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Nato-Bündnisfall
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Unfallchirurg mit deutlichen Worten: Bricht Krieg aus, kann Deutschland die Verletzten nicht versorgen

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Die Versorgung von Kriegsverletzten muss geübt werden, etwa falls der Nato-Bündnisfall eintreten sollte. Doch die Politik interessiere das wenig, kritisiert der Unfallchirurg Dietmar Pennig.

Kriegsverletzungen, hier eine Szene aus der Ukraine, sind häufig schwerwiegend. Ärzte müssen speziell geschult werden, um den Umgang damit zu lernen.
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Kriegsverletzungen, hier eine Szene aus der Ukraine, sind häufig schwerwiegend. Ärzte müssen speziell geschult werden, um den Umgang damit zu lernen. Foto: dpa  Foto: Inna Varenytsia

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das Gesundheitssystem nach eigenen Worten für den "militärischen Bündnisfall" wappnen. Gleichzeitig bereitet er eine große Krankenhausreform vor, die ein solches Krisenszenario nicht mitdenkt. "Das ist ein Zustand, der so nicht geht", sagt Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Ist das deutsche Gesundheitssystem gewappnet für den Ernstfall? Also ein Szenario, in dem im Bündnisfall Soldaten aus Deutschland und Nato-Ländern in großer Zahl medizinisch versorgt werden müssten?

Dietmar Pennig: Nein, es hapert an allen Ecken und Enden. Die Politik kümmert sich darum, Waffensysteme anzuschaffen und sie kümmert sich inzwischen auch darum, wie die Bundeswehr im Ernstfall auf mehr Personal zugreifen kann. Im Bereich der medizinischen Daseinsvorsorge sieht es gänzlich anders aus. Die Politik glaubt, dass sie die zum Nulltarif bekommt. Das ist in meinen Augen grob fahrlässig.


Bitte erläutern Sie das.

Pennig: Wir rechnen damit, dass sich im Bündnisfall 700.000 Soldaten auf dem Territorium der Bundesrepublik versammeln würden. Wir haben nicht genügend Kasernen, um sie unterzubringen und mit der Krankenhausreform sollen auch noch Krankenhäuser geschlossen werden. Die Amerikaner fragen uns angesichts dessen, ob wir noch zu retten sind und wo wir denn eigentlich im Ernstfall die Verletzten versorgen wollen.


Inwieweit tauschen Sie sich als Mediziner mit den Amerikanern und anderen Nato-Partnern aus?

Pennig: Wir bekommen über unseren wehrmedizinischen Beirat und unsere Bundeswehrärzte Informationen im Nato-Kontext und tauschen uns aus. Da werden wir schon gefragt, ob wir es uns leisten können, Krankenhausbetten, insbesondere im chirurgischen Bereich, zu verlieren, wie das im Zuge der Krankenhausreform geplant ist. Wir müssen in meinen Augen eine militärische Bedrohungslage als realistisch annehmen. Je schwächer die Ukraine wird, desto realistischer wird es, dass sich der Krieg auf die baltischen Staaten ausweitet, und die gehören zum Nato-Territorium. Es ist auch gegenüber der deutschen Bevölkerung unerlässlich und fair, dass wir uns vorbereiten.


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Wie kann die Vorbereitung aussehen?

Pennig: In den USA rotieren zum Beispiel jedes Jahr 50.000 Ärztinnen und Ärzte aus zivilen Einrichtungen für sechs Monate in Militärkrankenhäuser. Das Programm wird staatlich bezahlt. Ärzte brauchen eine anders geartete Ausbildung, wenn sie es mit Kriegsverletzten zu tun haben. Im Bündnisfall wären die Kapazitäten in unseren fünf Bundeswehrkrankenhäusern und den neun BG-Unfallkliniken, wo das Personal auch mit solchen Verletzungen umgehen kann, innerhalb von 48 Stunden aufgebraucht. Die Nato-Statistik sagt, auf einen Toten kommen zehn Verletzte, da kann man sich das ausrechnen.


Was unterscheidet die Versorgung von Kriegsverletzungen von Medizin in Friedenszeiten?

Pennig: Wir haben innerhalb unseres Traumanetzwerks, in dem 650 Kliniken in Deutschland zusammengeschlossen sind, bislang etwa 1000 Kriegsverletzte aus der Ukraine versorgt, ausschließlich Schwer- und Schwerstverletzte. Die Menschen haben Explosionsverletzungen, ihre Körperoberfläche ist durchdrungen, die darunter liegenden Strukturen, also Knochen, Gefäße, Nerven geschädigt. Soldaten, die von Langwaffen getroffen wurden, haben große Löcher an der Körperoberfläche und in den Weichteilen. Zivilisten haben teilweise noch schlimmere Verletzungen, denn sie haben ja nicht gelernt, sich zu schützen. Bei vielen Verletzten sehen wir auch multiresistente Keime und Antibiotika-Resistenzen. Das heißt, sie sprechen auf kein Antibiotikum mehr an.


Inwieweit wird die Versorgung solcher Verletzungen geübt?

Pennig: Wir als medizinische Fachgesellschaft haben vor einigen Jahren aus eigener Initiative damit begonnen, die Versorgung solcher Verletzungen in speziellen Kursen zu üben. Hintergrund damals war die Terrorwelle in Europa und die besorgniserregenden Amokfälle. In diesem Zuge haben wir auch Kurse zu Terror- und Katastrophen-Medizin aufgelegt und inzwischen etwa 1000 Chirurginnen und Chirurgen geschult. Das bezahlt uns niemand, kein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kein Verteidigungsministerium. Die Teilnehmer oder ihre Krankenhäuser müssen die Kurse selbst finanzieren. Genauso sieht es mit Übungen für Krankenhäuser aus.


Das heißt, es gibt keine strukturierten Katastrophenübungen?

Pennig: Das heißt, dass nichts davon politisch budgetiert ist. Man geht davon aus, dass die Krankenhäuser Übungen aus ihrem laufenden Budget zahlen. Das ist natürlich Humbug, denn den meisten Kliniken geht es finanziell ohnehin nicht gut. Es gibt bisher nur ein einziges Bundesland, das ein jährliches Budget für solche Übungen zur Verfügung stellt, das Saarland, 50.000 Euro. Wenn man das Personal, das sind auch Pflegekräfte, Büromitarbeiterinnen, die Serviceleute, umfassend schulen will für Bedrohungslagen und dafür ein Krankenhaus mittlerer Größe etwa einen Tag lang vom Netz nimmt, sind das Kosten von etwa 100.000 Euro.


Zur Person: Professor Dietmar Pennig (68) ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Bis zu seinem Ruhestand war er Chefarzt an einer Klinik in Köln.

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