"Deutsche Wahlkämpfe sind immer langweilig“
Der Politologe Thomas Gschwend von der Universität Mannheim sagt, die Grünen hätten durch ihre Patzer zu Beginn des Wahlkampf ihre Chance aufs Kanzleramt verspielt. Die "Rote-Socken-Kampagne" der Union in Richtung SPD bezeichnet er als "gängiges Instrument, um zu emotionalisieren". Am Wahlabend um 18.01 Uhr sei dann alles wieder vergessen.

Der Wahlkampf ist auf der Zielgeraden, am 26. September entscheiden die Bürgerinnen und Bürger über die nächste Bundesregierung. Zu Anfang der Kampagne war häufig von einem „Schlafwagenwahlkampf“ die Rede, auch Pannen der Kandidaten dominierten über Wochen die Schlagzeilen – erst stand Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock dabei unrühmlich im Fokus, später Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet mit seinem deplatzierten Lachen beim Besuch im Flutgebiet in Nordrhein-Westfalen.
Die „Rote-Socken-Kampagne“ gegen die SPD und ihren Kandidaten Olaf Scholz sorgt jetzt in der Schlussphase für viel Aufmerksamkeit, einige sehen darin eine „Schmutzkampagne“. Eigentlich sei es ein Wahlkampf gewesen, der sich in vielen Punkten gar nicht so sehr von vorangegangenen unterscheidet, sagt der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas Gschwend.
Schlussspurt für die Parteien im Wahlkampf. Wie beurteilen Sie das bisherige Rennen?
Thomas Gschwend: Deutsche Wahlkämpfe sind in gewisser Weise immer langweilig gewesen. Wir sind nicht in den USA und wir wählen Parteien, keinen Präsidenten oder Kanzler. Es ist auch völlig klar, dass keine der Parteien die absolute Mehrheit erreichen wird. Im Hinblick auf spätere Koalitionsverhandlungen hinterlässt man da besser keine verbrannte Erde. Was diesmal neu ist, sind die drei Akteure. Die scheinen sich selbst unsicher zu sein, wie sie sich verhalten sollen angesichts der Tatsache, dass es keine Amtsinhaberin gibt, die antritt. Das merken viele Bürger, die nicht so sehr an Politik interessiert sind, im Übrigen erst jetzt. Die Dinge müssen sich erst ein wenig neu sortieren.

In den letzten Wochen hat die „Rote-Socken-Kampagne“ der Union gegen die SPD für Aufregung gesorgt. Wie glaubwürdig ist es, Olaf Scholz als Postkommunisten darzustellen?
Gschwend: (lacht) Wir haben uns hier am Lehrstuhl schon gefragt, wann CDU/CSU wohl wieder anfangen, ihre Blut-Schweiß-und-Tränen-Nummer zu spielen. In der Vergangenheit haben wir ja öfter gesehen, dass sie ein bisschen überdrehen, um die eigenen Leute zu mobilisieren – zum Beispiel mit „Kinder statt Inder“ aus dem NRW-Landtags-Wahlkampf 2000. Sowas ist ein gängiges Instrument, um zu emotionalisieren, am Wahlabend um 18.01 Uhr sind solche Äußerungen vergessen.
Sie haben also keine Angst vor dem Ultralinken Olaf Scholz
Gschwend: Diese Rote-Socken-Kampagne, die ja gar nicht so richtig zieht, ist der Versuch, wenigstens das eigene Wählerpotenzial auszuschöpfen, wenn es schon nicht gelingt, neue Wähler für die Union hinzuzugewinnen. Also wird nach außen die Botschaft transportiert: „Lasst uns wenigstens das Chaos durch einen Linksrutsch verhindern“.
Wäre es nicht besser gewesen, stärker auf eigene Inhalte zu setzen?
Gschwend: Das ist ja das Erstaunliche. Die CDU hat sich mit ihrem Kandidaten automatisch in der legitimen Nachfolge von Angela Merkel gesehen. Sie haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass die SPD wieder hochkommt, dabei hätte ihnen jeder Sozialwissenschaftler sagen können, dass die Sozialdemokraten nie abgeschrieben waren. So hat die CDU auch keine thematische Arbeit gemacht und inhaltlich nichts vorzuweisen. Die SPD hat ein klares Programm, die Grünen waren mit ihrem Programm auch weit früher dran.
Trotzdem haben es die Grünen nicht geschafft, den eigenen Ambitionen gerecht zu werden.
Gschwend: Da kann man wirklich nur den Kopf schütteln. Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass die Grünen ganz viele Merkel-Wählerinnen für sich gewinnen können, die nur wegen ihr CDU gewählt haben. Es ist zwar noch nicht klar, wie es ausgeht, ich würde vermuten, dass das Potenzial der Grünen eher unterschätzt wird. Man muss aber klar sagen: Die haben es verbockt. Wenn man mit am Regierungstisch sitzen möchte, kann man doch nicht mit einem Lebenslauf auf einer Webseite an die Öffentlichkeit gehen, in dem solche Fehler drin sind. Und dann kommen noch zwei weitere Patzer hinterher. Das ist definitiv eine vertane Chance.
Wir sind auf den letzten Metern. Was denken Sie: Erwarten uns noch Überraschungen?
Gschwend: Die sollten dann aber langsam auftreten, um noch zu wirken. Ich fand das mit der Durchsuchung im Finanzministerium von Olaf Scholz ja schon erstaunlich, aber offenbar geht es bei der Ermittlung gar nicht um das Ministerium. Wenn jetzt natürlich noch einmal ein Starkregen käme, könnte das schon die Katastrophe vom Anfang des Sommers ins Gedächtnis rufen. Auch was die Umfragen betrifft, könnten uns Überraschungen erwarten. Die SPD bekommt man normalerweise recht gut zu fassen. Ich glaube, das gilt diesmal auch für die AfD. CDU und Grüne sind dagegen nicht so gut abzubilden. Und – aber das ist nur der Eindruck aus meinem persönlichen Umfeld – ich glaube, dass diesmal doch einige die Grünen wählen werden, für die es bisher nie etwas anderes gab als CDU oder FDP.
Zur Person
Thomas Gschwend ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Mannheim. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem dem Wählerverhalten.