Wenige Züge fahren Richtung Osten
Seit 30 Jahren ist Deutschland ein vereintes Land. Doch eine Zugreise in den Ostteil des Landes und nach Osteuropa ist noch heute schwieriger als ein Urlaub im Westen.

Nach Paris oder Wien? Ein Mal umsteigen. Nach Amsterdam oder Genf? Zwei Mal umsteigen. All das ist ausgehend vom Heilbronner Hauptbahnhof möglich. In den vergangenen Monaten war Heilbronn wegen Bauarbeiten sogar per ICE direkt mit Berlin und kurze Zeit mit der Ostseestadt Binz verbunden - wenn auch die Corona-Pandemie einen Urlaub erschwerte.
Diese Anbindung ist inzwischen wieder Geschichte und es ist bedeutend schwieriger, den Osten des Landes oder osteuropäische Länder mit dem Zug zu erreichen. Während es zahlreiche Direktverbindungen nach Paris, Zürich oder Amsterdam gibt, ist eine Zugfahrt nach Warschau oder Prag nur mit Umstieg möglich. Das zeigt die folgende Grafik, die alle Direktverbindungen in wichtige Städte unserer Nachbarländer zeigt.
Europäisches Zugnetz ohne Tschechien geplant
Auch bei der neusten Idee von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) rückt der Osten Europas in den Hintergrund. Ende September kündigte Scheuer an, den Trans-Europ-Express (TEE) wiederbeleben zu wollen. Unter diesem Namen fuhren bis in die 80er-Jahre hinein weiß-rote Züge durch ganz Europa. Scheuer kündigte an, einen solchen grenzüberschreitenden Schienenverkehr auf vier Linien wieder einführen zu wollen: Zwischen Warschau und Paris, Amsterdam und Rom oder auch zwischen Berlin und Barcelona.
Einziger Haken: Die Nachbarländer hat Scheuer in seine Pläne nicht mit einbezogen, konkrete Umsetzungspläne gibt es bisher nicht. Vor allem aber ist mit Warschau nur ein Ziel in Osteuropa geplant, eine Linie über Wien nach Budapest soll erst in einem zweiten Schritt folgen, Tschechien bleibt komplett außen vor. Ein Blick auf unsere Karte zeigt die ersten geplanten TEE-Linien:
Früher gab es den Interzonenzug noch
Und es ist nicht nur der Osten Europas, der per Schiene schwer erreichbar ist. Auch innerhalb Deutschlands sind Ziele in den neuen Bundesländern oft mit Umstiegen und langen Fahrzeiten verbunden.
Das war nicht immer so. Früher gab es ihn noch, den „Interzonenzug“, der ab Mitte der 80er-Jahre von Stuttgart über Heilbronn (Abfahrt um 7.31 Uhr) ohne Umstieg nach Dresden und weiter nach Görlitz fuhr. Nach Prag ging es mit einem Umstieg in Würzburg. „Trotz des Eisernen Vorhangs war das Bahnfahren einfacher als heute“, sagt Matthias Lieb, Landesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs VCD.
Nach der Wende habe man Autobahnen aus- und Schienen zurückgebaut. Verbindungen nach Osteuropa, etwa nach Polen und Tschechien, würden bis heute vernachlässigt, während Verbindungen nach Paris oder Amsterdam ausgebaut würden. „Man orientiert sich Richtung Westen."
Der Aderlass geht weiter
Und der Aderlass geht weiter: Vor wenigen Wochen kündigte die Deutsche Bahn an, ihren IC-Bus, der von Nürnberg nach Prag fährt, einzustellen. Eigentlich soll der Bus die fehlenden Züge auf dieser Strecke ersetzen. Eine Alternative bietet die Bahn bisher nicht an.
Grundsätzlich begrüßt Lieb Scheuers Pläne, mit dem "TEE" ein europäisches Zugnetz wieder aufzubauen. „Aber man fragt sich, warum diese Dinge überhaupt eingestellt wurden, wenn sie jetzt wiederbelebt werden.“
Ähnlich sei es mit dem Interregio-Netz, in dem es vor Jahrzehnten noch Verbindungen wie Leipzig-Chemnitz-Halle-Hannover gab. "Grundsätzlich braucht man mehr Ost-West-Verbindungen", sagt Lieb. Das sei kein Selbstzweck: Ohne einen verstärkten Ausbau der Schiene seien die Klimaziele des Verkehrs nicht zu schaffen. "Es gibt keine Alternative."
