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"Wir sind bei der Gleichstellung lange nicht so weit, wie wir denken"

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Silvia Payer ist Frauenbeauftragte der Stadt Heilbronn und führt die Leitstelle zur Gleichstellung der Frau. Wir haben mit Blick auf den Muttertag mit ihr über die aktuelle Situation von Frauen und Müttern gesprochen, über die Verlierer in der Corona-Pandemie und warum wir dringend eine bessere Entlohnung in pflegenden und sozialen Berufen brauchen.

von Christine Tantschinez
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Sylvia Payer ist Frauenbeauftragte der Stadt Heilbronn und leitet auch die Leitstelle zur Gleichstellung der Frau.
Sylvia Payer ist Frauenbeauftragte der Stadt Heilbronn und leitet auch die Leitstelle zur Gleichstellung der Frau.  Foto: privat

Frau Payer, Sie sind bereits seit 1992 Frauenbeauftragte in Heilbronn. Das ist vergleichsweise recht früh gewesen, oder?

Payer: Heilbronn war in Baden-Württemberg unter den ersten zehn Stadt- und Landkreisen, die so eine Stelle eingerichtet haben, bereits 1988. Freiburg war 1985 die erste baden-württembergische Stadt. Es waren damals sehr frauenbewegte Zeiten in den 80er-Jahren, der Druck auf die Kommunen, solche Stellen einzurichten, wurde stärker. 

 

Wie weit sind wir in der Gesellschaft mit der Gleichstellung der Frau?

Payer: Wir sind lange nicht so weit wie wir oft glauben. Die gefühlte Gleichstellung ist weiter vorangeschritten als die tatsächliche. Der Blick auf die Statistiken offenbart das, ich will nur ein paar Stichworte nennen: Die Lohnlücke in Deutschland ist besonders hoch verglichen mit europäischen Ländern. Auch die Rentenlücke ist extrem hoch. Frauen in Deutschland erhalten 47 Prozent der Rente, die Männer erhalten. Das ist die höchste Rentenlücke in der EU. Dann gibt es den sogenannten Gender-Care-Gap, also dass Frauen anderthalbmal so viel Zeit wie Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden. Wir haben auch nur knapp 10 Prozent Frauen in Vorständen in den großen DAX-Unternehmen.  Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt zwar weit über 70 Prozent, aber 81 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind auch Frauen. Wir sind in Deutschland Weltmeister bei der kleinen Teilzeit, also bei besonders kurzen Arbeitszeiten. 20 Prozent aller Frauen sind unter 15 Stunden in der Woche beschäftigt. 

 

Dieser hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung, kommt das daher, dass Frauen nach der Familiengründung sich eher zurückziehen, um für den Nachwuchs zu sorgen? Das schlussfolgert zum Beispiel eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Dann wird die Rollenverteilung sehr traditionell, der Vater geht arbeiten, die Mutter bleibt zuhause. Erleben Sie das auch so?

Payer: Ja, Mütter bleiben zu Hause oder arbeiten in Teilzeit. Bemerkenswert ist auch, dass viele Frauen nie mehr ganz in den Job zurückkehren, auch wenn die Kinder aus dem Haus sind. Es gibt einige Besonderheiten in Deutschland, die das fördern. Das Ehegatten-Splitting ist so eine Besonderheit. Es wird steuerlich belohnt, wenn es einen Alleinverdiener gibt und die Frau gar nicht arbeitet oder nur wenig dazuverdient. Solche „Anreize“ dürften eigentlich nicht sein. Man müsste bei der steuerlichen Förderung eher nach Kindern schauen. Seit über 30 Jahren wird gefordert, dieses Konstrukt zu überarbeiten, es verändert sich wenig. Auch müsste man die Mini-Jobs abschaffen oder reformieren, weil sie zur Falle werden können für Frauen, die „dazu“ verdienen wollen. Sie können damit keine eigenständige Alterssicherung erwerben und sind besonders ungesichert, wenn die Partnerschaft scheitert. 

