Erfolgreiche und gescheiterte Bürgerinitiativen aus der Region
Im Stimme-Verbreitungsgebiet sind viele Bürgerinitiativen aktiv. Wir stellen sieben Beispiele vor, die zwischen Siegeszug und Scheitern liegen.
Von wegen Kampf gegen Windmühlen: Bürgerinitiativen (BIs) sind im Stimme-Verbreitungsgebiet rege aktiv – und können sich so manchen Erfolg ans Revers heften. Doch bisweilen scheitern sie letztlich auch mit ihren Anliegen. Ein (unvollständiger) Überblick über sieben Projekte, Siege und Niederlagen des politischen Engagements aus der Bürgerschaft.
Schwaigern

Am Anfang stand die Skepsis, am Ende ein Erfolg für die Gegner: Nachdem die Leonberger Hoffnungsträgerstiftung nach einem entsprechenden Votum des örtlichen Gemeinderats in Schwaigern ein integratives Wohnprojekt bauen lassen wollte, in dem in drei Häusern und 24 Wohnungen zu je 50 Prozent geflüchtete Menschen und Einheimische leben sollten, gründete sich im Herbst 2019 die BI „Kernerstraße“. Die Kritiker fürchteten unter anderem die Entstehung eines sozialen Brennpunkts.
Innerhalb kurzer Zeit sammelte die BI rund 1050 Unterschriften gegen das Projekt – und übertraf damit das in Baden-Württemberg für einen Bürgerentscheid erforderliche Quorum von sieben Prozent der Einwohner deutlich. Damit war der Gemeinderat gezwungen, eine solche Bürgerbeteiligung zu initiieren. Ein Faktencheck der Stimme zeigte unterdessen, dass viele von der BI zu dem Wohnprojekt aufgestellten Behauptungen letztlich nicht haltbar waren. Am 27. September 2020 entscheiden dann die Schwaigerner: Bei einer Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent konnte sich die BI mit ihrem Anliegen erfolgreich durchsetzen: 58 Prozent der Bürger lehnten das integrative Wohnprojekt ab.
Öhringen/Waldenburg

Es war ein Termin, der seinesgleichen sucht – und an den sich alle Teilnehmer noch lange rege erinnern werden: Eigentlich war nur ein Tag von der Genehmigungsbehörde – dem Landratsamt des Hohenlohekreises – für die vorgeschriebene öffentliche Erörterung zum geplanten Windpark-Projekt Karlsfurtebene angesetzt worden: Am Ende flogen 2019 an zwei Terminen jedoch insgesamt vier Tage lang mächtig die Fetzen zwischen den Vertretern der BI „Gegenwind Waldenburg, Michelbach, Öhringen“, dem Landratsamt und den Verantwortlichen beim Vorhabenträger Abo Wind.
Hier zeigte sich exemplarisch die ganze Bandbreite, die einer Bürgerinitiative zumeist eigen ist: Oberflächliche Polemiken – aber auch Beiträge, die verdeutlichten, dass sich einzelne Projektkritiker exzellent in die Materie eingearbeitet hatten. Unter anderem aufgrund der durch sie aufgezeigten Unzulänglichkeiten in den Genehmigungsverfahren mussten die Unterlagen vom Projektierer teilweise überarbeitet werden. Vor etwas über einem halben Jahr konnten die Gegner dann auch hier einen Teilerfolg verbuchen: Das Landratsamt lehnte vier der neun zwischen Öhringen-Michelbach, Neuenstein und Waldenburg geplanten Windkraftanlagen ab. Über die restlichen wird demnächst entschieden. Die BI hat bereits angekündigt, bei einer Genehmigung klagen zu wollen.
Neckarsulm

Mit einem anderen Ausgang als in Schwaigern endete der von der Bürgerinitiative „B27-Anschluss“ initiierte Bürgerentscheid zu einem Thema, das vor Ort bis heute die Gemüter erhitzt: Zwar hatten sich 2019 rund 57 Prozent der Teilnehmer dagegen ausgesprochen, die Binswanger Straße mit der B27 zu verbinden - das Votum konnte jedoch aus rechtlichen Gründen nicht gezählt werden, da das erforderliche Quorum äußerst knapp verfehlt wurde: Statt 3728 Stimmen hätte es 3807 gebraucht. Damit war kraft Gemeindeordnung der Gemeinderat mit der Entscheidung am Zug. Und ebendieser machte im Oktober 2019 dann den Weg frei für den umstrittenen Anschluss. Die BI sprach von einem „schwarzen Tag für Neckarsulm“.
Mit dem Entscheid kehrte indes keine Ruhe ein: Im Februar 2021 wurde bekannt, dass die Neckarsulmer Stadtverwaltung den Wählern vor dem Bürgerentscheid zwei Gutachten vorenthalten hatte. Und bis vor Kurzem gab es zum geplanten Projekt zwei Lager in der Stadt. Ende Juli hat die Stadt nun überraschend verlautbaren lassen: Die mögliche B27-Anschlussstelle auf Höhe Binswanger Straße wird zu den Akten gelegt.
Kupferzell