Schienenausbau zur Deutschen Einheit stockt
Nach der Wende hatte die Bundesregierung zahlreiche Schienenausbauten auf den Weg gebracht. Unter dem Projektnamen "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" (VDE) wurden Straßen, Schienen und Wasserstrecken geplant, die Ost und West schneller verbinden.
Sechs von neun Schienenstrecken sind inzwischen fertig, darunter die wichtigen Schnellfahrstrecken zwischen Hamburg und Berlin, Hannover und Berlin sowie Erfurt und Berlin. Eine geplante Schnellstrecke durch Mecklenburg-Vorpommern (VDE1) wurde nur in Teilen ausgebaut und wird nicht mehr fertig. Die Schnellfahrstrecke zwischen Leipzig und Dresden (VDE9) ist größtenteils fertig, weitere Teilabschnitte sollen in den nächsten zehn Jahren entstehen.
Sorgenkind ist das Projekt VDE8, die längste der neun Schienenstrecken. Sie soll Nürnberg und Berlin verbinden und irgendwann weiter nach München und Italien führen. 2017 wurde die neu gebaute Strecke zwischen Erfurt und Ebensfeld eröffnet. Sie verkürzte die Fahrzeit zwischen Nürnberg und Erfurt von drei Stunden auf rund 65 Minuten. Die Schattenseite: Große Städte wie Jena, Weimar und Saalfeld verloren durch die Neubaustrecke ihren Anschluss an den Fernverkehr.
Wann die restlichen 82 Kilometer zwischen Nürnberg und Ebensfeld viergleisig ausgebaut sind, ist unklar. Die Deutsche Bahn rechnet laut eigenen Angaben frühestens mit 2028. Auch der Weiterbau Richtung München dauert an.
Die folgende Grafik zeigt die Schienenprojekte VDE1 bis VDE9 und wann sie fertiggestellt wurden.
"Die Bundesregierung hat die Öffnung der Grenzen verschlafen"
Wie sollen Ost und West über die Schiene näher zusammenrücken? Welche neuen Strecken sind in Zukunft noch geplant? Diese und weitere Fragen haben wir an das Bundesverkehrsministerium und Minister Andreas Scheuer (CSU) gerichtet. Eine Antwort steht trotz mehrfacher Nachfrage bisher aus. Bereits in der Vergangenheit beantwortete das Verkehrsministerium Anfragen unserer Redaktion nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung.

Der Grünen-Abgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastel aus Stuttgart kritisiert die Bahnpolitik Scheuers. "Ich würde mir wünschen, dass der Verkehrsminister nicht nur Geld verteilt, sondern die richtigen Prioritäten setzt." Die Bundesrepublik müsse viel tun, um die Schiene vernünftig auszubauen. "Wir müssten massiv in die Infrastruktur investieren, weitere Strecken elektrifizieren und zweigleisig ausbauen, Bahnknoten ausbauen und dort Engpässe auflösen."
Außerdem fordert Gastel, dass Trassenpreise reduziert werden, um Tickets günstiger und den Schienengüterverkehr attraktiver zu machen. "Es ist nie zu spät, Dinge zu korrigieren, die falsch sind."
Planung für Schienenstrecke beginnt erst nach 25 Jahren
Scheuers Trans-Europ-Konzept sieht der Grünen-Politiker kritisch. "Das war ein Schuss aus der Hüfte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Seitdem hat man nichts mehr davon gehört. Wir können nicht erkennen, dass er das ernsthaft verfolgt." Andere Projekte dieser Größenordnung würden monatelang vorbereitet.
Schienenverbindungen in östliche Nachbarländer würden seit Jahren vernachlässigt, sagt Gastel. 1995 habe die Bundesregierung etwa mit Tschechien vereinbart, die grenzüberschreitende Bahnstrecke zwischen Nürnberg und Schirnding an der tschechischen Grenze auszubauen und zu elektrifizieren. Erst jetzt habe man mit den Planungen begonnen.
"Da wird eine Zusage ans Nachbarland gemacht und es dauert 25 Jahre, bis man anfängt zu planen", sagt Gastel. "Die Bundesregierung hat die Öffnung der Grenzen komplett verschlafen. Man könnte meinen, der Eiserne Vorhang wäre erst gestern gefallen." Im Gegensatz dazu seien grenzüberschreitende Autobahnen wie die A17 und die A6 seit vielen Jahren fertig.