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Wie lernen Kinder zu teilen?

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Das Bedürfnis, Dinge mit anderen zu teilen, ist nicht angeboren. Das Gegenteil ist eher der Fall. Doch wie lernen Kinder, Gleichaltrigen von ihrem Sandspielzeug abzugeben? Und welchen Einfluss haben die Eltern aufs Verhalten ihrer Töchter und Söhne?

von Milva-Katharina Klöppel
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Jetzt will ich! Häufig ist es gar nicht der Gegenstand, der zum Streit führt, sondern das Bedürfnis von Kindern, den gleichen Spaß wie andere zu erleben. Foto: Marcel Paschertz/stock.adobe.com
Jetzt will ich! Häufig ist es gar nicht der Gegenstand, der zum Streit führt, sondern das Bedürfnis von Kindern, den gleichen Spaß wie andere zu erleben. Foto: Marcel Paschertz/stock.adobe.com  Foto: MARCEL PASCHERTZ (41667175)

Das war klar! So denken vermutlich die meisten Eltern bei der folgenden Szene: Leon spielt mit dem roten Kipplaster, bis Marie ihn erblickt und beherzt zugreift. Ein kurzes Gerangel, schwupps, jetzt hat die Dreijährige das Auto und Leon schaut dumm aus der Wäsche. Wenige Sekunden später kullern die ersten Tränen über die Wange des Jungen. „Warum könnt ihr denn nicht gemeinsam mit dem Laster spielen?“, fragt Leons Vater sogleich. Ja, warum eigentlich nicht?

Dinge in Besitz zu nehmen und sie gegen andere zu verteidigen, ist uns angeboren. Leon verhält sich also völlig normal und aus Sicht seiner Entwicklung absolut richtig. Die meisten Kinder fangen mit etwa anderthalb Jahren an, alles, was sie gerade in der Hand halten, mit einem nachdrücklichen „Meins!“ als ihres zu deklarieren. Und dieses „Meins!“ gilt es festzuhalten, denn wer weiß, ob man es jemals zurückbekommt? 

Existenzielle Ängste

Mit diesem natürlichen Verhalten haben sich bereits die Kinder der Höhlenmenschen ihr Überleben gesichert. Das Besitzdenken geht sogar so weit, dass sich Kleinkinder oft mit den Gegenständen, an denen sie hängen, körperlich identifizieren. Sie sind ein Teil von ihnen. Nimmt sie jemand weg, fühlen sie sich existenziell bedroht. „Kinder zwischen ein und drei Jahren definieren sich stark über Dinge – Kleidung, Haarlänge, Spielsachen“, sagt Professor Hartmut Kasten, Entwicklungspsychologe, Frühpädagoge und Familienforscher.


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Allerdings verweist Kasten auch auf die Gehirnforschung. „Es gibt viele Erkenntnisse, dass es die Gemeinschaft ist, die den Menschen in Sachen Eigentum prägt. Inzwischen gleichen sich die Kulturen der Welt zwar immer mehr an, aber es gibt immer noch Gemeinschaften, da lebt die ganze Familie in einem gemeinsamen Raum. Dann ist die Ausprägung, das ist mein Zimmer, das ist mein Spielzeug, nicht vorgegeben und taucht dann auch nicht als Konflikt auf. Umgekehrt ist in unserer Kultur die Wertschätzung des Gemeinschaftseigentums nicht so hoch.“

Umso wichtiger sei es, seinem Kind die richtigen Werte vorzuleben. Rege ich mich beispielsweise immer lautstark auf, wenn mein Partner mein Smartphone auch nur in die Hand nimmt, wird dem Nachwuchs schwer zu vermitteln sein, dass er seine Lieblingspuppe mit dem Nachbarskind zu teilen hat.

Kinder brauchen Grenzen

Gemeinsam macht es mehr Spaß! Wenn nicht zum Teilen gezwungen werden, sind sie viel lieber dabei. Foto: Anna Kraynova/stock.adobe.com
Gemeinsam macht es mehr Spaß! Wenn nicht zum Teilen gezwungen werden, sind sie viel lieber dabei. Foto: Anna Kraynova/stock.adobe.com  Foto: Anna Kraynova (218796896)

Wenn ein Kind lernen soll, etwas zu teilen, muss es erst einmal wissen, dass es ein „Mein” und „Dein” gibt. Gar nicht so einfach, denn in den ersten drei Lebensjahren sind Kinder selbstbezogen, heißt: Die Grenzen zwischen dem einzelnen Kind und seiner Umgebung sind noch recht verschwommen. Es muss erst lernen, sich mit den Gefühlen anderer auseinanderzusetzen und auch zu verstehen, dass ein anderes Kind auch Wünsche hat und vielleicht gern mit dem eigenen Spielzeug spielen möchte. Kleinkinder lernen erst mit etwa drei bis vier Jahren, sich in andere hineinzuversetzen.

Wie sollen sich Eltern verhalten?

Doch wie sollten sich Erwachsene nun verhalten, wenn in der Sandkiste ein Streit entbrannt? Hartmut Kastens rät davon ab, sich einzumischen. Die Idee, dem einen Kind das Objekt der Begierde wieder wegzunehmen und dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben, sei die schlechteste Lösung. Viel wichtiger sei es, die Frage nach dem Warum mit den Kleinen zu klären. Warum möchte Marie denn jetzt unbedingt mit dem selben Spielzeug wie Leon hantieren? Häufig stellt sich dann heraus, dass es gar nicht das Objekt ist, das die Kleine reizt und zum Auslöser des Konflikts wurde. Es ist viel mehr der Spaß, den das Mädchen im Spiel des Freundes erkennt und den es ebenfalls empfinden möchte. Im Idealfall gelingt es dem Erwachsenen, die Situation zu entschärfen und Neugier der Kinder am gemeinsamen Spiel zu wecken.

Übrigens: Die beiden Entwicklungspsychologinnen Nadia Chernyak und Tamar Kushnir fanden in einer Studie heraus, dass Kinder lieber teilen, wenn sie sich freiwillig dazu entschlossen haben, statt nur der elterlichen Ermahnung zu folgen. 

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