Debatte über Twitter muss beginnen
Die Bedeutung des Netzwerks ist zu groß, um es allein Elon Musk zu überlassen, meint unser Autor.
Nachdem Elon Musk für 44 Milliarden US-Dollar das soziale Netzwerk Twitter gekauft hatte, gab er als Ziel der Akquise keine ökonomische Richtgröße vor: keinen angestrebten Marktanteil und keine Kapitalrendite. Er griff nach Höherem und Edlerem: Ihm sei wichtig, "für die Zukunft der Zivilisation einen gemeinsamen digitalen Marktplatz zu haben, auf dem unterschiedliche Positionen in einer gesunden Atmosphäre diskutiert werden können, ohne dass es zu Gewalt kommt".
Musk selbst ruft also das Thema der globalen demokratischen Meinungsbildung auf. Das sollten alle berücksichtigen, die meinen, man sollte den Twitter-Kauf nicht so hochspielen, schließlich sei Twitter nur ein und bei weitem nicht das größte soziale Netzwerk im digitalen Orbit.
Wirksames Forum der Freiheit
Klar, wem nach lustigen Tier- oder fetzigen Musik-Videos ist, der schaut eher bei Youtube, Instagram oder Tiktok vorbei. Twitter aber hat eine einzigartige Bedeutung, wenn es um globale oder gesellschaftliche oder politische Debatten geht. Es ist ein zentrales Medium für zivilgesellschaftliche Selbstverständigung - und es ist in dieser Form auch ein hochwirksames Forum der Freiheit, weil es Transparenz und Sichtbarkeit schafft, wo diese nicht erwünscht ist.
Über die brutale Art, wie die iranische Führung gegen ihre eigene Bevölkerung vorgeht, wissen wir vor allem über Tweets, also Mitteilungen auf Twitter. Die Plattform hilft uns auch zu verstehen, dass es eine russische Opposition gegen Putin gibt. Sie verhilft gesellschaftlichen Minderheiten zu einer öffentlichen Stimme, sie vernetzt nicht nur politische Interessengruppen, sondern auch Wissenschaftler und Kulturschaffende, und längst auch ein wichtiges Archiv der Zeitgeschichte.
Keine Alternative
Das macht klar, dass es zu Twitter in seinen gesellschaftlichen Funktionen derzeit keine gleichwertige Alternative gibt. Dadurch entsteht eine gefährliche Spannung: Ausgerechnet ein solches Monopol soll die Vielfalt im globalen Meinungskampf garantieren. Wie heikel das ist, macht ein Gedankenexperiment klar: Elon Musk hätte jederzeit die Macht, Twitter ganz dicht zu machen. Wer ersetzt dann diesen globalen Marktplatz?
Auch wenn Twitter die aktuellen Turbulenzen übersteht, ballt sich durch Musks Kauf wirtschaftliche Macht und Meinungsmacht an einer Stelle. Musk kann nicht nur Twitter aufgrund einer falsch verstandenen Liberalität zu einer Fake-News-Schleuder machen. Er kann aufgrund seiner erratischen Politik von Zugang und Sperrung Wahlen massiv beeinflussen. Er kann auch den Spielraum für Politiker verengen, die den Einfluss seiner anderen Unternehmen begrenzen wollen. Das alles führt zwangsläufig zu einer grundlegenden Frage: Kann es richtig sein, ein für den globalen demokratischen und pluralen Diskurs so zentrales Instrument in die Hand eines Einzelnen zu legen? Oder tun wir nicht gut daran, nach Wegen der demokratischen Kontrolle darüber zu suchen?
Schutz der Demokratie
Wer das so sieht, muss nicht gleichzeitig fertige Alternativen präsentieren können. Aber die Debatte darüber muss beginnen. Das ist übrigens nicht zwangsläufig ein linker politischer Ansatz. Auch die Theoretiker der freien und der sozialen Marktwirtschaft wussten genau um die Gefahr von Monopolen. Das Kartellrecht muss eine Waffe sein, dass Freiheit schützt. Und ist es nicht sinnvoll, über eine öffentlich-rechtliche Bereitstellung eines von ökonomischen Interessen geschützten globalen Raumes der Debatte und des Austausches zu diskutieren? Es geht letztlich um den Schutz der Demokratie.