise. Von Entlassungen und Werkschließungen ist die Rede.
„Dass die Chefs jetzt die Beschäftigungssicherung gekündigt haben, ist ein Hammer“, sagt Paul Engelhard, der im Stammwerk des Autobauers in der Golf-Produktion arbeitet. Schon sein Vater hat bei Volkswagen gearbeitet, so wie das bei vielen Familien in der Gegend der Fall ist. Wolfsburg ist Volkswagen und Volkswagen ist Wolfsburg. Wenn der Autobauer Schnupfen hat, bekommt die gesamte Region schnell eine Grippe. Im schlimmsten Fall ganz Niedersachsen oder gar die gesamte Republik, nachdem auch bei anderen Marken der Motor stottert.
Volkswagen will aus der Krise: Produktivität bei VW soll hoch, Kosten runter
Krise hin, Krise her, die IG Metall fordert selbstbewusst sieben Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten. Denn an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern läge es nun wahrlich nicht, sagt Betriebsratschefin Daniela Cavallo: „Der Vorstand hat versagt.“ Die Stimmung ist gereizt in Wolfsburg.

An diesem Mittwoch (25. September) starten die Tarifverhandlungen in Wolfsburg. Auch Rainer Schirmer ist vor Ort. Der Betriebsratschef des Audi-Werks in Neckarsulm will sich zu den Verhandlungen nicht äußern. Gleichwohl „stehen wir solidarisch zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen bei VW“.
Finanzen bei Volkswagen: VW wirbt mit Flugblatt für Einsparungen
Bandarbeiter Paul Engelhard erzählt von einem Flugblatt, das das Unternehmen am Dienstag verteilt hat. „Wir müssen die Produktivität steigern. Wir müssen unsere Arbeitskosten senken“, heißt es auf dem an sechs Standorten verteilten Papier. „Volkswagen produziert in Deutschland zu teuer“, schreibt VW. Zudem habe der Konzern mit Überkapazitäten zu kämpfen. Aussagen zu konkreten Sparmaßnahmen machte VW nicht. Allerdings sollen Investitionskürzungen eine mögliche Reaktion sein.
Stehen 30.000 Stellen bei Volkswagen auf der Kippe?
Im ganzen VW-Konzern türmen sich die Probleme. Allerdings ist die Kernmarke Volkswagen aus Sicht der Unternehmensführung derzeit die größte Baustelle. Deren Chef Thomas Schäfer wollte ursprünglich bis 2026 mindestens zehn Milliarden Euro einsparen, um die Rendite auf 6,5 Prozent anzuheben. Im ersten Halbjahr lag sie bei mickrigen 2,3 Prozent.
Nun will oder muss Schäfer, je nach Betrachtungsweise, mehr Geld sparen. Der Absatz schwächelt, der Hochlauf der Elektromobilität stockt. Nachdem die Beschäftigungssicherung gekündigt wurde, geht an den VW-Standorten die Angst um. Ab Juli 2025 sind betriebsbedingte Kündigungen möglich. In einem Medienbericht war unlängst von 30.000 Stellen die Rede, die auf der Kippe stehen sollen.
Abfindungsprogramme und Vorruhestandsregelungen von zu wenigen unterschrieben
„Die Zahl ist völlig überzogen. Ich halte maximal die Hälfte für realistisch. Und dann wird erst mal geschaut, dass das sozialverträglich abläuft“, sagt ein Aufsichtsratsmitglied einer anderen Konzernmarke. Aber das gehöre nun dazu, dass alle Seiten im Vorfeld der Tarifverhandlungen mit den Säbeln rasseln. Die Zahl habe sicher jemand bewusst gestreut, um Druck auf die IG Metall auszuüben.
Abfindungsprogramme und Vorruhestandsregelungen gibt es bereits zuhauf. Nur: Unterschrieben haben dem Vernehmen nach immer noch deutlich zu wenige. „Warum soll man überhaupt an der Mannschaft sparen?“, fragt ein Techniker aus Wolfsburg, der lieber anonym bleiben will und auf die noble Marke Audi schimpft. „Die geben fünf Milliarden Euro für die Formel 1, da könnten wir auch zwei, drei neue Autos entwickeln.“
Kooperation von Volkswagen mit chinesischem Partner
Und neue Modelle müssen in der Tat dringend her, vor allem für den größten Markt China. Dort fallen insbesondere die E-Autos bei den Kunden durch – egal, ob es um Design oder Technik geht. Volkswagen setzt daher, wie auch Audi, in Zukunft noch mehr auf Kooperationen. Zusammen mit Xpeng, einem erst 2014 gegründeten Hersteller von E-Autos, arbeiten die Wolfsburger an einer neuen Software- und Elektronikarchitektur.
Bis 2026 sollen mit dem neuen Partner zwei Stromer für die Mittelklasse zur Serienreife gebracht werden. Zudem wird im ostchinesischen Hefei ein neues Entwicklungszentrum gebaut. Dort sollen Stromer entstehen, die auf dem neuesten Stand der Technik sind, aber zugleich einfacher und kostengünstiger gebaut werden können. Wichtigster Faktor in China ist ohnehin die Zeit. Künftig soll die Entwicklung eines neuen Autos im Reich der Mitte maximal drei Jahre in Anspruch nehmen – ein Jahr weniger als in Europa.
Wie die neuen Stromer aussehen sollen, das haben sich die Vorstände und Aufsichtsräte vor einigen Monaten angeschaut – an einem der vielleicht geheimsten und streng gesichertsten Orte im gesamten VW-Konzern. Ein Ort, der sich auf dem riesigen Werkgelände in Wolfsburg befindet. Ein großer, fensterloser Raum mit enormer Video-Leinwand und Drehtellern, die in den Boden eingelassen sind.
„VW braucht einen echten Durchbruch“
Diesen Ort nennen sie intern ehrfürchtig „Walhalla“. In der nordischen Mythologie ist damit der Ruheort gefallener Kämpfer gemeint. Walhalla von Volkswagen befindet sich im Herzen des Designzentrums. Dort wird den Entscheidern in regelmäßigen Abständen präsentiert, was in einigen Jahren auf die Straße kommen soll. Dort werden Karrieren angeschoben. Oder beendet.
Klar: Das Produkt muss passen. Aber für VW-Markenchef Thomas Schäfer geht es vor allem um Kosten, Kosten und noch einmal Kosten. Im Mittelpunkt stehen dabei hohe Produktionsausgaben, die unflexible Struktur und die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit in einer sich wandelnden Automobilwelt wiederherzustellen.
Nicht wenige bemängeln sehr offen, dass der Konzern „ein Tanker“ sei, man aber „ein Schnellboot“ in der heutigen Zeit brauche. Die zentrale Botschaft von Schäfer ist klar: „VW braucht einen echten Durchbruch.“ Er möchte VW wieder an die Spitze des globalen Volumenmarkts führen.
Marke VW will die Menschen mit "ikonischen Autos" begeistern
Die Marke solle als führender Hersteller für ikonische Autos wahrgenommen werden, die Menschen begeistern. Dabei sei es von entscheidender Bedeutung, den starken Produktionsstandort Deutschland zu sichern. „Wir wollen VW wieder zurück an die Spitze bringen – als führender globaler Autobauer im Volumensegment, mit einer starken deutschen Basis“, erklärt Schäfer. Gleichwohl sagte er unlängst in einer Betriebsversammlung, dass Volumen für zwei Werke fehle. „Der Markt ist einfach nicht mehr da.“

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