Wie läuft der Endspurt im Straßenwahlkampf?
Monatelang haben die Kandidaten der Parteien am Wochenende auf den Marktplätzen und in den Fußgängerzonen der Region für sich geworben. Wir haben die Kandidaten der sechs großen Parteien im Wahlkreis Heilbronn am vorletzten Wochenende vor der Wahl besucht.
Der Wahlkampf geht in den Endspurt. Auch am vorletzten Wochenende vor der Wahl haben die Parteien in der Fußgängerzone wieder um unentschlossene Wähler geworben.
Wir haben den Direktkandidaten der sechs im Bundestag vertretenen Parteien im Wahlkreis Heilbronn am Samstag einen Besuch am Wahlkampfstand abgestattet und ihnen je eine halbe Stunde beim Straßenwahlkampf über die Schulter geschaut. Die Reihenfolge hat sich nach dem Terminkalender ergeben: Los geht es mit den Linken, weiter zu den Grünen, zur AfD, der FDP sowie zu SPD und CDU.
Die Linke

Es dauert keine zehn Minuten, bis der Infostand der Linken in der Fleiner Straße aufgebaut ist. "Wir haben Übung", sagt Konrad Wanner, Direktkandidat der Linkspartei im Wahlkreis Heilbronn. An diesem Samstagmorgen bekommt der 65-Jährige prominente Unterstützung: Bernd Riexinger, ehemals Parteivorsitzender, ist ebenfalls angereist. "Anfangs war es sehr zäh. Aber es ist besser geworden", sagt Wanner über den Straßenwahlkampf.
Spürbar sei, dass viele schon per Briefwahl abgestimmt hätten. Dennoch wirbt die Linkspartei um letzte unentschlossene Wähler, mit Parteizeitung, Lollis und Gummibärchen. Es geht um höhere Renten, Mindestlohn und Abrüstung. "Unsere Wahlkampferfahrung ist besser als die Umfragewerte", meint Bernd Riexinger mit Blick auf die derzeit anvisierten sechs Prozent für die Linkspartei. "Wir kämpfen bis zum Schluss."
"Wann tut ihr was für die Vereinigten Staaten von Europa?", fragt einer. Ein Thema, das für Wanner "derzeit nicht auf der Tagesordnung" steht. Wichtiger sei ein "Friedensbündnis unter Einbeziehung Russlands", erklärt er. "Ich will eine Friedenspolitik, die auf Zusammenarbeit setzt." Klar sei für ihn, dass Deutschland nicht innerhalb einer Legislaturperiode aus der Nato austrete.
"Wollt ihr nicht mal links wählen?", fragt Riexinger zwei vorbeilaufende junge Männer. "Ehrlich gesagt nicht", antwortet einer. "Wenn die Jugend nicht mehr links wählt, ist das das Ende", sagt Riexinger. "Aber man kann ja links wählen, ohne die Linke zu wählen", entgegnet der Jugendliche.
Bündnis 90/Die Grünen
Natürlich ist bei Isabell Steidel, Direktkandidatin der Grünen im Wahlkreis Heilbronn, alles auf öko getrimmt: Es gibt Windräder und Pfannenwender aus nachhaltigen Materialien, Blumensamen und Tee aus regionalem Handel. "Es ist noch alles drin", sagt die 24-jährige Studentin. "Das Interesse an unseren grünen Antworten ist groß." In der letzten Woche steckt "ganz viel Power", meint Steidel. "Wir geben alles, um eine ökologisch-soziale Zukunft zu erreichen."

