Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?
Mehrere Innenminister der Union wollen prüfen lassen, ob die Gruppe "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung ist. Wir haben nachgefragt bei Lea Voigt, Fachanwältin für Strafrecht und Vorsitzende des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

Frau Voigt, was würde sich ändern, wenn die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung eingestuft werden würde?
Lea Voigt: Es würde bedeuten, dass die Gruppe ihr politisches Engagement in dieser Form nicht mehr ausüben könnte. Es wäre dann möglich, mit allen Mitteln der Strafprozessordnung gegen die Aktivisten vorzugehen, zum Beispiel mit Telekommunikationsüberwachung. Daran sieht man, wie absurd diese Idee ist. Es würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Wer trifft diese Entscheidung?
Voigt: Dafür bräuchte es erst ein Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft müsste sich fragen: Haben wir den Anfangsverdacht der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung? Die Staatsanwaltschaften stehen unter der Aufsicht des jeweiligen Justiz- und nicht des Innenministeriums.
Sehen Sie dafür Anhaltspunkte?
Voigt: Der Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs setzt voraus, dass es Zweck der Vereinigung ist, Straftaten zu begehen. Wir haben es bei der "Letzten Generation" aber mit einer Bewegung zu tun, die sich auf verschiedenen Ebenen dafür einsetzt, die Klimakrise ernster zu nehmen, teils mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, die im Einzelfall auch Straftatbestände erfüllen können. Zu behaupten, dass der Hauptzweck das Begehen von Straftaten ist, halte ich für völlig abwegig.
Straßenblockaden etc. reichen nicht?
Voigt: Bei Weitem nicht. Es ist fraglich, was davon überhaupt Straftatbestände erfüllt. Das ist absolut nicht einfach zu beantworten. Es ist keineswegs so, dass jede Störung oder jeder Stau durch eine Versammlung eine Straftat ist. Es wird ständig und zu Recht diskutiert, wo dabei der strafrechtlich relevante Bereich beginnt. Auch wenn Einzelne sich an der Straße festkleben oder sich an Brücken ketten, führt das nicht dazu, dass aus der Versammlung eine Versammlung von Kriminellen wird.

Braucht es schärfere Strafen?
Voigt: Die braucht es nicht. Wir als DAV haben die Verschärfung der Präventivhaft in Bayern kritisiert. Jetzt sieht man, dass das richtig war. In Bayern werden Menschen eingesperrt, die keineswegs schwere Straftaten begehen wollten, sondern unter Umständen eine einfache Nötigung. Gerade bei nicht vorbestraften Personen ist das in der Regel ein Bagatelldelikt. Das zeigt, dass die Präventivhaft ein problematisches Instrument ist, das darüber hinaus ungeeignet ist. Diesen Konflikt kann man in einem Rechtsstaat nicht mit polizeilichen Mitteln lösen, sondern nur politisch.
Zur Person: Lea Voigt ist Fachanwältin für Strafrecht in einer Bremer Kanzlei und Vorsitzende des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).


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