Digitalisierung, ein Schreckgespenst für Unternehmen
Digitalisierung bedeutet nicht nur den Einsatz irgendeiner Software. Das Bündnis für Transformation und das Ferdinand-Steinbeis-Institut helfen dabei, ein neues Verständnis zu schaffen. Denn die neue Denke stellt manches auf den Kopf. Ein Beispiel.
„Wir möchten den Unternehmen die Angst nehmen, dass Digitalisierung ewig dauert und viel Geld kostet“, sagt Michael Köhnlein, Geschäftsführer des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) auf dem Bildungscampus in Heilbronn. Gemeinsam mit Institutsleiter Heiner Lasi und dem Bündnis für Transformation versucht er derzeit, Autozulieferern konkret die Möglichkeiten und Chancen aufzuzeigen, die sich mit der „neuen Denke“ bieten.
Partner suchen, Realität abbilden, ...
Dass das Thema mit vielen falschen Vorstellungen verbunden ist, das kennt Heiner Lasi schon. So glauben viele, dass Digitalisierung mit dem Kauf einer neuen Software verbunden ist. Doch das sei falsch. „Mit klassischer IT hat das gar nichts zu tun“, sagt Lasi, der auch Professor für Industrial Intelligence an der Steinbeis Hochschule Berlin ist.
Bei der Digitalisierung, wie er sie versteht, geht es darum, die Realität aus der Virtualität zu steuern, durch Virtualisierung Abläufe zu automatisieren und möglicherweise neue Geschäftsmodelle zu generieren. Das alles funktioniere vor allem durch Kooperation mehrerer Partner. Aber der Reihe nach.
Ein Sägewerk steht vor dem Aus - oder doch nicht?
Zur Veranschaulichung führt Lasi ein – teilweise hypothetisches – Beispiel an: Ein Sägewerk ist konfrontiert mit hohen Versicherungsbeiträgen, weil der Maschinenpark in die Jahre gekommen ist und der Brandschutz nicht mehr den aktuellen Anforderungen genügt. Neuanschaffungen würden in die Millionen gehen, was sich die Firma nicht leisten kann.
Deshalb müssen Alternativen her. Gemeinsam mit einem Expertenteam und der Versicherung werden Sensoren an den bestehenden Maschinen angebracht, deren Daten auf eine Cloud-Plattform eingespeist werden.
Das Risiko minimieren und gleichzeitig neue Möglichkeiten erhalten

Nun werden Zustandsdaten wie Temperatur, Stromverbrauch, Drehzahl, Lautstärke überwacht und aufgezeichnet. Damit virtualisiert man die realen Vorgänge in der Fabrikhalle. „Sobald eine Temperatur über den Norm-Bereich steigt, geht eine Warnung raus und es kann reagiert werden, bevor es gefährlich wird“, erklärt Lasi. Das könne mit klassischen Mitteln erfolgen oder auch mittels künstlicher Intelligenz.
Wenn das alles transparent sei, werde auch die Versicherung das Risiko neu bewerten können und günstigere Tarife anbieten. „Vielleicht ist das Risiko dann aber auch so gering, dass man auf die Versicherung verzichten kann“, sagt Lasi.
Das Ziel ist, ein neues Ökosystem zu erschaffen
Zudem ist mit der Virtualisierung plötzlich eine Steuerung der gesamten Anlage möglich. Andere Partner der Firma könnten ein Interesse an den Daten haben. Neben dem Sägewerk zum Beispiel der Maschinenbauer oder Werkzeughersteller. Sie könnten auf diese Weise erkennen, wann eine Wartung ratsam erscheint, wann Verschleißteile ersetzt werden müssen. „Das Ziel muss sein, ein Ökosystem zu schaffen, von dem mehrere profitieren“, erklärt Lasi.
Noch ein Schritt weiter: Weil verkeimte Kühlschmierstoffe Erkrankungen und Allergien auslösen können, wird auch die Qualität dieser Flüssigkeiten laufend gemessen. Daran hat möglicherweise auch die Berufsgenossenschaft ein Interesse, spinnt Lasi den Faden weiter. Auf jeden Fall könne die Firma so sicherstellen, dass Mitarbeiter nicht wegen vermeidbarer Infektionen ausfallen.
Das ganze kostet keine Millionen, sondern ein paar Tausend Euro
Unter dem Strich sollten Nutzen und Einsparungen deutlich größer sein als die Investitionen, die sich erst einmal in der Regel nur in einem vier- bis fünfstelligen Bereich bewegen. „Da haben die Firmen oft falsche Vorstellungen“, sagt Wirtschaftsinformatiker Lasi. Denn die Plattformen und Bausteine, um so etwas zu verwalten, die gebe es auf dem Markt, sie müssten nur angepasst werden.
