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Plattform-Experte zu Twitter: "Elon Musk kennt keine Regeln und das ist gefährlich"

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Mit Faszination, Erstaunen und professionellem Blick schaut der Plattformforscher Matthias Kettemann auf Elon Musk und was er mit Twitter anstellt. Nicht nur Twitter entferne sich zunehmend von demokratischen Werten. Warum das so ist und wie die EU gegensteuern will.

Soziale Netzwerke spielen eine wichtige Rolle für Russinnen und Russen, um an unabhängige Informationen zu gelangen.
Soziale Netzwerke spielen eine wichtige Rolle für Russinnen und Russen, um an unabhängige Informationen zu gelangen.  Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa

Obwohl Elon Musk erst seit zwei Monaten neuer Twitter-Chef ist, sorgt er bei Plattformforschern wie Matthias Kettemann für Hochkonjunktur. "Es gibt für ihn einfach keine Regeln und das ist bei einer Plattform wie Twitter sehr gefährlich." Der Dienst habe zwar im Vergleich zu Meta wenige Nutzer, diese seien aber größtenteils Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. "Das ist ein mächtiger Resonanzraum."


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Kettemann erforscht am Berliner Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft, welche Rolle demokratische Werte für die Plattformen spielen. "Es gibt Plattformen, die sich nicht an Recht und Gesetz halten und so tun, als ginge sie das nichts an." Ein typisches Beispiel sei der Messenger Telegram, der in Dubai sitzt und für deutsche Behörden so gut wie nicht erreichbar ist. "Die machen gerade so viel, dass es Regierungen schwer fallen würde, Telegram zu verbieten."

Elon Musk testet mit Twitter, ob die EU ihre Gesetze durchsetzt

Ein weiteres Beispiel ist für Kettemann die Kurzvideo-Plattform Tiktok. Das Unternehmen halte sich zwar in der Regel an Gesetze, stelle aber den eigenen Profit ganz vorne an. "Tiktok hat einen unglaublich wirkmächtigen Algorithmus entwickelt, weil sie Zugang zu 1,3 Milliarden chinesischen Internetnutzern haben." Dadurch seien die Inhalte, die Nutzer sehen, derart verschieden, dass es schwierig sei, von "einem Tiktok" zu sprechen und die Plattform zu regulieren.

Bei Twitter beobachtet der Experte ebenfalls eine problematische Entwicklung. "Durch den Twitter-Kauf sehen wir, dass sehr viel der bisherigen Kooperation mit der Politik auf freiwilliger Basis war." Elon Musk teste derzeit, wie weit er gehen könne und ob die europäischen Behörden Gesetze durchsetzen.

Beleidigungen und Hetze kann man nicht nur mit Algorithmen

Die Pläne von Musk, beleidigende oder gefährliche Inhalte nur mit Algorithmen zu moderieren, hält Kettemann für fahrlässig. Zwar sei Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend in der Lage, menschliche Sprache und die Bedeutung von Worten zu verstehen. "Aber eine menschliche Kontrolle wird immer nötig sein, selbst wenn es nur bei schwierigen Einzelfällen ist."


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Die Klage des Würzburger Medienanwalts Chan-jo Jun, der Twitter vorwirft, sich nicht an alle Pflichten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zu halten, verfolgt Kettemann mit Interesse. Die Transparenzpflichten des NetzDG seien genauso in EU-Gesetzen vorgesehen, die bald kommen. Doch in dem Verfahren kam heraus, dass die Bundesregierung Twitter zugesichert hatte, keine Bußgelder zu verhängen, obwohl der Konzern ein Beschwerdeverfahren nicht umsetzt. "Meines Erachtens war es weder nötig noch sinnvoll, das zu tun", meint Kettemann.

EU-Gesetze zwingen die Plattformen, die Basis ihrer Algorithmen offenzulegen

Weil er auf Twitter verleumdet wurde, klagte Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume. Das Frankfurter Gericht gab ihm Recht.
Foto: Archiv/dpa
Weil er auf Twitter verleumdet wurde, klagte Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume. Das Frankfurter Gericht gab ihm Recht. Foto: Archiv/dpa  Foto: Hannes P Albert

Mit den EU-Gesetzen DSA, DMA, Data-Act und AI-Act sollen die Plattformen bald stärker reguliert werden und unter anderem die Basis ihrer Algorithmen offenlegen. "Die Plattformen müssen erstmals sagen, auf welchen Annahmen ihre Empfehlungen für Inhalte basieren." Für Politik und Forschung seien das wertvolle Erkenntnisse, weshalb Kettemann die Pläne befürwortet. "Diese Gesetze sind wichtig, um ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit auf den Plattformen zu garantieren."

Aber auch in Deutschland müsse sich etwas tun, um Menschen im Netz zu schützen. "Natürlich gilt das Recht auch im Internet. Es muss durchgesetzt werden." Polizisten müssten auf Cyberstreifen gehen und dafür entsprechend aus- und weitergebildet werden. "Es geht darum, dass jeder Polizist und jede Polizistin weiß: Es ist etwas Ernstes, wenn man online beleidigt wird."

Twitter, Tiktok und Facebook könnten künftig bewusster seriöse Inhalte anzeigen

Für Kettemann ist absehbar, wie die US-Konzerne auf neue EU-Gesetze reagieren werden. "Wenn die Plattformen merken, dass ihre Inhalte verstärkt unter die Lupe genommen werden, reagieren sie natürlich darauf." Es könne sein, dass die Inhalte seriöser Medien prominenter in den Newsfeeds auftauchen. "Man bekommt dann vielleicht alle paar Minuten einen Inhalt der New York Times oder von den öffentlich-rechtlichen Sendern eingeschoben."

Die Entwicklung sei gut. "Wir stehen vor der fundamentalen Herausforderung, unser Verhältnis zu den mächtigen privaten Akteuren neu zu ordnen." Bisher habe die EU die US-Konzerne gewähren und viel Geld mit Nutzerdaten verdienen lassen. "Jetzt ist es an der Zeit, diesen Prozess zu stoppen und teilweise rückgängig zu machen."

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