"Ich habe Sie schon gewählt", entgegnet ein Mann, als er einen Flyer angeboten bekommt. Steidel spendiert dem Pärchen zum Dank Grüntee. Die Szene wird sich noch mehrere Male wiederholen. "Umso besser, wenn die Menschen einen schon gewählt haben", sagt Steidel und lacht. Anderen Passanten sieht man schon beim Anblick der grünen Wahlkampf-Materialien eine gewisse Ablehnung an. „Nein, danke!“, heißt es dann. „Ihnen einen schönen Tag“, sagt Steidel.
"Wie stehen die Chancen für den Bundestagseinzug?", will einer wissen. "Die stehen gut", erklärt die 24-Jährige und dass ihre Partei für Baden-Württemberg mit 30 Sitzen rechnen kann – der Listenplatz, auf dem Steidel steht.
"Ich finde es toll, dass Sie Studentin sind", sagt ein Mann mit zwei Kindern, der schon bei der Landtagswahl die Grünen gewählt hat und das auch diesmal plant. Er überlegt, ob er sich ein Lastenrad anschafft und blickt neidisch auf das Exemplar, mit dem Steidel den Wahlkampf bestreitet. Sie gibt ihm ihre Visitenkarte und verspricht, bei Interesse eine Probefahrt zu organisieren.
AfD

Es fängt mit einem Streit an: Ein Bürger kritisiert, dass die AfD mit "Migration tötet" wirbt. "Das ist nicht von der AfD, sondern von der NPD", erklärt ihm das Team am Infostand, was den Mann jedoch nicht überzeugt. Franziska Gminder, Direktkandidatin der AfD im Wahlkreis Heilbronn, ist mit ihrer Bilanz im Bundestag zufrieden. "Wir haben so viele Dinge beantragt, aber die wurden ja alle abgelehnt." Am Infostand wirbt die AfD mit verschiedenen Flyern: "Gender Mainstreaming: ein Albtraum für Eltern und Kinder“ steht darauf oder "Der Islam gehört nicht zu Deutschland".
"Wir haben Sie schon gewählt", sagt ein Paar. "Das andere geht gar nicht mehr. Es geht um unsere Kinder", erklärt die Frau. "Die Ausländer gehören sofort raus", sagt ein Mann. Gminder stimmt zu. "Auch wenn sie dann nach Afghanistan müssen." Ein Unding findet die 76-Jährige, dass die Bundesrepublik "vier Millionen Euro an die Taliban" überweist. "Aber in den Flutgebieten kommt kein Geld an." Außerdem setzt sich Gminder dafür ein, dass alle Corona-Einschränkungen sofort abgeschafft werden.
Ein anderes Paar sichert Gminder Unterstützung zu. Sie hätten zuvor jahrelang FDP gewählt, erzählt die Frau. "Wir haben völlig liberale Einstellungen." Per Ausschlussprinzip seien sie zur AfD gekommen. "Ich wollte nicht, dass der Bundestag über das Infektionsschutzgesetz entmachtet wird." Auch eine Impfung gegen das Coronavirus lehnen die beiden ab und kritisieren Grundrechtseinschränkungen in der Pandemie. Punkte, bei denen Gminder ihre Zustimmung versichert.
FDP
Nicht nur im Wahlkampf sondern jeden Monat wirbt die FDP auf dem Kiliansplatz für sich. "Die Stimmung ist sehr gut", erklärt Nico Weinmann, Stadtrat und Landtagsabgeordneter. Viele stünden der FDP positiv gegenüber. An potenzielle Wähler werden Jo-jos, Taschentücher und Glückskekse verteilt.

"Es macht Spaß, vor allem, weil viele junge Menschen zu uns gestoßen sind", freut sich Michael Link, Direktkandidat der FDP im Wahlkreis Heilbronn. "Der Straßenwahlkampf läuft sehr viel weniger kritisch. Es bleiben eher die Interessierten stehen", meint Link, nur um kurz darauf von dem Paar konfrontiert zu werden, das zuvor am AfD-Stand weilte.
Sie kritisieren, dass Link die Corona-Impfung als "Bürgerpflicht" bezeichnete. "Ich habe den Begriff Bürgerpflicht verwendet als Gegensatz zu einer gesetzlichen Pflicht", erklärt der 58-Jährige. "Jeder soll machen, was er will, soll dann aber auch die Konsequenzen tragen." Er versichert: "Mit uns wird es keinen neuen Lockdown geben."
"Man muss versuchen, sich mit solchen Meinungen auseinanderzusetzen", sagt Link. "Es gibt zwei von zehn Fällen, in denen man die Menschen zum Nachdenken bringt." Ein anderer Bürger will wissen: Kommen Steuererleichterungen für Unternehmen wirklich der Wirtschaft insgesamt zugute? Link versichert, dass das funktioniert. Steuererhöhungen seien eine Gefahr für Unternehmen. "Den Bäcker trifft der Höchststeuersatz. Der hat sein Vermögen im Betrieb." In einer Koalition sei es etwa denkbar, sich auf Regeln für vereinfachte Abschreibungen zu einigen.
SPD
Angesichts der Umfragewerte, die die SPD derzeit als stärkste Kraft sehen, ist die Stimmung am Stand von Josip Juratovic gut. "Die Normalität ist zurück. Das ist sehr wohltuend", sagt der 62-jährige SPD-Direktkandidat im Wahlkreis Heilbronn. Anfangs habe Corona im Wahlkampf noch auf die Stimmung gedrückt, das habe sich aber geändert. "Ich brauche die Kommunikation mit den Menschen. Ich muss mein Publikum sehen und spüren", sagt Juratovic.