Nachdem zu Beginn des Jahres 2019 erste Pläne bekannt wurden, dass der Übertragungsnetzbetreiber Transnet in Kupferzell die größte Netzstabilisierungsanlage der Welt bauen lassen will, um das Stromnetz für die Anforderungen der Energiewende zu rüsten, regte sich zunächst vor Ort lange keine Kritik. Doch eine erste Informationsveranstaltung einige Monate später zeigte erstmals, dass vielen Kupferzellern und auch der Verwaltung Fragen und Bedenken bezüglich des 188-Millionen-Euro-Projekts Netzbooster unter den Nägeln brennen.
Im Frühsommer 2020 formierte sich dann die Anti-Booster-Bürgerinitiative „Ein Herz für Hohenlohe“ – und machte bei mehreren Demos sowie einem Sternmarsch im Oktober lautstark auf ihre Anliegen aufmerksam. Als im unterdessen zur Befriedung der Lage gegründeten Vermittlungsausschuss „Forum Energiedialog“ ein geladener Experte für Akku-Sicherheitstechnik eine Explosionsgefahr der geplanten Anlage kategorisch ausschloss, schwand die Unterstützung aus der Bevölkerung zusehends. Die BI hatte zuvor wortreich und plakativ das Szenario einer riesigen Explosion und eines „zweiten Beiruts“ strapaziert. Nachdem die Kritiker zuvor sehr aktiv auf Social Media agierten, ist der Facebook-Account der BI nunmehr seit Oktober 2020 nicht mehr aktualisiert worden. Die verbliebenen Kritiker streiten unterdessen im „Forum Energiedialog“ weiter für die Verhinderung der Riesenbatterie.
Bad Friedrichshall

Seit einem Monat wird nun gebaut, nachdem zuvor 13 Jahre lang geplant wurde: Doch der Projekt-Campus der Schwarz-Stiftung, der bis 2025 im Gebiet „Obere Fundel“ entstehen wird, war und ist für viele Naturschützer ein rotes Tuch: Noch kurz vor Baubeginn gab es neben massiver Kritik des Naturschutzbundes (Nabu) auch nochmals öffentliche Gegenrede vonseiten der Bürgerinitiative „Netzwerk Neckartal“: ein Bündnis aus mehreren Bürgerinitiativen im Großraum Heilbronn, das sich August 2018 gründete, um dem immensen Flächenverbrauch durch Großprojekte Einhalt zu gebieten.
Doch weder eine sogenannte Umweltmeldung beim Regierungspräsidium Stuttgart noch eine beim baden-württembergischen Landtag eingereichte Petition konnten das Projekt langfristig aufhalten, wenngleich die Stadt die Vorarbeiten auf dem Gelände vorübergehend stoppte. Das Netzwerk Neckartal appellierte zuletzt Mitte Mai dann nochmals in einem offenen Brief an die Verantwortlichen, das Vorhaben in der „Oberen Fundel“ nicht umzusetzen, weil es vermeintlich „in Bezug auf Flächenverbrauch, Natur- und Artenschutz eine ökologische Katastrophe“ darstelle und „für die gesamte Region eine Verkehrsbelastung unerträglichen Ausmaßes“ bedeute.
Öhringen

Einen Erfolg auf ganzer Linie: Den konnte im Juli 2019 die als Verein organisierte Bürgerinitiative „Prima-Klima-West“ feiern: Es gelang ihr nämlich innerhalb nur eines Jahres, nachdem der zuvor bereits länger avisierte Bau eines 30 Meter hohen und 220 Meter breiten Hochregallagers öffentlich hohe Wellen geschlagen und gar für Morddrohungen an Öhringens Oberbürgermeister Thilo Michler gesorgt hatte, das Projekt an der geplanten Stelle zu verhindern: Die Firma Schäfer und Peters erklärte angesichts der vehementen Opposition aus der Bürgerschaft, auf den geplanten Bau am Westrand der Stadt zu verzichten.
Die Projekt-Kritiker hatten angesichts der Größe des Gebäudes um den Kaltluftzustrom zur Stadt gefürchtet und einen Anstieg der Feinstaub-Werte prognostiziert. Auch war es „Prima-Klima-West“ gelungen, auf Unstimmigkeiten im vorgelegten Klima-Gutachten aufmerksam zu machen. Mittlerweile hat sich der Konflikt im besten Sinne gelöst: Die Luftschneise in die Große Kreisstadt bleibt frei, der Schraubenhändler kann sein vollautomatisiertes Lager möglicherweise auf einem Gelände an der Landestraße von Öhringen nach Bitzfeld errichten.
Mulfingen

Zwei Bürgerentscheide in nur fünf Jahren – das gab es in der kleinen Jagsttalgemeinde: Nachdem im November 2015 die Einwohner per Bürgerentscheid das vorangegangene Votum des örtlichen Gemeinderats aufgehoben und sich für einen anderen Standort der damals neu zu bauenden Mensa – am Kleinspielfeld statt an der Grundschule - ausgesprochen hatten, stand im Januar 2020 dann bereits die nächste Abstimmung in der 3750-Einwohner-Kommune an: Eine Bürgerinitiative versuchte, per Bürgerentscheid den Bau eines neuen Kindergartens am Wertplatz zu verhindern. Die Gegner konnten sich indes mit ihrem Anliegen nicht durchsetzen: Die Kinderbetreuungseinrichtung wird aktuell gebaut – und 2022 sollen die ersten Kids mitsamt ihren Erzieherinnen einziehen.