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Ultraschall-Anlage an Grundschule in Freiberg: Mit Störsender gegen Jugendliche

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Kommunen bekämpfen mit Ultraschall-Störgeräuschsendern Müll und Randale durch Jugendliche. In den Schlagzeilen ist eine Schule in Baden-Württemberg. Im Landtag wird Kritik an der Methode laut. Kommen die Geräte auch bald in Heilbronn zum Einsatz?

von Philip-Simon Klein

Die Stadt Freiberg am Neckar geht gegen Jugendliche vor, die sich im Pausenhof einer Grundschule treffen. Vorausgegangen war, dass dort vermehrt Müll liegen gelassen und randaliert worden war. Im Einsatz sind Geräte, die Töne erzeugen, die Jugendliche vergrämen.

Einen neuen Treffpunkt gefunden haben Maria, Anastasia und ihre Freundinnen, die um 22 Uhr auf einer Treppe nahe einer Unterführung sitzen. Dass die so genannten Ultraschall-Störgeräuschsender wegen jungen Leuten wie ihnen aufgebaut worden sind, ist den Mädchen neu - dachten sie doch, es gehe um die Abwehr von Tieren. Als sich ein junger Mann nähert, ruft eines der Mädchen ihm zu: "Da in der Kasteneck-Schule - das Piepsen: das ist gegen Jugendliche. Die machen das, damit wir da nicht mehr chillen."

Freundinnen können nachvollziehen, dass die Stadt Freiberg Probleme mit Müll und Randale bekämpfen will

Der Mädchenclique der 14- bis 17-Jährigen war die Präzision der Geräte nicht bekannt. Kopfschmerzen habe das Geräusch bei ihnen verursacht, sagen sie. Der Hersteller behauptet, der gesendete Ton sei "für Jugendliche unschädlich, aber sehr irritierend". Und zwar derart "irritierend, dass sich die Jugendlichen in kürzester Zeit entfernen". So könne Vandalismus und Müll verhindert werden.

Da der Ton so hoch ist, dass ihn nur Menschen hören, die jünger als 25 Jahre alt sind, würden ältere nicht belästigt, erklärt der Hersteller. Die von ihm betonte gesundheitliche Unbedenklichkeit ist bis dato umstritten.

Die Mädchen, die mitunter selbst Grundschülerinnen an der Kasteneck-Schule waren und deren Geschwister dort lernen, reagieren teils empört, teils verständnisvoll: "Es ist ja unsere Schuld, wenn wir da chillen, wir könnten ja woanders hin" - "Es geht doch nur darum, dass die kleinen Kinder geschützt sind"- "Wir sollten da chillen dürfen, aber dann müsste jeder seinen Müll wieder mitnehmen."


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Die Stadt Freiberg erklärt, seit März 2021 Ultraschall-Störgeräusch-Geräte auf dem nicht öffentlichen Gelände der Kasteneck-Schule zu betreiben. Man handle so, "weil sich Jugendliche abends und nachts immer wieder, unerlaubterweise, dort Zugang verschafft haben und es zu wiederholten, erheblichen Sachschäden durch Vandalismus kam". Die Anlagen laufen nur von 20.30 bis 5 Uhr, wenn keine Grundschüler auf dem Gelände sind.

Solche Geräte - der Niederländische Marktführer nennt sein Modell "Mosquito" - werden europaweit bereits seit Jahren genutzt: etwa in Wien ab 2008 - im Frühjahr des selben Jahres waren in Deutschland bereits mindestens 700 solcher Anlagen verkauft worden. Fahrt aufgenommen hat das Thema hierzulande ab Mitte April, als Satiriker Jan Böhmermann auf die Kommunen Kamp-Lintfort und Reutlingen hinwies, die Mosquito-Anlagen hatten.

Die Stadt Freiberg erklärt, dank der Geräte seien schon Erfolge zu verzeichnen

Die Verwaltung Freibergs ist zufrieden: So seien Vorfälle "im direkten Wirkungskreis der Geräte, deutlich zurückgegangen". Grundschüler drohten nun weniger Gefahren durch Scherben und Alkoholflaschen. Im Bereich, wo die Anlage nicht hinreiche, habe man weiterhin Probleme. Nachdem sich Nachbarn beschwerten und ein Gerät abmontiert werden musste, will die Stadt am verbliebenen Sender festhalten. Dieser soll weiter eingesetzt werden, wenn sich niemand auf dem Gelände aufhalten darf.

Rektorin Ute Matt betont, "die Stadt Freiberg als Schulträger ist für das Gebäude und bauliche Maßnahmen zuständig". Sicher könne man die Mosquito-Nutzung hinterfragen, sie aber sei, für die Gesundheit von 200 Schülern verantwortlich. Sie wolle nicht, dass Kinder mit "herumstehendem Alkohol, Kippen oder Erbrochenem in Berührung kommen, wenn sie morgens den Schulhof betreten".

