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Nach vorne drängen? Das wollen viele Frauen nicht

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Auf der Suche nach Interviewpartnern bekommen wir häufig Absagen von Frauen. Sie wollen nicht in der Öffentlichkeit stehen oder sich höchstens anonym äußern. Männer hingegen haben damit selten ein Problem. Wir haben drei Frauen und einen Mann gefragt, wie sie das Thema bewerten.

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In der Redaktion stehen wir häufig vor einem Problem: Wir wollen mehr Frauen als Expertinnen und Interviewpartnerinnen zu Wort kommen lassen - zum Beispiel bei medizinischen Themen, denn mehr als die Hälfte der Mediziner in Deutschland ist inzwischen weiblich.

Doch häufig möchten Frauen nicht in der Öffentlichkeit stehen und winken ab. Auch bei der Recherche zu diesem Thema haben wir sechs Frauen angefragt, drei davon wollten sich nicht äußern. Begründungen: Sie hätten kein passendes Foto, sie müssten ein Statement erst vorbereiten und dann mit der Geschäftsleitung abstimmen, das dauere. Oder: Das Thema sei zwar spannend und betreffe sie auch persönlich, aber mit Name und Foto in der Öffentlichkeit stehen? Nein, danke!

Was ist der Grund dafür? Warum scheinen sich Mädchen häufig weniger zu trauen als Jungs und sind zurückhaltender im Auftreten, obwohl sie vielfach die besseren Leistungen erbringen, etwa in der Schule? Drei Frauen haben sich getraut, ihre persönliche Sicht auf das Thema zu erläutern.

Auch der Heilbronner Psychiater und Psychotherapeut Hans-Jürgen Luderer hat sich der Herausforderung gestellt, als Mann etwas zu den in seinem Fachgebiet untersuchten Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu sagen. Obwohl seine spontane Reaktion am Telefon war: "Oh je, ich soll als Mann dazu etwas sagen? Da kann ich ja eigentlich nur verlieren." Auch das ist eine Erfahrung, die wir immer wieder machen: Männer reagieren in den meisten Fällen positiv auf unsere Anfragen und sagen gern zu.

 

Theresia Berthold, 36, Lehrerin für Mathe und Sport am Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASG) in Neckarsulm und Mitglied der Schulleitung

Theresia Berthold ist Lehrerin für Mathe und Sport am ASG in Neckarsulm. Foto: Arkadius Koll
Theresia Berthold ist Lehrerin für Mathe und Sport am ASG in Neckarsulm. Foto: Arkadius Koll

"Ich kann nicht bestätigen, dass Mädchen grundsätzlich stiller sind als Jungs. Ich denke, das ist eine Frage der Persönlichkeit, wobei Mädchen tendenziell wahrscheinlich leiser auftreten. In meinen Augen kommt es im Unterricht stark auf die Fehlerkultur an. Wenn man Scheitern als Teil des Erfolgs begreift und Schüler lernen, dass auch mal etwas schiefgehen darf, dann fällt es ihnen leichter, Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Das kann auch für eher introvertierte Schüler der Einstieg sein, sich etwas zu trauen. Es ist inzwischen nicht mehr so, dass Mädchen automatisch im Sprachenzug zu finden sind und Jungs im Bereich Naturwissenschaften. Es geht doch darum, dass man Kinder und Jugendliche individuell stärkt und ihre Potenziale erkennt und fördert. Ich selbst komme aus einer Familie mit fünf Kindern. Da lernt man, sich zu behaupten. Ich habe dann relativ früh Verantwortung übernommen als Trainerin im Sport und in der Jugendarbeit. Vielleicht komme ich auch deshalb selten in Situationen, in denen ich mir etwas nicht zutraue - sicher liegt das mit am familiären und sozialen Hintergrund."

 

Tanja Sagasser-Beil, 44, Stadträtin in Heilbronn und Vorsitzende des SPD-Kreisverbands Heilbronn Stadt

Tanja Sagasser-Beil ist seit 2005 Stadträtin in Heilbronn. Foto: Ralf Seidel
Tanja Sagasser-Beil ist seit 2005 Stadträtin in Heilbronn. Foto: Ralf Seidel

"In unserer Gemeinderatsfraktion sind deutlich mehr Männer als Frauen und das, obwohl wir als SPD Heilbronn zum Beispiel bei den Kommunalwahlen seit vielen Jahren ein Reißverschlussverfahren haben und Listenplätze im Wechsel an Frauen und Männer vergeben. Wenn es darum geht, einen Kuchen für den Ortsverein zu backen oder Prospekte zu verteilen, dann helfen Frauen gern. Aber es ist echt schwierig, Frauen zu finden, die ein Amt wollen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Frauen mittleren Alters befürchten, nicht alles unter einen Hut zu bekommen: Beruf, Familie - denn hier leisten Frauen einen deutlich größeren Anteil. Und dann noch ein Ehrenamt. Wenn diese Phase vorbei ist, haben sie sich vielleicht an den Status quo gewöhnt. Am ehesten erlebe ich noch, dass junge Frauen richtig durchstarten wollen.

