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Fehlgeburt: Wie es ist eine Sternenmama zu sein

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Tanja Vogt aus Heilbronn-Neckargartach hat vier Fehlgeburten erlebt. Ihre leidvolle Erfahrung nutzt sie heute, um anderen Betroffenen zu helfen. Denn Sternenmütter werden oft noch mit ihrem Leid und der Trauer über ihr verlorenes Kind allein gelassen.

von Christine Tantschinez
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Luca wäre jetzt zwölf Jahre alt. Vielleicht wäre er auf dem Gymnasium, vielleicht würde er Fußball spielen oder ein Musikinstrument. Als Tanja Vogt 2008 mit Luca schwanger war, schien noch alles möglich. Dann, in der 16. Schwangerschaftswoche, stellt der Frauenarzt bei einer Routineuntersuchung fest, dass Lucas Herz nicht mehr schlägt. „In diesem Moment fiel ich in ein tiefes Loch“ beschreibt es Tanja Vogt. „Und niemand war da, der mich auffing.“

Der Befund, der Tanja Vogts Leben veränderte, war für die Mediziner ein Standard-Prozess: Abklärung bei einem zweiten Arzt, nach Bestätigung der Diagnose sofort ins Krankenhaus. „Es ging alles sehr schnell, zu schnell“ sagt die 48-jährige Tanja Vogt heute. Im Krankenhaus drängte man sie, die Geburt einzuleiten; in der 16. Schwangerschaftswoche war Luca schon zu groß für eine Ausschabung. Tanja Vogt aber wollte nicht, sie erbat sich Ruhe, sie wollte ihr Kind dann bekommen, wenn ihr Körper bereit war. Und eines Nachts kam Luca, ihre Lieblings-Nachtschwester stand ihr bei der „kleinen Geburt“ bei, wie Tanja Vogt es nennt. Da totgeborene Kinder „still“ auf die Welt kommen, werden in Anlehnung daran auch späte Fehlgeburten umgangssprachlich als „stille Geburt“ bezeichnet.

Tanja Vogt hat selbst viermal eine Fehlgeburt erlebt. Heute hilft sie anderen Müttern,  die schmerzhafte Erfahrung zu verarbeiten.
Tanja Vogt hat selbst viermal eine Fehlgeburt erlebt. Heute hilft sie anderen Müttern, die schmerzhafte Erfahrung zu verarbeiten.  Foto: privat

Keine Zeit für Trauer

„Eigentlich hätte ich sogar Anspruch auf eine Hebamme gehabt. Aber das wusste ich nicht“ erzählt Tanja Vogt. Auch dass sie ihr totes Kind daheim mit der Unterstützung einer Hebamme hätte bekommen können, wusste sie nicht. Generell, sagt sie, werden Frauen zu oft mit dieser niederschmetternden Diagnose allein gelassen. Wenn das Herz des Kindes im Bauch nicht mehr schlägt, startet sofort das medizinische Protokoll. Es sollte aber zunächst der seelsorgerische Aspekt im Fokus stehen, fordert Tanja Vogt. Der Mutter werde oft keine Zeit gelassen, sich mit dem Tod ihres Kindes auseinander zu setzen oder sich Gedanken darüber zu machen, wie sie es auf die Welt bringen will. Eine natürliche Geburt aber oft nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele, den Verlust zu verarbeiten.

Fehlgeburten sind ein Tabuthema

Fehl- und Totgeburten sind nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Dabei ist statistisch jede sechste Schwangerschaft davon betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man eine Frau kennt, die eine Fehlgeburt erlebt hatte, ist hoch. Nur hat sie es vielleicht nie erzählt. Auch weiß kaum eine Schwangere, welche Rechte oder Möglichkeiten sie hat, sollte es dazu kommen „Ich wusste gar nichts darüber, weder aus dem Geburtsvorbereitungskurs noch vom Frauenarzt. Ich hatte auch nie etwas darüber gehört“ sagt Tanja Vogt.