Jugendliche werden an der Kasteneck-Grundschule mit Geräuschen vertrieben. Das Gerät - etwa schuhschachtelgroß - hängt in über zwei Meter Höhe an der Wand und ist geschützt mit einer Verkleidung.
Jugendliche werden an der Kasteneck-Grundschule mit Geräuschen vertrieben. Das Gerät - etwa schuhschachtelgroß - hängt in über zwei Meter Höhe an der Wand und ist geschützt mit einer Verkleidung.  Foto: Philip-Simon Klein

Lieber würde die Schulleiterin davon sprechen, dass zwei Grundschulen zu einer fünfzügigen Ganztagesgrundschule umgebaut werden. Schade sei "dass sich die Gemüter sehr stark wegen des Mosquito-Gerätes erhitzen" - während das Bildungsprojekt in den Hintergrund gerate. Wird die neue Schule auch Störgeräuschsender haben? Rektorin Matt erwartet nicht, dass die Mosquito-Anlagen beibehalten werden, eher führten die Bauarbeiten dazu, dass dort dann kein Treffpunkt mehr für Jugendliche ist.

Ein Federball spielendes Ehepaar kann seine Freizeit ohne Probleme im Schulhof verbringen

Abends zwischen 20 und 21.30 Uhr halten sich Chris und Julia Weihrauch im Außenbereich der Kasteneck-Schule auf. Mit ihren dreijährigen Zwillingen leben sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Schulhof spielt das Ehepaar Federball - das Babyphone steht auf einem Mäuerchen. Alles zu einer Uhrzeit, bei der sich niemand im Schulhof aufhalten darf - für das Paar bleibt es folgenlos. "Wir sind harmlos und hinterlassen keine Scherben", erklärt Julia Weihrauch launig. Seit zweieinhalb Jahren leben sie hier und haben miterlebt, wie sich die Situation mit den Jugendlichen verschärfte.

Die Polizei zu rufen, hatte ihnen der Hausmeister der Schule nahegelegt. "Er bekommt morgens nur die Ausmaße mit", sagt Chris Weihrauch. Dass der Treffpunkt an der Grundschule einen Boom während der Coronazeit erlebte, konnte der 46-Jährige beobachten. "Die haben ihren Platz gebraucht, es fehlt ein Treffpunkt", sagt Julia Weihrauch. Am Wochenende gab es "Halligalli bis nach Mitternacht". Ärgerlich für das Paar war es, wenn ihre Kinder deshalb nicht zur Ruhe kamen und auch die Hinterlassenschaften waren immer offensichtlich. "Mama, hier liegt soviel Müll", sei ihren Kindern bereits aufgefallen, berichtet die 40-Jährige.


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Die Ultraschall-Störgeräuschsender werden im Landtag abgelehnt - parteiübergreifend

Seit die Schallanlagen in Baden-Württemberg publik geworden sind, positionierten sich die Parteien im Landtag zunächst augenfällig einmütig: Als Befürworter der Mosquito-Geräte hatte scheinbar niemand gelten wollen. Einzig die CDU hatte den Gemeinden Beinfreiheit für die eigene Abwehrstrategie in Sachen Vandalismus zugestehen wollen. Der jugendpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Andreas Sturm (Wahlkreis Hockenheim), sagt inzwischen auf Anfrage, die Störgeräuschsender könnten in Konflikt mit den Grundrechten stehen.

"Die Diskussion in diesem Fall wird sicherlich richtungsweisend sein". Ob es Schilder brauche, damit die Betroffenen wüssten, wie ihnen geschehe? "Da ich dies insgesamt problematisch sehe, stelle ich keine Gelingenskriterien auf." Für den Fall, dass der Einsatz im rechtlichen Rahmen sei und das Land kein Verbot plane, könne man sich damit befassen. "Aktuell sehe ich aber zu viele Gegenargumente", so Andreas Sturm. Da gesundheitliche Folgen nicht abschließend geklärt sind und angesichts einer "schadensrechtlichen Dimension", hält Sturm die Geräte insgesamt für "nicht ratsam".

Eine Kleine Anfrage an die Landesregierung hat der Eppinger Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecher für Jugendpolitik Erwin Köhler (Grüne) mit Parteikollege Tayfun Tok (Wahlkreis Bietigheim-Bissingen) im Juni eingereicht. Sie forderten, Störgeräuschsender im Verhältnis zu präventiven Ansätzen aus der Jugend-Sozialarbeit sowie zu Polizei-Maßnahmen zu bewerten. Die der Stimme vorliegende Antwort vom Sozialministerium betont, dass sich mit Platzverweisen problematisches Verhalten verlagert. Daten, welche Kommunen die Störsender einsetzen, hat die Landesregierung nicht. Das Land selbst nutze keine Mosquito-Anlagen, das sei nicht erforderlich und nicht gewünscht.