Ich finde es schade, dass es uns so schwerfällt, Frauen für ein Wahlamt zu begeistern. Sie könnten ein Gremium mit ihrer Sichtweise, ihrer Persönlichkeit und ihrem Wissen richtig bereichern. Aber es gibt auch immer wieder Fälle, in denen ich höre: 'Ich kann das doch nicht.' Ich selbst habe mir Politik schon immer zugetraut, ich bin auch schon seit der Schulzeit politisch aktiv und habe erst spät Kinder bekommen, sodass ich über Betreuungsfragen und Ähnliches nicht nachdenken musste. Im Heilbronner Gemeinderat bin ich seit 2005. Am Anfang habe ich abenteuerliche Dinge erlebt. Mich hat zum Beispiel mal jemand gefragt: 'Sind Sie die Tochter von Herrn Himmelsbach?' Er war damals OB und ich stand neben ihm, um etwas zu bereden. Ich bin überzeugt, dass ein Mann so etwas nicht gefragt wird. "

 

Katrin Math, 49, Personalleiterin an der Hochschule Heilbronn

Katrin Math ist Personalleiterin an der Hochschule Heilbronn.
Katrin Math ist Personalleiterin an der Hochschule Heilbronn.

"In meiner Wahrnehmung ist es für Männer viel selbstverständlicher, nach vorne zu drängen. Frauen verhalten sich dann eher defensiv und halten nicht so dagegen, wenn Männer den Raum schon für sich beanspruchen. Aber ich glaube, das ändert sich auch in der jüngeren Generation - da haben Männer ein ganz anderes Selbstverständnis und legen Wert auf Themen wie Gleichstellung und Arbeitsteilung bei der Familienarbeit. An der Hochschule haben Gleichstellung und Frauenförderung einen hohen Stellenwert, das kann man von der Gesundheitsbranche, in der ich zuvor viele Jahre lang gearbeitet habe, nicht sagen.

Warum ich selbst Führungskraft geworden bin? Ich glaube, das liegt in meiner Persönlichkeit. Ich habe zwar nie stark in die Öffentlichkeit gedrängt, aber ich habe immer einen guten Job gemacht und so haben sich Führungspositionen für mich recht natürlich ergeben. Auch im Sport oder in der Familie war ich schon immer ein bisschen Alphatier."  

 

Professor Hans-Jürgen Luderer (71) aus Heilbronn ist Psychiater und Psychotherapeut. Er war Chefarzt im Klinikum am Weissenhof und arbeitet heute als Ambulanzarzt.

Professor Hans-Jürgen Luderer ist Psychiater und Ambulanzarzt.
Professor Hans-Jürgen Luderer ist Psychiater und Ambulanzarzt.

"Angststörungen und Depressionen sind bei Frauen, schädlicher Konsum von Alkohol oder Drogen bei Männern häufiger. Intelligenz- und Gedächtnisleistungen unterscheiden sich nicht. Aggressive Handlungen sind bei Männern häufiger und haben schwerere Folgen als bei Frauen, deren Aggressivität weniger offensichtlich ist und sich meist versteckt oder in Worten zeigt. Hinsichtlich ihrer Persönlichkeit sind Frauen emotional verletzlicher, aber auch emotional zugewandter, verträglicher, geselliger und offener für Gefühle, Männer dagegen durchsetzungsfähiger und offener für neue Ideen.

Überraschenderweise sind diese Unterschiede in reichen Ländern mit hoher Lebenserwartung, in denen die Frauen bessere Möglichkeiten haben, sich frei zu entwickeln, größer. Offenbar führt die größere Freiheit für Frauen, sich frei zu entwickeln, nicht zu einer Abnahme, sondern zu einer Zunahme der Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese Befunde aus mehreren großen Studien sind überraschend und widersprechen weit verbreiteten Theorien, nach denen Geschlechtsunterschiede vor allem eine Folge der sozialen Rollenzuschreibung sind. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Frauen mehr Unterstützung und Ermutigung brauchen, wenn man möchte, dass sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren oder Führungsfunktionen anstreben."  

 

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