Warum ein Würzburger Anwalt Twitter verklagt
Der deutsche Medienanwalt Chan-jo Jun verklagt Twitter. Der Grund: Auf der Plattform werden falsche Behauptungen über den Antisemitismusbeauftragten des Landes verbreitet. Weil sich der Konzern weigert, systematisch zu löschen, wird am Donnerstag in Frankfurt verhandelt. Wir haben zusammengefasst, worum es gehen wird.

Elon Musk hat mit seinem Verständnis von Meinungsfreiheit für Aufsehen gesorgt. Am Freitag erklärte der neue Twitter-Chef, auf der Plattform gelte künftig "Redefreiheit, aber nicht Reichweitenfreiheit". Das bedeutet laut Musk: Negative Beiträge und Hassrede sollen nur wenigen Nutzern angezeigt werden und Werbung entfernt werden, so dass damit kein Geld verdient werden kann. "Ihr werdet den Tweet nicht finden, wenn ihr nicht gezielt danach sucht", so Musk weiter.
Für den Würzburger Medienanwalt Chan-jo Jun ist das eine Goldgrube. "Wir werden diesen Tweet dem Gericht vorlegen, weil er zeigt, dass die neue Linie von Twitter zu sein scheint, sich eigene Dinge auszudenken", sagt Jun im Gespräch mit der Heilbronner Stimme. "Im Gesetz steht ganz klar, dass rechtswidrige Inhalte gelöscht werden müssen."
Twitter soll strafbare Äußerungen auf der gesamten Plattform löschen
In dem Prozess, der am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht verhandelt wird, vertritt Jun den Antisemitismus-Beauftragten des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume. Weil dieser auf Twitter mit falschen Behauptungen diffamiert wird, will Jun erreichen, dass die entsprechende Äußerung auf der gesamten Plattform gelöscht und nicht mehr hochgeladen wird.
Dasselbe hatte der Anwalt zuvor bei Facebook erreicht und durchgesetzt, dass der US-Konzern seine Plattform nach falschen Zitaten von Renate Künast durchforsten und diese löschen muss.
Laut Twitter sei das Löschen sinngleicher Inhalte technisch nicht möglich
Ähnlich könnte es nun bei Twitter laufen. Es sei das erste Mal, dass der Konzern gezwungen werden soll, sinngleiche Äußerungen auf der gesamten Plattform zu löschen und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder hochgeladen werden, sagt Jun. "Twitter beruft sich darauf, dass sie nicht in der Lage sind, ein entsprechendes Urteil umzusetzen, weil es ihnen nicht zumutbar ist und sie die technischen Möglichkeiten nicht hätten."
Sollte die irische Europa-Tochter von Twitter, gegen die Jun klagt, nicht einlenken, drohen Bußgelder und womöglich sogar das Abschalten der Plattform. "Wir werden sehen, ob wir deutsches Recht gegen Twitter durchsetzen können", sagt Jun. "Normalerweise würde es kein Unternehmen darauf ankommen lassen und entsprechende Vorkehrungen treffen."
Fraglich ist, wer Twitter vor Gericht vertreten wird
Doch die aktuelle Situation bei Twitter lasse ihn an vielem zweifeln so Jun. Es sei fraglich, ob überhaupt jemand zu der Verhandlung in Frankfurt erscheine und ob Twitter international generell noch existiere oder handlungsfähig sei. "Ich bin da auch auf Quellen wie Presseartikel angewiesen", sagt Jun.
Ob am Donnerstag in Frankfurt ein Urteil fällt, ist laut Jun noch unklar. "Es kann sein, dass die Richter sich ein paar Tage Zeit nehmen und dann erst das Urteil verkünden." Genauso sei es möglich, dass das Verfahren in die nächste Instanz geht. "Bisher war es so, dass die großen Plattformbetreiber die Verfahren immer durch alle Instanzen gebracht haben", sagt Jun. Auch seine Klage gegen Facebook liege derzeit in zweiter Instanz und werde erst nächsten Sommer weiterverhandelt.
Ebenfalls möglich wäre laut Jun, dass das Gericht das Mittel der einstweiligen Verfügung für ein solches Verfahren nicht akzeptiert. Laut dem Rechtsanwalt müsse das jedoch möglich sein. Der Rechtsweg sei nutzlos, wenn eine strafbare Äußerung erst nach Jahren entfernt wird.
Chan-jo Jun will herausfinden, ob Inhalte bei Twitter noch von Menschen moderiert werden
In dem Verfahren will der Medienanwalt auch andere Sachverhalte über Twitter herausfinden: Liegt die Kontrolle rechtswidriger Inhalte nur noch in der Hand von Algorithmen? Werden strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt weitergeleitet, wie es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorsieht? Werden Beschwerden bearbeitet, wenn Inhalte zu Unrecht gelöscht wurden?
Ob er Antworten auf diese und weitere Fragen erhalten wird, weiß Chan-jo Jun noch nicht. Sicher sei nur: "Momentan sind bei Twitter Dinge möglich, die ich vor drei Wochen noch für Quatsch gehalten hätte."