Wie der Turm der Schwäbisch Haller Michaelskirche hoch über den Marktplatz emporragt, so sticht die Nase des verwegen kämpfenden und ebenso dichtenden Musketiers Cyrano de Bergerac aus seinem Antlitz heraus: „Das ist ein Felseszacken, dieser Zinken, Was sag ich Fels – ein Berg, ach, ein Gebirge kolossal!“, heißt es in dem Versdrama. Mit Edmond Rostands romantischer Komödie – allerdings mit tödlichem Ausgang – eröffnen die Freilichtspiele Schwäbisch Hall heuer ihre Saison auf der Großen Treppe.
Monstrum von Nase
Der historische Cyrano de Bergerac lebte dereinst als Dandy, Duellist und Dichter, früher aufklärerischer Philosoph und Science-Fiction-Autor – er gilt als Vorläufer von Jules Verne – im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Berühmter als seine eigenen Werke wie etwa sein Doppelroman „Die Reise zum Mond“ machte ihn jedoch das Stück des neuromantischen Dramatikers Edmond Rostand von 1897, in dem die Hauptfigur seinen Namen trägt und wie das historische Vorbild als dichtender Soldat bei den Gascogner Kadetten dient. Die Verfilmung aus dem Jahr 1990 mit Gérard Depardieu in der Titelrolle wurde mit zahlreichen Preisen bedacht.
Die nach dem hölzernen Zinken Pinocchios wohl zweitberühmteste Nase der Weltliteratur scheint allerdings eine Erfindung des Autors zu sein. Auch das fatale Dreiecksverhältnis, das die Handlung der fünf Akte bestimmt, hat sich Edmond Rostand ausgedacht. Der mit Talenten reich gesegnetes Cyrano ist ein charmanter und hinreißender Kerl, wäre da nicht dieses Monstrum von Nase, das gehörig an seinem Selbstwertgefühl kratzt. Er liebt seine Cousine Roxane, traut sich seiner Hässlichkeit wegen aber nicht, der Angebeteten seine Leidenschaft zu gestehen.
Stattdessen wird er Ghostwriter für seinen Regimentskollegen Christian de Neuvillette, den Roxane seines schönen Äußeren wegen zwar liebt, dem aber jegliche kreative Dichtergabe fehlt und der keine schönen Briefe schreiben kann. Cyrano leiht ihm also das kunstvolle Wort und verfasst für Christian, als beide in den Krieg gezwungen werden, zweimal täglich Liebesfeldpostbriefe an Roxane. Es entspinnt sich eine virtuelle Fernbeziehung, die in Wirklichkeit eine Ménage-à-trois ist.
Als Christian tödlich verwundet wird, geht Roxane in tiefer Trauer ins Kloster, wo sie täglich von Cyrano besucht wird. Und dort, bereits von einem herabfallenden Holzbalken schwer verwundet, zitiert er auswendig aus den 15 Jahre alten Feldpostbriefen – und gesteht ihr seine unerfüllte Liebe.
Bei der Inszenierung der Freilichtspiele Hall führt Max Merker Regie. Er studierte Schauspiel, Philosophie und Physical Theatre an der Folkwang Universität der Künste, unterrichtet mittlerweile selbst Schauspiel an der Zürcher Hochschule der Künste und ist mehrfach ausgezeichnet worden. In Schwäbisch Hall hat er im vergangenen Jahr mit der Adriano-Celentano-Hommage „Für immer Azzurro!“ im Neuen Globe das Publikum unterhalten. Auch mit seiner gemeinsam mit Aaron Hitz entwickelten Buster-Keaton-Hommage „Lachen verboten!“, bei dem beide spielen, was das Zeug hält, hat er beim Haller Publikum Eindruck hinterlassen.
Nun hält Max Merker auf der Großen Treppe die Regiefäden in der Hand. Gemeinsam mit Bühnenbildner Martin Dolnik hat er sich für die Stufen vor St. Michael einiges einfallen lassen. „Der Mond wird dabei eine wichtige Rolle spielen“, sagt Merker und erinnert damit auch an das Werk des historischen Cyrano de Bergerac. In die Titelrolle schlüpft Gunter Heun, der auf der Treppe unter anderem als „Jedermann“ und „Don Camillo“ zu erleben war.
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Cyrano de Bergerac