 


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Frauen sind in der Politik immer noch stark unterrepräsentiert. Glauben Sie, diese steuerliche Besonderheiten halten sich auch deswegen so lange? 

Payer: Ich bin überzeugt davon, dass das eine Rolle spielt. Die Lebensrealität von Frauen spiegelt sich viel zu wenig in den politischen Entscheidungsgremien. Wenn bestimmte Lebensrealitäten in einem Gremium nicht vorhanden sind, werden sie auch weniger berücksichtigt. Wir brauchen mehr Diversität, mehr Frauen, mehr Mütter, mehr Menschen mit Migrationshintergrund, mehr junge Menschen, die tatsächlich in der Situation sind und die Probleme einfach kennen. Schön wären auch mehr Alleinerziehende in der Politik, aber die haben natürlich ganz besonders wenig Zeit.

 

Haben sich die Rahmenbedingungen für Mütter eigentlich überhaupt verändert in den letzten 30 Jahren?

Payer: Natürlich hat sich was verändert, wir haben auch Fortschritte gemacht. Gerhard Schröder hatte als Kanzler Familienpolitik noch als „Gedöns“ bezeichnet, das würde heute niemand mehr tun. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Standortfaktor, der für die Wirtschaft eine ganz große Rolle spielt. Auch die Berufstätigkeit von Frauen ist allgemein akzeptiert. Allerdings weniger, wenn sie tatsächlich Karriere machen wollen und kleine Kinder haben. Trotzdem, früher war das gar nicht akzeptiert. In rechtlicher Hinsicht hat sich vieles verbessert, mit Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, auf Teilzeit, die Elternzeit und das Elterngeld wurden eingeführt. Wir haben andere Betreuungsstrukturen, andere Betreuungsangebote, aber wir haben in Deutschland immer noch ganz ausgeprägte Rollenstereotype, an denen festgehalten wird. Das sieht man sehr gut an der Berufswahl: Trotz aller Bemühungen um Girls Day und MINT-Berufe verändert sich da ganz wenig.

 

Es gibt da diesen Mythos von den „neuen Vätern“ – die sich mehr Auszeiten für ihre Kindern nehmen. Gibt es die wirklich?

Payer: Man könnte meinen, das sei ein Mythos, aber ganz viele Studien zeigen, dass vor allem jüngere Frauen und Männer finden, dass sich Mütter und Väter gemeinsam um die Kinderbetreuung kümmern sollten. Über 70 Prozent der Elternpaare wünschen sich eine gleichmäßige Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Dieser Wunsch nach aktiver Vaterschaft ist ein internationales Phänomen. Leider spiegelt sich das bei uns in Deutschland in der Realität kaum wider. Über 70 Prozent der Paare wünschen sich die egalitäre Aufteilung, aber nur 14 Prozent leben diese Aufteilung tatsächlich.

 

Welche Erfahrung haben Sie gemacht, woran liegt das?

Payer: Wenn Kinder mal da sind, kommt es sehr häufig zu dieser traditionellen Aufteilung, auch durch die angesprochenen steuerlichen Vergünstigungen. Wenn Väter Elterngeld in Anspruch nehmen ist das oft weniger rentabel als wenn Frauen das tun. Schließlich verdienen Frauen in der Regel weniger als Männer. Was ich auch häufig höre ist, dass Väter befürchten, dass der Arbeitgeber es nicht honoriert, wenn männliche Mitarbeiter eine Familienauszeit einfordern. Sie befürchten, dass sie als nicht karriereorientiert aussortiert, für Führungsaufgaben nicht mehr vorgesehen werden. Oder dass sie bei den Kollegen als „Weichei“ angesehen werden. Frauen glauben auch manchmal, sie könnten es besser als die Männer. Es zeigt sich übrigens jetzt, dass sich Männer in Kurzarbeit oder im Homeoffice dann stärker um alles kümmern, wenn ihre Frauen außer Haus sind.

