Ein Jahrgang mit Licht und Schatten

Trockenheit macht Reben und Wengertern zu schaffen - Wegen Kostendruck werden Weinpreise angehoben

Beim Staatsweingut Weinsberg griff Rabbiner Yehuda Pushkin zur Schere: für den ersten koscheren Württemberger. Fotos: Ralf Seidel

2022 geht in die Geschichte des Württemberger Weinbaus als Hitzejahrgang ein, als heißester seit 2003. Die Trockenheit hielt die Weingärtner schwer auf Trab. ,,Einer von uns war immer unterwegs", berichtet Thomas Winkler aus Brackenheim, der mit seinem Bruder Roland sowie Alfred und Armin Eberle eine „Fassgemeinschaft" bildet, sprich: Das Quartett hat sich von den Milchwerken Schwaben einen ausgedienten ,,Weideglück"-Milchtankwagen mit 15000 Liter Fassungsvermögen besorgt und bewässerte über fest installierte Schläuche tröpfchenweise die Rebstöcke. Das Wasser beziehen die Vier witzigerweise aus der ehemaligen Brackenheimer Bürgerbräu-Quelle.

Weinbauberater Lothar Neumann schätzt, dass rund 20 Prozent der 11300 Hektar umfassenden Gesamtrebfläche in Württemberg mit Schläuchen ausgestattet sind, „aber nicht alle sind in Betrieb, das ist auch eine Kostenfrage: vom Invest, vom Zeitaufwand her und wegen der Wasser- und Spritkosten". Vor allem U-10-Junganlagen, also solche unter zehn Jahren, hätten unter der Trockenheit gelitten, berichtet Hanns-Christoph Schiefer von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg.

Ursula Berthold und ihr Leseteam begannen in Neckarsulm schon im August mit der Traubenlese.
Ursula Berthold und ihr Leseteam begannen in Neckarsulm schon im August mit der Traubenlese.

Weniger als befürchtet habe der Trollinger "schlapp gemacht". Zwar seien manche Beeren bei Temperaturen nahe 35 Grad teils auf Rosinengröße geschrumpft, insgesamt falle das aber bei dieser üppig wachsenden Sorte kaum ins Gewicht. Größere Hagelschäden waren im Bereich Bottwartal/ Mundelsheim zu beklagen, wo Ende Mai ein gewaltiges Sommergewitter auf gut 30 Hektar auch die Reben traf.

Eine positive Seite der Hitze: Mit Rebkrankheiten hatten die Wengerter kaum zu kämpfen, hie und da mit etwas Mehltau, also Oidium. Auch an der Schädlingsfront war es ruhig. Mit zunehmender Reife wurde aber Wespenfraß zum Thema, weil sich die Tierchen stark vermehrt haben. ,,Die Kirschessigfliege hielt sich sehr zurück.“ Insgesamt aber, so berichtet Schiefer, werde der Klimawandel zunehmend zum Dauerthema, so hätten die sogenannte Schwarzholzkrankheit und Esca sprunghaft zugenommen. Ganze Rebstöcke sterben in solchen Fällen schlagartig ab.

Mengenschätzung

Thomas Winkler aus Brackenheim schaffte sich zum Bewässern mit Kollegen einen Tankwagen an.
Thomas Winkler aus Brackenheim schaffte sich zum Bewässern mit Kollegen einen Tankwagen an.

„Ältere Reben mit tiefen Wurzeln waren 2022 klar im Vorteil gegenüber jüngeren Anlagen, die bewässert werden mussten, vor allem wenn sie auf leichten, wenig Wasser speichernden Böden stehen", weiß BWGV-Beraterin Ute Bader aus Horkheim. Die Trockenheit hatte weitere Vorteile: kerngesunde, reife Trauben. Die Niederschläge im August seien für die meisten Sorten „gerade noch rechtzeitig" gekommen. Und im September hat vor allem der Trollinger die Flüssigkeit aufgesogen und so an Menge zugelegt.

So ziehen die deutschen Winzer trotz Trockenheit im Sommer und wechselhaftem September insgesamt eine überwiegend positive Bilanz. Die Gesamtmenge liegt laut Deutschem Weininstitut (DWI) über dem Schnitt der Vorjahre. Erste Schätzungen gehen für die 13 deutschen Anbaugebiete von ins-gesamt knapp 900 Millionen Liter aus, das wären 4,3 Prozent mehr als im Jahr 2021.

In Württemberg lässt sich der Jahrgang 2022 laut BWGV-Präsident Roman Glaser auf eine kurze Formel bringen: sehr gute Qualität bei meist durchschnittlichem Ertrag. Die Lesemenge der 32 WGs dürfte bei 100 Liter pro Ar und damit bei insgesamt 75 Millionen Litern liegen. Inklusive Gütern und Privatkellereien käme Württemberg auf schätzungsweise 105 Millionen Liter, deutlich mehr als 2021, wo es insgesamt nur rund 91 Millionen Liter waren.

Hohe Qualität

Jochen Springer und Jasmin Mannherz chauffierten die Trauben im Gundelsheimer Himmelreich mit dem Bähnle zu den Zubern.
Jochen Springer und Jasmin Mannherz chauffierten die Trauben im Gundelsheimer Himmelreich mit dem Bähnle zu den Zubern.

Mit der Qualität sind alle hochzufrieden. Laut Württembergs Weinbaupräsident Hermann Hohl hat der Rekordsommer Top-Qualitäten hervorgebracht: fruchtige Weiße mit moderater Säure und gehaltvolle, gut strukturierte Rote.

Neben der Hitze gab und gibt es in der Branche aktuell andere Schattenseiten. Steigende Kosten für Energie, Dünger und Pflanzenschutz, für die aufwendige Bewässerung, aber auch für Flaschen, Verpackungen und Logistik ließen die Betriebskosten in die Höhe schnellen.

Auch wenn gerade Genossenschaften mit effizienten Produktionsstrukturen ,,viel abfedern", führt laut Hermann Hohl und Roman Glaser an „Preisanpassungen" kein Weg vorbei. Von Verbrauchern und vom Lebensmitteleinzelhandel wünscht man sich insgesamt mehr Wertschätzung für die gesamtgesellschaftliche Leistungen der Winzer. Leitbetriebe wie die Genossenschaftskellerei Heilbronn und die Weinkellerei Hohenlohe haben bereits um bis zu zehn Prozent erhöht.