Ist das Ökosystem erst einmal geschaffen, dann bieten sich in der Regel neue Optionen und es entsteht auch für kleine Unternehmen eine neue Schlagkraft auf dem Markt. Plötzlich würden sich auch neue Geschäftsfelder eröffnen.

Neu denken statt das Alte einfach nur verbessern
Dieses neue Denken spielt gerade bei den Autozulieferern derzeit eine große Rolle. Denn mit dem Wechsel vom Verbrenner- zum Elektroantrieb stehen viele dieser Firmen vor der Frage, wann welche neuen Produkte gefordert sind. Lasi ist überzeugt, dass auch Betriebe in der Region außerhalb der Automobilindustrie Wertschöpfung generieren können. Neue Netzwerke könnten hier alte Strukturen aufbrechen.
Und Lasi ist überzeugt: „Über kurz oder lang stehen solche Ökosysteme in Konkurrenz mit anderen Ökosystemen.“ Jetzt gehe es nicht mehr darum, ein Produkt einfach nur vier Prozent besser und sechs Prozent günstiger herzustellen, sondern neue Anwendungen und neue Arten der Wertschöpfung zu finden.
Datenschutz ist ein lösbares Problem
Eine Frage, die dabei immer wieder auftaucht, ist die nach dem Schutz sensibler Unternehmensdaten. Auch Heiner Lasi weiß: Je größer das Netzwerk, desto wichtiger sei, dass nicht alle Informationen jedem zugänglich sind. „Wir erproben deshalb das Modell der Datengenossenschaft, die den Zugang für mehrere Partner gemeinsam regelt.“
In der Anfangsphase könne man aber relativ offen mit dem Thema umgehen, damit die Hürde nicht so hoch ist. Lasis Leitsatz ist deshalb: „Einfach machen“ oder konkreter: „Wir müssen die Transformation einfach einfach machen.“
Die Unternehmer sind gefragt
Das Bündnis für Transformation ist dabei, den Autozulieferern in der Region Hilfestellung bei den anstehenden Aufgaben wie Digitalisierung und Wandel hin zur Elektromobilität zu geben. Initiiert von der Bürgerinitiative Pro Region haben der Arbeitgeberverband Südwestmetall, die Agenturen für Arbeit Heilbronn und Schwäbisch Hall, die IG Metall in der Region und die Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH ein Angebot geschaffen, Firmen beizustehen.
„Das ganze Thema ist mittlerweile ein riesiges Schreckgespenst“, sagt Neckarsulms Oberbürgermeister Steffen Hertwig, Koordinator des Bündnis für Transformation. Dabei hätten gerade die Autozulieferer keine andere Wahl als sich damit zu beschäftigen. „Je größer das Unternehmen, desto schwerer tut man sich aber damit“, hat Michael Köhnlein vom Ferdinand-Steinbeis-Institut beobachtet. Das habe vielleicht auch damit zu tun, dass viele Unternehmer glaubten, sich selbst nicht mit den vermeintlichen IT-Themen beschäftigen zu müssen. „Doch die Fachleute in der Firma braucht man erst, wenn es an die Umsetzung geht“, sagt Köhnlein. Im ersten Schritt gehe es darum, das Mindset zu verändern, es brauche „eine neue Denke“. „Da ist die Geschäftsführung gefragt. Da geht es um klassisches Unternehmertum.“
Im Bündnis für Transformation engagiert ist auch Rudolf Luz, Leiter des Funktionsbereichs Betriebspolitik bei der IG Metall in Frankfurt und stellvertretender Vorsitzender der Bürgerinitiative pro Region Heilbronn-Franken. Für ihn hat eine Umstellung des Geschäftskonzepts bei manchen Unternehmen bereits eingesetzt. "Die Corona-Krise bringt hier eindeutig einen Schub", sagt Luz. Der sei notwendig, weil die EU nun ja auch noch ihre regulatorischen Rahmenbedingungen verschärfe. "Ich glaube an die Wandlungsfähigkeit unserer Unternehmen", sagt Luz.
Neue Termine
Um die Akteure zusammenzubringen, will das Bündnis für Transformation das Unternehmerfrühstück, das bisher einmal vor dem Corona-Ausbruch stattgefunden hat, wieder aufleben lassen. Zudem ist im Januar eine große Veranstaltung geplant, bei der Heiner Lasi die neue Herangehensweise ebenfalls erläutert.
Alle Infos gibt es auch in einer Broschüre, herunterzuladen unter buendnis-fuer-transformation.de/