 

Vor kurzem warnte der DGB, dass sich die Corona-Pandemie schlecht auf die Gleichstellung von Frau und Mann auswirken würde, weil sich wieder mehrheitlich die Frauen aus dem Beruf zurückziehen, um daheim Kinder und pflegebedürfte Angehörige zu betreuen. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht, dass die Pandemie-Verlierer tatsächlich die Mütter sind?

Payer: Ja, das kann man beobachten, auch wenn wir noch kein abschließendes Fazit ziehen können. Es scheint aber weltweit der Fall zu sein, dass Mütter ihre Arbeitszeit eher reduzieren oder viel selbstverständlicher auch ins Homeoffice gehen. Väter beteiligen sich zwar auch mehr an der Kinderbetreuung in der Pandemie, aber die Frauen leisten den Großteil der Sorge- und Pflegearbeit. Außerdem sind sie durch die geschlechtsspezifische Berufswahl gefährdeter. Sie arbeiten besonders häufig in den Berufen soziale Arbeit, Gesundheit, Haushalt und Erziehung, da liegt der Frauenanteil bei 80 Prozent. Diese Berufe sind jetzt besonders gefordert, da stehen die Frauen an vorderster Front, auch was das Risiko betrifft, sich anzustecken. Wenn es in bestimmten Branchen wie Hotellerie und Gaststätten zu Arbeitsausfällen kommt, gibt es oft keine Kurzarbeit, das wird gleich existenzgefährdend. Und durch solche Mechanismen wie Lohnsteuerklasse V oder Mini-Jobs gibt es nur eine geringe finanzielle Absicherung. Alles, was wir bereits an Defiziten haben, die Lohnlücke, den geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarkt, die steuerlichen Regelungen, das potenziert sich jetzt nochmal in der Pandemie und wird zum noch größeren Nachteil für Frauen und Mütter.

 

Wir haben gerade darüber gesprochen, geeignete Maßnahmen wären beispielsweise Abschaffung des Ehegatten-Splittings. In meinem Bekanntenkreis gibt es aber Frauen, die sich bewusst für das Lebensmodell entscheiden, möglichst reich zu heiraten und dann zu Hause zu bleiben. 

Payer: Das gibt es auch andersherum. Es gibt eine Studie: "Was junge Paare sich wünschen". Die kam zum Ergebnis, dass auch junge gutverdienende Männer aus modernen, gehobenen Milieus sich wünschen, dass die Partnerin auf den Job verzichtet. Damit sind große Karrierevorteile für Männer verbunden, wenn sie zuhause eine Frau haben, die sich um alles kümmert. Sie haben im Beruf sowohl Vorteile gegenüber Frauen, die so eine Rundumversorgung nicht haben, egal ob mit oder ohne Kinder, als auch gegenüber anderen Männern, die eher bereit sind, auch daheim Verpflichtungen zu übernehmen. 

 

Laut der Studie von Bertelsmann verdient ein Mann mit Kindern im Vergleich zu kinderlosen Männern im Durchschnitt tatsächlich sogar mehr. Ihnen wird mehr Verantwortung übertragen und sie machen mehr Überstunden. Aber wir haben gerade auch über Corona gesprochen. Einer der Facetten ihrer Arbeit betrifft auch Alleinerziehende. Haben Sie da Erfahrungen, wie es jetzt Alleinerziehende in der Corona-Krise geht?

Payer: Ein-Eltern-Familien sind „Familien in konzentrierter Form“ habe ich mal gelesen. Also alles, was an Problemlagen bei Familien so auftritt, trifft Alleinerziehende ganz besonders. Wir haben in Heilbronn einen hohen Anteil an Alleinerziehenden, immerhin 21 Prozent aller Familienhaushalte. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. Die Vereinbarkeitsproblematik beim Homeschooling und fehlender Kinderbetreuung ist natürlich viel größer.  Finanzielle Belastungen nehmen zu. Die Versorgung der Kinder zuhause ist teurer. Alleinerziehende haben auch in der Regel nicht die größten Wohnungen, diese räumliche Enge wird zu einem ganz besonderen Problem. Alles was wir an Belastungen in der Corona-Krise haben, trifft auf Alleinerziehende um ein Vielfaches verstärkt zu. Und die Sorge um den Job ist nochmal größer.

