„Kinder lernen leichter, wenn sie sich bewegen“
ASG-Schulleiter Marco Haaf erklärt im Interview, warum Schulsport in Corona-Zeiten nicht vernachlässigt werden sollte. Die Auswirkungen betreffen nicht nur den körperlichen Bereich.

Ein Aspekt, der in Zusammenhang mit den Schulschließungen im Frühjahr und Sommer wenig Beachtung fand: Auch strukturierte Bewegungsangebote für Schüler fielen weg. Dabei brauchen Kindern regelmäßig Bewegung – nicht nur für eine gute körperliche Entwicklung, auch das Gehirn profitiert vom Rennen, Hüpfen, Turnen. Marco Haaf, Schulleiter des Neckarsulmer Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG) und Sportlehrer, erklärt die Zusammenhänge zwischen Bewegung und kognitivem Lernen.
Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder jetzt endlich wieder Mathe und Fremdsprachen lernen. Warum ist es wichtig, auch den Schulsport nicht aus den Augen zu verlieren?
Marco Haaf: Kein Unterricht ist so schlecht wie der, der ausfällt. Das gilt auch für den Sport- und Schwimmunterricht. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass kognitives Lernen durch Bewegung gefördert wird. Das heißt: Kinder lernen leichter und erworbenes Wissen wird im Gehirn besser gefestigt, wenn sie sich regelmäßig bewegen. Diese organisierte Aktivität ist monatelang für viele weggefallen. Wir haben hart daran gearbeitet, dass Schulsport unter Coronabedingungen stattfinden kann und versuchen, manches aufzuholen.
Kontakt zu anderen lässt sich gerade beim Sport nicht vermeiden. Wie organisieren Sie den Unterricht?
Haaf: Sport findet jetzt bis Klasse 7 im Klassenverband statt, Jungen und Mädchen werden gemeinsam unterrichtet, in der Gruppe, in der sie auch in den übrigen Fächern zusammen sind. Wir gehen außerdem so viel und so lange wie möglich ins Freie. Was den Ergänzungs-Bereich, also Arbeitsgemeinschaften (AG), angeht, sind wir noch zurückhaltend. In Sportarten wie Handball oder Fußball bräuchte man Schüler mehrerer Klassen und Jahrgänge, um sinnvoll trainieren zu können. Das geht noch nicht. Alle Schüler der Klassenstufe 6 schwimmen dagegen bei uns verpflichtend ein halbes Schuljahr zusätzlich, da im letzten Schuljahr durch den Lockdown sehr viel Schwimmunterricht in Klasse 5 ausgefallen ist.
Bemerken Sie Bewegungs-Defizite bei Ihren Schülern durch die lange Sport-Pause?
Haaf: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Manche haben sich vielleicht sogar mehr bewegt, weil mehr Zeit war. Aber eben nicht strukturiert, sondern im privaten Rahmen. Wir haben zum Beispiel zum ersten Mal bei der Aktion Stadtradeln mitgemacht. Viele Schüler sind dafür 1000 Kilometer und mehr gefahren. Da hat sich eine unheimliche Dynamik entwickelt. Kinder und Jugendliche haben einen natürlichen Bewegungsdrang, und man darf nicht vergessen: Die Situation zwischen März und Juli war für viele Familien sehr schwierig. Bewegung hat da sicher auch vielen Jugendlichen geholfen, psycho-soziale Belastungen auszugleichen.
Gleichzeitig liest man ständig: Kinder heutzutage können nicht mehr richtig rennen und werfen, außerdem sind viele zu dick.
Haaf: Die Schere geht weiter auseinander, das stimmt. Das vordere Drittel ist heute eklatant besser, was Bewegung angeht. Viele Kinder bringen körperlich schon viel mehr mit, das liegt sicher auch an der guten Ernährung. Zusätzlich hat sich die Arbeit in den Vereinen qualitativ verbessert, da wird zum Teil richtig gutes, professionelles Training angeboten. Bei den Kindern am anderen Ende der Skala hat sich das Verhältnis Armkraft zu Körpergewicht gravierend verschlechtert.
Was heißt das konkret?
Haaf: Es gibt eine große Gruppe, die sich kaum mehr bewegt. Das liegt daran, dass die Eltern es nicht vorleben und es liegt an den vielen alternativen Angeboten. Früher konnte man als Kind niemandem Nachrichten schreiben, wenn einem langweilig war, und im Fernsehen gab es bloß drei Programme – aber nachmittags fernsehen war sowieso tabu. Also ist man zum Spielen auf die Straße gegangen. Das gibt es heute kaum noch.
Welche Art von Bewegung sollte es für Kinder denn sein?
Haaf: Ein Mix aus organisiertem Sport und Alltagsbewegung. Aktive Pausen in der Schule sind wichtig. Unsere Schüler kicken wieder mit Begeisterung auf dem Schulhof – mit Maske eben, das macht ihnen nichts aus. Nach solchen kurzen Bewegungseinheiten sind die Schüler für die nächste Stunde wieder konzentriert und aufnahmefähig.
Sie haben an Ihrer Schule einige Schüler, die gleichzeitig Leistungssport machen. Wie schaffen die das?
Haaf: Heute ist es so, dass ein Kind eigentlich nur dann Leistungssport machen kann, wenn es in der Schule sowieso gut ist und ihm das Lernen leicht von der Hand geht. Man kommt als mittelmäßiger Schüler nicht mehr irgendwie durch, wenn man zusätzlich jeden Tag ein straffes Trainingsprogramm absolvieren muss. Früher ging das noch.
Was ist an Ihrem Gymnasium mit Sportprofil anders als an anderen Gymnasien?
Haaf: Alle unsere Schüler haben in den Klassen 5 bis 7 mehr Sportstunden und ein insgesamt größeres Sportangebot. In der Mittelstufe haben die Schüler, die Sport als Profilfach wählen, dann Sport statt der dritten Fremdsprache oder statt Naturwissenschaft und Technik. Die Ausrichtung bedeutet außerdem, dass Bewegung Teil unserer Schulkultur ist. Wir haben einen Sporttag, nehmen an „Jugend trainiert für Olympia“ teil, im Schullandheim wird Wert auf Bewegung gelegt und in Bio wird Gesundheitserziehung unterrichtet.
In Neckarsulm ist die Nähe zu den Schwimmern oder den Bundesliga-Handballerinnen groß. Was bedeutet ein solches Umfeld für das ASG?
Haaf: Beide Seiten profitieren. Die Schwimmer haben in Neckarsulm ihren Landesstützpunkt und sind ein wichtiger Partner für uns. Gleichzeitig haben die junge Athleten am ASG ein unterstützendes Lernumfeld.
Zur Person
Marco Haaf (45) ist Direktor des Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG) in Neckarsulm und war früher Landestrainer beim Landesruderverband. Als Sportlehrer hat er das Talent von Carina Bär, der späteren Olympiasiegerin im Rudern, entdeckt und war über viele Jahre ihr Trainer.