Konzepte, die sich das Land und Experten wünschen gibt es zwar, aber nicht überall

So komme der Präventionarbeit eine besondere Rolle zu, da sie durch Verhinderung von Gefahren, Störungen und Straftaten zu Ressourcenersparnissen bei der Polizei führen könne, wie es in der Antwort heißt. Vergrämung sei nicht geeignet, um lokale Probleme dauerhaft zu lösen. Stattdessen soll mit Jugendarbeit sowie Präventivarbeit der Behörden gearbeitet werden.


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In mobiler Jugendarbeit - quasi Streetwork für Jugendliche - sieht Franz Herrmann ein probates Mittel. Laut dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Esslingen sei man bei ähnlichen Fällen in Stuttgart damit gut gefahren. Die aufsuchende Form der Jugendarbeit gibt es in Freiberg bislang nicht. Jugendliche als Bürger der Stadt, müssen so auch wahr- und ernstgenommen werden, sagt Herrmann. Offenheit sieht er bei Freibergs Bürgermeister, gemeinsam Lösungen zu suchen.

Kommunale Stadtplanung soll laut Sozialministerium junge Menschen beteiligen, damit attraktive Aufenthaltsräume entstehen. Interessensausgleich und neue Ersatzflächen sollten "primär im Zentrum der Bestrebung der kommunalen Verwaltungen stehen". Kritisch sieht das Ministerium, dass Mosquito-Anlagen Kleinkinder, Säuglinge und körperlich eingeschränkte Jugendliche gefährden können, denen nicht möglich ist, sich zu entfernen. Dazu kommt, dass Aufsichtspersonen den Ton meist nicht hören.

Neue Debatten zu den Störgeräuschsendern sind schon in den Startlöchern

Im Sozialausschuss will Erwin Köhler das aufgreifen. "Eine Beschilderung, die auch Menschen mit Behinderungen im Blick hat, halte ich für zwingend notwendig", sagt der Grünen-Abgeordnete. Ihm wäre lieber, die Geräte würden unterbunden werden. Auch dazu will er einen Abgeordnetenbrief an Innenminister Thomas Strobl (CDU) schreiben.


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Gibt es Ultraschall-Sender auch bald in Heilbronn? Oberbürgermeister Harry Mergel winkt ab. Deren Einsatz sei gesundheitlich "nicht völlig unbedenklich" und genüge nicht umfänglich dem Produktsicherheitsgesetz. Mergel hebt die offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt hervor: Diese sei "partnerschaftlich auf der Basis des Dialogs, nicht der Verdrängung."

In der kommenden Ratssitzung der Gemeinde Freiberg werden die Mosquito-Geräte erneut debattiert.


Wie eine 19-Jährige die Ultraschall-Töne erlebt

Von Praktikantin Mia Mack

"Von einem leichten Störgefühl bis hin zum Gefühl, als würde einem der Kopf platzen - die Wirkung des Ultraschall-Störgeräuschsenders ist abhängig von Distanz zum Gerät und der Dauer der Beschallung. Zwischen dem Eingang zum Schulhof der Kasteneck-Grundschule und der Mosquito-Anlage liegen circa 80 Meter Luftlinie. Wenige Schritte entfernt vom Schulgelände habe ich noch nichts gehört, auch nach den ersten paar Metern auf dem Pausenhof waren Gespräche um mich herum noch präsenter.

Dann setzte das Geräusch ein. Im Gegensatz zum bekannten Phänomen des "Drucks auf den Ohren" waren die Geräusche nicht wie durch Watte gedämpft, sondern klar und hoch. Dauerhaft anwesend, aber zuerst ziemlich leise. In leichten Wellen spürte ich die Frequenz konstant in meinen Schläfen. Etwas nervig war es von Anfang an, aber nicht so, dass ich mich stark gestört fühlte. Umso näher ich in die Richtung der Mosquito-Anlage ging, desto stechender wurde der Ton. Kopfschmerzen in der Stirn- und Augenpartie stellten sich ein, als ich mich dem Gerät bis auf 20 Meter näherte. Dabei fiel es mir immer schwerer, den Ton auszublenden, bis das unmöglich wurde.

Unter dem Gerät zu bleiben, war schwer auszuhalten

Inzwischen hatte ich mich dem Geräusch - mit wechselndem Abstand und unterschiedlicher Intensität - 30 Minuten ausgesetzt. Allgegenwärtig war jetzt der dauerhaft piepsende Ton, der die anderen Reize überdeckte. Umso näher ich der Anlage kam, desto dominanter wurde der Ton. Unter dem Sender war der Drang besonders stark, möglichst schnell wieder wegzugehen. Am liebsten hätte ich das störende Gefühl weggewischt oder abgeschüttelt. Erst mit dem Entfernen vom Schulgelände hörte und spürte ich nichts mehr von der Beschallung und meine Kopfschmerzen ließen nach. Nachträglich hatte ich keine weiteren Beschwerden.

 
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