 

Wie würden Sie den Stand der Kinderbetreuung  in Heilbronn beurteilen?

Payer: Wir sind sicher nicht schlecht aufgestellt, aber wir haben einfach generell in Deutschland einen großen Nachholbedarf. Die Bundesregierung bemüht sich, den Rechtsanspruch auf Ganztagesschulen umzusetzen. Hamburg und die meisten ostdeutschen Länder haben das schon umgesetzt. Da müssen wir in ganz Deutschland hin. Es kommen Ausgaben in Millionenhöhe auf die Länder zu. Man braucht ja nicht nur mehr Personal, sondern auch die Gebäude müssen entsprechend ausgestattet werden. Es muss viel mehr investiert werden in diesen Bereich.

 

Wo haben wir in Punkto Gleichstellung noch Nachholbedarf?

Payer: Die Bundesregierung fordert in ihrer Gleichstellungsstrategie ihrer, dass Frauen und Männer von ihrer Arbeit gleichermaßen gut leben können und gemeinsam Sorgearbeit leisten können. Dazu müssen wir aber weg von einer Unternehmenskultur und unserer Vorstellung, wie berufliche Arbeit abzulaufen hat, bei der Überstunden selbstverständlich sind und erwartet wird, dass die Beschäftigen rundum präsent und immer mobil sind. Wie machen es die anderen? In Belgien ist es verbreitet, dass Väter und Mütter 30 Stunden in der Woche arbeiten. In Frankreich gibt es die 35-Stunden-Woche. Das allein würde viel helfen. Im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gibt es die Empfehlung, Arbeitszeiten an Lebensphasen zu orientieren und familiäre Auszeiten mit Lohnersatzleistungen zu kompensieren, mit Anreizen für eine partnerschaftliche Nutzung. Solche Empfehlungen gibt es, man muss sie nur umsetzen. Die Agentur für Arbeit in Heilbronn hat sich 2019 an einem Bundes-Modellprojekt mit Gutscheinen für haushaltsnahe Dienstleistungen beteiligt. Das hat mehrere Vorteile, für berufstätige Eltern, aber auch für diejenigen, vorwiegend Frauen, die in diesem Bereich arbeiten, einem Bereich mit weitverbreiteter Schwarzarbeit. Wir müssen begreifen, dass die Sorge- und Familienarbeit einfach zu unserem Leben gehört und große Bedeutung hat und sich die Investitionen in diesen Bereich auch lohnen.  

 

Wie bekommt man es hin, dass dieses Thema der Sorge- und Familienarbeit nicht immer nur ein Frauenthema bleibt?

Payer: Da ist ein Umdenken nötig, das ist so das Schwierigste, was es gibt. Wir müssen uns von den Rollenstereotypen verabschieden. Die Männer müssten sich stärker in ihren Unternehmen dafür einsetzen und ihre Rechte als Väter oder Pflegende einfordern. Das Leitbild in der Gleichstellungspolitik ist, dass beide Geschlechter die Erwerbs- und Familienarbeit gleichermaßen übernehmen, das ist das große Ziel. Da muss man in der Kita, in der Schule, in den Medien, in der Kultur, in der Wirtschaft dran arbeiten.

 

Wenn wir gerade bei Medien und Kultur sind, es gibt diese Diskussion um die gendergerechte Sprache. Wie stehen Sie dazu?

Payer: Ich finde das wichtig, weil Sprache unser Bewusstsein prägt. Ich freue mich über die breitere Anwendung gendergerechter Sprache, auch in den Medien. Auch das Gender-Sternchen, das man auch in gesprochenen Nachrichten jetzt öfter „hören“ kann. Es gibt viele Studien, die belegen, dass sich Frauen nicht angesprochen fühlen, wenn man sie nur mit meint und nicht direkt benennt. Wir haben in der 90er-Jahren eine Broschüre herausgeben, „Frauensprache“ hieß das damals noch. Ich hatte noch nie so viele erboste Reaktionen wie auf diese Broschüre. Ganz egal, welche heiklen Themen wir sonst noch bearbeitet haben, wie den Paragraf 218, nichts hat die Gemüter so erregt wie diese Broschüre. Für mich ist das der beste Beleg dafür, dass das Thema wichtig ist.

