Sind wir nicht alle Hypochonder? „Da ist was dran“, sagt Marco Krämer-Eis. „Beim Theater sowieso“, kokettiert der Regisseur, der Molières große Charakterstudie „Der eingebildete Kranke“ für das Neue Globe in Hall inszeniert. „Auch weil man am Theater eigentlich nicht krank sein darf und immer spielt.“ Das erklärt den ganzen Besteckkasten an Bühnenritualen, um wohlauf zu bleiben.
Das pralle, widerborstige Leben

Diesen Sommer den „Eingebildeten“ zu inszenieren, findet Marco Krämer-Eis in mehrfacher Hinsicht reizvoll. Nicht nur, weil Molières 1673 uraufgeführte Komödie das so pralle wie widerborstige Leben und den Menschen in all seinen Widerprüchen zeitlos verhandelt. Krämer-Eis, 1992 in Gerolstein geboren - da, wo das Mineralwasser herkommt -, hat in der Theater-AG an der Schule selbst die Hauptrolle des Argan gespielt, den unzählige Krankheiten quälen. Jetzt, Jahre später, gemeinsam mit Kollegen den professionellen Blick auf Molière zu schärfen, reizt den Regisseur, der in Berlin lebt. In Hall hat Krämer-Eis Musikproduktion und vergangenes Jahr das Kinderstück verantwortet.
Auch Jean-Baptiste Poquelin alias Molière hatte einst die Rolle seines Titelhelden übernommen. Während der vierten Vorstellung erlitt Molière einen Blutsturz und starb wenige Stunden später - in seinem Kostüm. Ein Kuriosum, das Marco Krämer-Eis inspiriert hat zu einem konzeptuellen Zugriff: „Dass wir die Perspektive nicht nur auf die Bühne richten, wir blicken auch hinter die Kulissen, das heißt in die Schauspielerseelen. Was macht eigentlich die eingebildete oder wahre Krankheit Argans mit dem Schauspieler?“ Diese grundsätzliche Gratwanderung zwischen Figur und Person, Rolle und Schauspieler soll greifbar werden. Es geht um die Krankheit, eingebildet oder nicht, und darum, wie sich ein Schauspieler auf seine Rolle vorbereitet.
Im Neuen Globe in Hall blicken die Zuschauer allerdings nicht in den Backstagebereich, der Mikrokosmos Theater im Theater wird in den Bühnenraum verlegt. Die schräge Bühne auf der Bühne erinnert an die Tradition des Barocktheaters. Parallel- und Gefühlswelten werden augenscheinlich. Wir sehen Schminktische, Kostümständer, wartende Schauspieler vor und während ihrer Auftritte.
Diese Perspektivwechsel werden multipliziert, wenn Schauspieler zwischen mehreren Rollen switchen. Aber was erzählen der Eingebildete, die gerissene Dienerin Toinette, die Tochter und Argans restliche Entourage? Argan ist fixiert: Er behauptet, krank zu sein, fürchtet den Tod, keiner glaubt das außer seinen Ärzten. Die befeuern die Opferrhetorik und verschreiben teure Behandlungen. Nun möchte Argan seine Tochter mit einem frisch examinierten Arzt verheiraten, doch Angélique liebt einen anderen. Toinette und der Bruder Argans überreden ihn, sich tot zu stellen, um zu prüfen, ob seine Gattin und die Töchter ihn ehrlich lieben. Und dann wird der Kranke zum Doktor der Medizin promoviert-zumindest in seiner Einbildung.
Von Claudia Ihlefeld
Information
„Der eingebildete Kranke“
Komödie von Molière
Regie: Marco Krämer-Eis
Ausstattung: Lukas P. Waẞmann
Mit Gunter Heun, Jelena Kunz,
Nadja Petri, Cara-Maria Nagler
Premiere: 6. Juli, 20 Uhr.