Neckarsulm verzichtet auf weitere B27-Anschlussstelle
Gemeinderat und Rathaus legen die mögliche B27-Anschlussstelle auf Höhe Binswanger Straße zu den Akten. Der zentrale Knotenpunkt ist vom Tisch. Oberbürgermeister Steffen Hertwig spricht sich stattdessen für kleinere Maßnahmen aus.

Neckarsulm bekommt keine weitere B27-Anschlussstelle. Gemeinderat und Stadtverwaltung legen die Kreuzung auf Höhe Binswanger Straße zu den Akten. Die Anbindung galt für viele seit zwei Jahrzehnten als das zentrale Element, um Verkehrsprobleme in Neckarsulm in den Griff zu bekommen. Seit Mittwoch ist das Projekt vom Tisch, dafür gibt es im Gemeinderat keine Mehrheit mehr. Die formale Abstimmung folgt zwar erst im Oktober, doch schon jetzt ist das Umdenken ersichtlich. Auch Oberbürgermeister Steffen Hertwig, zuletzt Befürworter der Maßnahme, ist dagegen. Gestern Abend haben Stadtverwaltung und Gemeinderat die Bevölkerung darüber informiert.
Viele Gründe führen zum Umdenken beim OB
"Das Projekt stammt aus einer anderen Zeit", sagte Oberbürgermeister Steffen Hertwig im Vorfeld der Sitzung. Mehrere Gründe führte der Rathauschef für seinen Sinneswandel an. An erster Stelle nannte er die Folgen von Corona. Mit der Pandemie habe sich das Verhalten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewandelt, es werde viel mehr Homeoffice angeboten. Der Verkehr ziehe derzeit zwar wieder an, aber Hertwig geht davon aus, dass die Entwicklung während der Pandemie die Straßen nachhaltig entlasten werde.

Hinzu kommt für den Oberbürgermeister ein verändertes Bewusstsein. "Wir müssen bei allen Überlegungen die Faktoren Klimaschutz und Nachhaltigkeit noch intensiver berücksichtigen." Die Kreuzung sei aber zuletzt immer größer geworden, immer mehr Fläche wäre bebaut worden. Dass nun die Kreuzung wegfällt, sieht der OB als Appell an, die eigene Mobilität zu überdenken. Die Menschen müssten "raus aus der Komfortzone", sagte er. Mit der Absage ans Projekt wolle die Stadt Neckarsulm den Impuls dafür geben. Er forderte, dass man zum Umdenken und Umsteigen bereit sein müsse.
Neckarsulm bremst bei neuen Investitionen
Auch die Kosten spielten eine große Rolle bei der Neubewertung der Anschlussstelle. Die Stadt Neckarsulm will bei neuen Investitionen grundsätzlich kürzer treten. Zuletzt war die Verwaltung davon ausgegangen, dass die Maßnahme fast 47,8 Millionen Euro gekostet hätte, 22,6 Millionen Euro davon hätte Neckarsulm tragen müssen. Steffen Hertwig betonte zugleich, dass die Umsetzung anderer Maßnahmen, um die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten, ebenfalls Geld kosten werden.
Die Anschlussstelle ist vom Tisch, der Verkehr da. Oberbürgermeister Hertwig setzt statt auf die "zentrale Lösung" auf "kleine, verträgliche Lösungen". Was möglich ist, lasse sich derzeit nicht sagen. Ideen gibt es bereits: Beispielsweise könnte der sogenannte Südknoten, bei Bechtle und den Kinos gelegen, ausgebaut werden. Außerdem gibt es den Vorschlag aus Reihen des Gemeinderats, den Verkehr aus Richtung Erlenbach nicht mehr über die Binswanger Straße zu leiten, sondern am Aquatoll vorbei zur Bundesstraße.
Dass Rathaus und Gemeinderat jetzt die Reißleine ziehen, begründet Steffen Hertwig mit dem Verfahren. Die Pläne der Anschlussstelle liegen derzeit beim Verkehrsministerium des Landes, dass sie ans zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur weiterleiten sollte. Vor der Weitergabe betonte Stuttgart laut Hertwig: Das werde nur geschehen, wenn sich Neckarsulm klar positioniert. Zuletzt hatte der Gemeinderat vor fast zwei Jahren mehrheitlich beschlossen, die Planungen voranzutreiben. Einen endgültigen Baubeschluss gab es damals nicht. Zuvor hatten sich die Neckarsulmer Wähler in einem Bürgerentscheid gegen den Bau ausgesprochen. Weil das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde, war das Votum nicht bindend.
Das sagt die Landesregierung
Winfried Hermann, Grünen-Verkehrsminister im Land, kennt die aktuelle Entwicklung in Neckarsulm. Die Entscheidung sei für ihn nachvollziehbar und akzeptabel, heißt es in einer Pressemitteilung. "Sie erfordert aber jetzt verkehrsträgerübergreifende Ersatzlösungen." Das Land ist beim sogenannten Mobilitätspakt Heilbronn/Neckarsulm mit im Boot, für den die Anschlussstelle ein Baustein gewesen wäre, um den Verkehr in den Griff zu bekommen. Hermann sei offen für "ganzheitliche und nachhaltige Lösungen". Mit der Abkehr von der Kreuzung müsse man die Verkehrssituation entlang der Bundesstraße neu bewerten.