 

Würden Sie sich generell mehr Solidarität von Frauen wünschen?

Payer: Frauen befinden sich in unterschiedlichen Lebenslagen. Man kann nicht so tun, als ob 50 Prozent der Bevölkerung eine große homogene Gruppe sind. Wenn ich mich als Frau beispielsweise für Teilzeit-Arbeit oder Mini-Job entschieden habe, dann fühle ich mich vielleicht angegriffen, wenn andere fordern, dass man das abschaffen soll. Wo ich mir aber mehr Solidarität wünschen würde: Dass wir alle anerkennen, Frauen und Männer sind gleichberechtigt und haben die gleichen Rechte. Das ist nicht überall der Fall. Wer noch patriarchalische Einstellungen hat, sieht das anders. Das ist problematisch, es stellt unsere Verfassung in Frage.

 

Ist das ein Problem der Zuwanderung? Haben Sie da das Gefühl, Migration aus Ländern mit patriarchalischen Gesellschaften macht die Gleichstellung schwieriger?

Payer: Ich sehe das nicht als hinderlich an, auch wenn ich mir 1992 noch nicht vorstellen konnte, dass wir einmal eine Arbeitsgruppe Zwangsheirat am Runden Tisch gegen häusliche Gewalt einrichten würden. Damit müssen wir umgehen. Aber ich sehe die Migration generell nicht als Hindernis in Bezug auf gleichstellungsorientierte Einstellungen an. Wir haben ja auch etliche Einwandererfamilien mit sehr fortschrittlichen Vorstellungen. Vor allem viele Frauen sind dankbar und nehmen ihre Rechte auch in Anspruch. Ich sehe da eher besorgt auf die politischen Bestrebungen am rechten Rand, die die Frauenrolle ja auch nicht gerade fortschrittlich sehen und die Gleichberechtigung nicht uneingeschränkt befürworten.

 

Wie ist es in der städtischen Verwaltung? Da sind die Entscheidungsträger ja auch hauptsächlich Männer?

Payer: Da haben wir natürlich Fortschritte gemacht, wir haben einen Frauenanteil von rund 30 Prozent in Führungspositionen. Das ist nicht genug, aber als ich hier ankam, hat es in Heilbronn keine einzige Amtsleiterin gegeben. Es hat lange gedauert, bis hier 1997 Frau Schwede als erste Amtsleiterin das Bürgeramt übernahm. Wir befürworten heute Modelle wie „Führung in Teilzeit“, das wäre früher undenkbar gewesen. Inzwischen sehen Sie das in fast allen Stellenanzeigen der Stadt Heilbronn. Da tut sich einiges, ich wünsche mir natürlich mehr. Wir haben die typische Rollenverteilung auch in der Stadtverwaltung, viele Frauen in Teilzeit, wenig Männer in Teilzeit, viele Frauen in Elternzeit, weniger Männer, die Aufteilung in klassische Frauen- und Männerberufe.

 

Wie sehen Sie die Frauenquote?

Payer: Es geht nicht anders. Wir haben so lange mit freiwilligen Appellen an die Wirtschaft gearbeitet. Aber wirklich verändert hat sich erst etwas seit 2016, seitdem die Quotenregelung gesetzlich für die Aufsichtsräte der Unternehmen gilt. Jetzt sind wir bei über 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Aber nach wie vor werden zwei von drei Unternehmen ausschließlich von Männern im Vorstand geführt. Viele, die darauf hofften, dass es freiwillig passiert, haben ihre Meinung geändert – weil sie gemerkt haben, da können wir lange warten. Es geht um Macht und Einfluss und Geld, und da lässt niemand freiwillig los. Mädchen und Frauen gehören zu den Bildungsgewinnerinnen. 57 Prozent der jungen Frauen machen Abitur, bei den jungen Männern sind es 50 Prozent. Auch im Studium sind Frauen erfolgreich. Diese hochqualifizierten Frauen müssen sich doch später in verantwortlichen Positionen wiederfinden. 

