Formel 1 erschließt neue Märkte: Zeitenwende unter dem Sternenbanner
Die Motorsport-Königsklasse kehrt dem europäischen Markt zunehmend den Rücken zu. Neben dem Nahen Osten und Asien wird das große Geld spätestens seit diesem Jahr in den USA verdient.

Es genügt ein flüchtiger Blick über den Rennkalender, um festzustellen, dass sich die Prioritäten der Formel 1 und des internationalen Dachverbandes Fia in den vergangenen Jahren gewaltig verschoben haben. Die Formel 1 hat sich von ihrem langjährigen europäischen Nischenmarkt emanzipiert. Amerika, Asien und der Nahe Osten bestimmen inzwischen das Business und die Ausrichtung der Rennserie. Die Wiege des Sports und die Heimat der meisten Teams liegen zwar weiterhin in Europa, doch das große Geld wird längst andernorts verdient.
23 Mal wird auf fünf Kontinenten gefahren - von Anfang März bis Ende November. Von Hockenheim- und Nürburgring spricht im Geschäft aber kaum noch jemand. Stattdessen versprechen sich die Verantwortlichen von mehr Straßen- und Nachtrennen spektakuläre Bilder, zahlungskräftigeres Publikum, höhere Einschaltquoten und bessere Werbeeinnahmen.
Mehr ist mehr und größer ist besser
Um Geld ging es in der Formel 1 schon immer, doch als Wendepunkt für den derzeitigen Boom gilt der Verkauf der Formula One Group, der die kommerzielle Verwertung und Vermarktung der Formel 1 obliegt. Im Jahr 2017 hatte Bernie Ecclestone diese an das Medienunternehmen Liberty Media abgetreten, woraufhin die US-Amerikaner zum großen Wurf ansetzten: Mehr ist mehr und größer ist besser lauten seitdem die Arbeitsgrundsätze.
Exemplarisch für diese Entwicklung ist der neue Las-Vegas-Grand-Prix. Das Nachtrennen auf dem hellerleuchteten Strip ist bei Fahrern und Fans bereits jetzt das Highlight der Saison. Es ist eines von sechs Rennen auf den beiden amerikanischen Kontinenten - zum ersten Mal seit 1982 wird allein in den USA dreimal gefahren. Zusammen mit den vier Rennen im Nahen Osten, drei in Asien und dem Großen Preis von Australien stehen 14 Rennen außerhalb Europas den neun Europa-Veranstaltungen gegenüber.
"Drive to Survive" beschert Formel 1 neuen Rückenwind
Auslöser für die neue, außereuropäische Formel-1-Begeisterung ist maßgeblich die Netflix-Dokumentation "Drive to Survive". Der dramatisch erzählte Rückblick auf das vergangene Rennjahr befindet sich 2023 beim Streamingdienst in der fünften Staffel. Nachdem sich Mercedes und Ferrari 2018 noch geziert und den Kamera-Teams Drehgenehmigungen verwehrt hatten, sind längst alle mit an Bord.
Red-Bull-Testfahrer Daniel Ricciardo bestätigte jüngst bei US-Late-Night-Talker Stephen Colbert den enormen Einfluss der Serie auf die rasant gestiegene Popularität, während Teamkollege Sergio Pérez in der "Tonight Show" gegen Gastgeber Jimmy Fallon Go-Kart-Rennen fuhr. "Es ist ziemlich wild. Die Serie hat die Formel 1 weltweit bekannt gemacht", sagt Ricciardo.
US-Unternehmen haben Rennserie für sich entdeckt
Das Signal ist klar: Die Stars der Szene sind vor Saisonbeginn auf Werbetour. Die Formel 1 schwingt sich auf, in den USA aus dem Schatten von Nascar und Co. zu treten. Michael Andretti, Sohn von 1978er-Weltmeister Mario Andretti, drängt mit Cadillac energisch ins Starterfeld, während Ford ab 2026 bei Red Bull als Motorenpartner jenen Platz einnimmt, den eigentlich Porsche gerne gehabt hätte.
Die F1-Rückkehr des Schwergewichts dürfte den US-Werbemarkt weiter anheizen und zeigt, welches Potenzial die großen US-Firmen inzwischen in der Formel 1 sehen. Die "Win-on-Sunday, Sell-on-Monday"-Mentalität, nach der im US-(Motor-)Sport gerne kalkuliert wird, verspricht künftig auch in der Formel 1 große Renditen.