Warum sprechen Frauen nicht über diese Erfahrung? „Unsere Mütter, die Generation vor uns, hat auch nicht darüber gesprochen. Wenn so etwas passierte, wurde es totgeschwiegen" erklärt Tanja Vogt. „Es wird als Makel angesehen, weil die Frau auf ihre Funktion als Mutter reduziert wird. Auch heute definieren sich viele Frauen darüber, ob sie Mütter sind oder nicht und wie viele Kinder sie haben. Wir sind die erste Generation, die etwas an diesen Strukturen aufbricht. Und die nachfolgenden führen das hoffentlich weiter.“

Dass sich daran etwas ändert, dafür setzt sich auch Tanja Vogt ein. Vier „kleine Geburten“ hatte sie insgesamt erlebt. Jedes Mal schmerzhaft, auch für ihren Mann. Jedes Mal fühlte sie sich von Medizin und Institutionen alleingelassen. Es gibt zwar viele Selbsthilfegruppen, aber immer nur über das Gleiche reden half irgendwann nicht mehr. Sie fand für sich selbst Rituale, wie sie den Verlust verarbeiten konnte. Dieses Wissen und ihre Erfahrung bietet sie nun auch nebenberuflich anderen Betroffenen an. Mit Akut-Unterstützung, Trauer-Ritualen zur Verarbeitung und Gesprächskreisen, auch online. Sie vernetzt sich mit Hebammen in der Region. Je mehr das Thema ins Bewusstsein rücke, umso besser. Da können schon kleine Änderungen hilfreich sein. Wenn ein Frauenarzt zum Beispiel eine „Sternenmama-Sprechstunde“ anbietet, damit Frauen, die nach einer stillen Geburt zur Nachsorge müssen, nicht unbedingt mit den schwangeren Frauen in einem Wartezimmer sitzen.

Sonderurlaub in Neuseeland, Krankschreibung in Deutschland

Auch die gesetzlichen Vorgaben findet Tanja Vogt nicht hilfreich. Nur Kinder mit einem Gewicht über 500 Gramm müssen offiziell bestattet werden. Wenn das verstorbene Kind weniger als 500 Gramm wiegt, wird es nicht als Person anerkannt – und muss auch nicht beerdigt werden. Für die Eltern aber macht das Gewicht keinen Unterschied bei der Trauer. In Neuseeland dürfen Eltern von Sternenkindern seit April dank eines neuen Gesetzes drei Tage Sonderurlaub nehmen, um zu trauen. In Deutschland besteht die einzige Möglichkeit, den Tod eines ungeborenen Kindes zu betrauern, sich  krank schreiben zu lassen.

Sternenkinder wahrnehmen

Kinder, die keine oder nur kurze Zeit auf der Erde weilten, werden Sternenkinder genannt, ihre Eltern sind Sternenmamas und Sternenpapas. „Es ist sehr wichtig für Sterneneltern, dass ihre Kinder wahrgenommen werden. Dass man sie und ihre Existenz nicht verschweigt“, sagt Tanja Vogt. Ganz toll findet sie, dass einige Fotografen auch Sternenkinder fotografieren. Schade dagegen, dass es oft derbe Angriffe gebe, wenn solche Fotos in den sozialen Netzwerken geteilt werden. „Dabei ist es für Sterneneltern so wichtig, die Erinnerung an ihr Kind zu wahren und zu teilen.“


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Ihr Rat an alle, die eine Sternenmama oder einen Sternenpapa in ihrem Bekanntenkreis haben, lautet: „Nehmt das Sternenkind wahr. Geht zur Beerdigung. Schickt Karten. Oder sagt ehrlich, wenn ihr nicht wisst, was ihr sagen sollt – wie man helfen kann“. Nur schweigen, das würde oft mehr schaden als helfen.

Auch für Sternenpapas sei das wichtig, selbst wenn diese oft anders mit der Situation umgehen. Diese fühlten sich meistens hilflos, weil sie den Schmerz der Partnerin nicht lindern können, ihn aber auch nicht ganz so intensiv spüren. Besonders, wenn das Kind schon relativ früh in der Schwangerschaft starb. „Tattoos habe ich oft bei Sternenpapas gesehen“ erzählt Tanja Vogt. „Das ist auch ein schönes Erinnerungsritual“. 

Muttertag für eine Sternenmama

Tanja Vogt konnte damals keine Fotos von ihrem Sohn machen. Ein Pfarrer hielt eine kleine Trauerfeier, noch im Krankenhaus, das war es. Dennoch ist ihr Sohn nicht vergessen. Tanja Vogt hatte zusammen mit ihrem Mann entschieden, nicht mehr weiter zu versuchen, Kinder zu bekommen. Sie selbst bezeichnet sich als Mutter von vier Sternenkindern und keinem Erdenkind. Viele Jahre lang, sagt sie, war der Muttertag für sie der schlimmste Tag im Jahr. Wegen ihrer Kinder, aber auch, weil ihre eigene Mutter verstarb, als Tanja 13 war. Dieses Jahr aber wird sie den Muttertag feiern: „Ich werde meine Kinder ehren, ich werde meine Mutter ehren. Und mich freuen, dass meine Arbeit einen Beitrag leistet, dass man Sternenkinder ein bisschen mehr sieht“.

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