Während er im Frühjahr noch auf einen fast aussichtslosen Listenplatz 18 gewählt wurde, sei die Unterstützung in der Bevölkerung nun groß. "Nach dem Listenparteitag habe ich noch gesagt: Ich schaffe es in den Bundestag. Da hat jeder ein bisschen geschmunzelt", sagt Juratovic. „Jetzt ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.“ Nun erlebt er Geschichten wie in Bad Wimpfen, wo ihm eine Erstwählerin einen Latte Macchiato spendiert hat mit der Bitte: Enttäuschen Sie mich nicht. "Das habe ich ihr versprochen", sagt Juratovic. Im Bundestag wolle er ein „Anwalt der Arbeiter“ sein.
Einige, die am Stand vorbeikommen, haben die SPD schon gewählt. Gummibärchen, einen Stift oder Informationen über Josip Juratovic nehmen sie trotzdem mit. "Wir brauchen jetzt verlässliche Politiker mit Erfahrung, keine Experimente", sagt der 62-Jährige. Sein Ziel: Eine rot-grüne Koalition. „Wir können das noch schaffen.“ Andere Koalitions-Optionen stimmen ihn weniger optimistisch, etwa die mit Beteiligung der FDP: "Ich brauche nicht noch einen Klotz am Bein."
CDU
Das Team von Alexander Throm, Direktkandidat der CDU im Wahlkreis Heilbronn, hat sich um den orangefarbenen "Alex-Bulli" platziert. "Wir erleben große politische Rückendeckung", sagt Throm, dessen Konterfei auf Flyern, Papiertüten und Brausetütchen prangt. "Die Menschen merken, dass es bei dieser Wahl um etwas geht und dass es auf jede Stimme ankommt."
Der voraussichtlich hohe Anteil von Briefwählern hält den 53-Jährigen nicht ab. Um die 50 Prozent hätten noch nicht gewählt und seien noch in der Entscheidungsphase, meint Throm. Besonders wichtig sei das Thema "Mobilität im ländlichen Raum und wo wir sie weiterhin ermöglichen", weiß Throm aus seinen Gesprächen. "Auch Migration ist ein großes Thema."

"Ich drücke euch die Daumen", sagt eine Bürgerin, die sich für die CDU entschieden hat, obwohl sie mit Armin Laschet etwas fremdelt. "Der ist eben eine rheinische Frohnatur. Wenn man damit nicht umgehen kann, ist es schwierig", erzählt sie. Über Alexander Throm sagt sie: "Mit dem wird das schon recht werden für uns Heilbronner. Den kann ich auch in der Stadt mal treffen."
Die anderen Parteien seien "auf gar keinen Fall" in Betracht gekommen. "Ein Kanzler muss für mich eine gewisse Lebenserfahrung haben", sagt die Frau über Annalena Baerbock. Olaf Scholz sei nicht mal von seiner Partei zum Vorsitzenden gewählt worden. "Da haben Sie eine sehr intelligente politische Entscheidung getroffen", meint Throm.
Auch während Alexander Throm mit anderen Menschen im Gespräch ist, erntet er Zustimmung. "Ich habe euch gewählt! Viel Erfolg", schreit einer und reckt den Daumen nach oben.