"Die Quote ist ein wirksames Instrument"
Im Interview erklärt Helga Lukoschat von der EAF Berlin, warum der geringe Frauenanteil in Parlamenten auch ein Problem für die Demokratie ist.

Lediglich ein Drittel der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind Frauen. In kommunalen Vertretungen liegt der Anteil bei 27 Prozent, auf Bürgermeisterposten bei zehn. Diese Unterrepräsentanz ist auch ein Problem für die Demokratie, sagt Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin, einer Organisation, die sich für Gleichstellung und gesellschaftliche Diversität einsetzt. Ihre Forderung: Die Verteilung von Posten und Macht muss stärker die Vielfalt in der Bevölkerung widerspiegeln.
Wir haben das Jahr 2020 und Deutschland scheint sich rückwärts zu entwickeln, was Gleichstellung angeht. Die Frauenquote im Parlament ist im Vergleich zu vor zehn Jahren sogar gesunken und voraussichtlich wird ein Mann der nächste Kanzler werden. Was ist die Ursache für diese Entwicklung?
Helga Lukoschat: Die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten hat auch historische Gründe. Der Parlamentarismus in Deutschland im 19. Jahrhundert hat sich explizit unter dem Ausschluss von Frauen entwickelt. Das wirkt bis heute nach und macht sich zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass junge Frauen in Parteien immer noch nicht ernst genommen werden. Da fallen Sprüche wie, „das ist aber schön, dass ich mit so einem jungen Mädchen Protokoll führen darf“. Was die Tilgung von Alltagssexismus aus Parteienkulturen angeht, ist noch jede Menge Luft nach oben. Sonst bleibt man als Partei in einem Teufelskreis gefangen.
Wie meinen Sie das?
Lukoschat: Der Anteil von Frauen in vielen Parteien ist noch niedriger als im Parlament. Bei der CDU liegt er bei 26 Prozent, bei der CSU bei 21, bei der SPD um die 30. Frauen haben unter den Bedingungen eben keine Lust mitzuarbeiten – auch wegen der Art, wie Sitzungen abgehalten werden, den Uhrzeiten, den Tagungsorten, der Diskussionskultur. Und wenn kaum Frauen dabei sind, ändert sich auch die Kultur nicht. Das ist übrigens ein typisches Problem der SPD, die in der Fläche überaltert ist und nicht mehr attraktiv für junge Menschen oder Frauen. Hier stehen die Zeiger bereits auf kurz vor Zwölf, es muss dringend mehr passieren.
Unterrepräsentanz ist also eine Frage der Kultur?
Lukoschat: Es gibt weitere Faktoren. Politik ist sehr zeitaufwendig. Zeit, die Frauen häufig nicht haben, denn sie kümmern sich aufgrund gesellschaftlicher Rollenbilder um Haushalt, Kinder, Fürsorge-Tätigkeiten im Allgemeinen. Mit diesem Rollenbild hängt auch zusammen, dass Frauen sich häufig die Frage stellen, ob sie überhaupt in die Politik passen, ob das ein Feld ist, in dem sie sich behaupten können und wollen. Männer planen ihre Karrieren viel früher und strategischer. Sie schauen, welche Themen sie besetzen und von welchen Netzwerken sie profitieren können. Das sieht man sehr gut in der Jungen Union, die ein Karriere-Netzwerk für Männer ist. Die JU hat deshalb kein Interesse an der Frauenquote, damit entstünde ja Konkurrenz.
Wir haben seit 15 Jahren eine Bundeskanzlerin. Auf die Durchdringungen der Politik mit weiblichem Personal scheint das keinen Effekt zu haben.
Lukoschat: Angela Merkel ist mit ihrer Fähigkeit nüchtern zu analysieren und ihrer Herkunft aus dem Osten eine absolut singuläre Erscheinung. Sie hat selbst einmal gesagt, eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. Die Frauenquote bei der CDU im Bundestag liegt gerade mal bei 22 Prozent. Aber es gibt deshalb viel Unruhe in der Partei, insbesondere die Frauenunion ist nicht zufrieden.
Zur Person
Helga Lukoschat ist Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin, die Abkürzung steht für Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft. Sie fördert als gemeinnützige Organisation die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen.
Bei der CDU steht auch noch eine Entscheidung über Quotenregelungen für Parteiämter an.
Lukoschat: Ich bin gespannt, wie das ausgehen wird. Der Kandidat Friedrich Merz hat sich ja bewusst gegen eine Quote positioniert, um den konservativen Flügel seiner Partei zu bedienen. Ich bin mir sicher: Wenn die CDU nicht reagiert und sich nicht in der Breite weiblicher aufstellt, wird sie nicht zukunftsfähig sein. Im Moment wird die Partei noch mehrheitlich von Frauen gewählt – aber eben von älteren Frauen, die jüngeren interessieren sich längst für die Grünen. Die machen vor, welche Wirkung eine Quote hat.
Welche hat sie denn?
Lukoschat: Die Grünen sind die einzige Partei, die auch in der Mitgliedschaft heraussticht. Sie haben mittlerweile 40 Prozent weibliche Parteimitglieder.
Brauchen wir eine verbindliche Quote?
Lukoschat: Die Parteien, die sich verbindliche Regeln gegeben haben, haben es geschafft, ihren Frauenanteil insgesamt zu erhöhen. Die Quote ist ein wirksames Instrument, weil wir es mit sehr festgefahrenen Strukturen zu tun haben. In meinen Augen ist die Quote auch ein klares Signal, das eine Partei sendet und das besagt: Mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung ist weiblich, es ist für uns ein Anliegen und ein demokratisches Prinzip, dass Frauen entsprechend repräsentiert sind.
Warum lassen Frauen es sich immer noch gefallen, an den Rand gedrängt zu werden?
Lukoschat: Das ist eine strategische Schwäche von Frauen, die sich oft sehr loyal gegenüber ihrer Partei verhalten. Doch wenn Frauen sich parteiübergreifend zu bestimmten Themen zusammenschließen, sind sie damit oft erfolgreich. Man sieht das bei Themen wie Vergewaltigung in der Ehe, dem Paragraf gegen sexuelle Belästigung oder auch der Frauenquote in Aufsichtsräten. Es ist Aufgabe der Frauen und der internen Frauenorganisationen, die eigene Partei noch viel stärker zum Handeln zu drängen. Aber das ist nicht leicht. Parteien sind männlich dominiert, und Frauen sind abhängig von Männern in mächtigen Positionen.