 

Aber diese hochqualifizierten Frauen stecken dann wieder zurück, spätestens, wenn es um die Familiengründung geht?

Payer: Ja, zu viele, über die Gründe haben wir gesprochen.

 

Wann sollte eine Frau dann Kinder bekommen? Bevor sie in den Beruf startet? Oder erst, wenn sie ein sicheres Standbein hat? Akademikerinnen neigen dazu, ihr erstes Kind relativ spät zu bekommen. Nicht in jedem Unternehmen, das haben wir ja auch erfahren, sind die Voraussetzungen gegeben, dass man als Mutter in Teilzeit noch einen aussichtsreichen Führungsposten bekommen kann.

Payer: Da kann ich leider keinen Ratschlag geben. Es kann günstig sein, sich schon während der Ausbildung und des Studiums den Kinderwunsch zu erfüllen. Aber fast immer hängt das auch vom Partner ab. Ich kenne einige Frauen, die aus Ostdeutschland stammen, die häufig auch in technischen Bereichen arbeiten, auch in Führungspositionen, die Karriere gemacht und ganz selbstverständlich Kinder bekommen haben, während die westdeutschen Frauen, die Karriere machen wollten, oft kinderlos blieben. In Ostdeutschland war das früher viel selbstverständlicher und die Kinderbetreuung besser. Inzwischen bieten viele Unternehmen Programme zum Wiedereinstieg für Mütter (und Väter) an. In der Stadtverwaltung unterstützen wir Eltern mit vielen Maßnahmen beim Wiedereinstieg in den Beruf. Wichtig ist es, während der Elternzeit am Ball zu bleiben. Es kann also durchaus sinnvoll sein, erstmal ein paar Karrierestufen zu erklimmen, und sich dann die Unterstützung für den Wiedereinstieg zu holen, die das Unternehmen und gute Rahmenbedingungen bieten.

 

Was liegt Ihnen zum Thema noch am Herzen?

Payer: Ich würde mir wünschen, dass die SAGHE-Berufe (soziale Arbeit, Gesundheit, Haushalt und Erziehung) eine bessere Entlohnung bekommen, das ist überfällig. Denn auch im bezahlten Sorgebereich dominieren Frauen. Dass da wirklich zukunftsträchtige, attraktive Berufe und Karrierewege entstehen. In dem Bereich gibt es einen erheblichen Fachkräftemangel und die Arbeitsbelastung ist dementsprechend hoch. Am 12. Mai ist internationaler Tag der Pflege mit bundesweiten Aktionen, die bis zur Bundestagswahl weiterlaufen, damit hier endlich Verbesserungen erreicht werden.

 

Zur Person

Silvia Payer ist seit 1992 Frauenbeauftragte der Stadt Heilbronn und führt die Leitstelle zur Gleichstellung der Frau. Ihre Aufgaben umfassen sowohl die Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte innerhalb der Stadtverwaltung als einer der größten Arbeitgeber in der Region mit 3000 Beschäftigten bei Fragen zu Chancengleichheit, Personalentwicklung oder auch sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, als auch einen externen Part. Hier liegt der Schwerpunkt auf Vernetzungsarbeit mit anderen Bereichen und Organisationen zu verschiedenen frauen- und gleichstellungsrelevanten Themen. Aktiv ist die Leitungsstelle beispielsweise beim Thema Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, im Arbeitskreis Alleinerziehende oder bei Mädchenarbeit. Frauen und Beruf gehören zum weiteren Schwerpunkt, mit Programmen zum beruflichen Wiedereinstieg oder den jährlichen Frauenwirtschaftstagen.

 

 

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