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Zukunftsforscherin: "Trends fangen immer leise mit ein paar Leuten an"

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Die Zukunftsforscherin Rike Pätzold erklärt im Interview, warum selbstfahrende Autos wenig mit Zukunft zu tun haben, wie kleine Veränderungen eine große Wirkung haben können und warum man Bekannte nicht wegrationalisieren sollte.

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Die Zukunftsforscherin Rike Pätzold.
Foto: Lea Novi
Die Zukunftsforscherin Rike Pätzold. Foto: Lea Novi  Foto: Lea Novi

Die Zukunftsforscherin Rike Pätzold sagt: Wir können die Zukunft nicht kennen. Warum wir uns trotzdem mit ihr beschäftigen müssen, erklärt sie im Interview.

 

Sie sprechen mit Menschen über ihre Vorstellungen von Zukunft. Was stellen die sich vor?

Rike Pätzold: Viele denken, dass es so weitergeht wie bisher, nur dass alles ein wenig technischer wird. Mehr Digitalisierung, mehr künstliche Intelligenz. Man geht vom Jetzt aus und überträgt es auf die Zukunft.

 

Woher kommt das?

Pätzold: Das wird natürlich stark vom Silicon Valley und neuen Technologien beeinflusst. Wenn wir den Menschen explizit erlauben, sich ihre Zukunft auszumalen, kommen da ganz andere Sachen.

 

Und zwar?

Pätzold: Derzeit arbeiten wir mit einer Gemeinde bei München zusammen. Dort wünschen sich die Menschen, dass der Marktplatz belebter wird oder dass eine der Straßen fahrradfreundlicher wird. Das Zusammenleben soll harmonischer und inklusiver werden. Technologien werden nur manchmal als Teil der Lösung genannt.

 

In Filmen wird Zukunft meist so dargestellt: Mensch und Maschine verschmelzen, alles wird überwacht.

Pätzold: Das ist eine Vorstellung von Zukunft, die sehr dominant ist. Und sie hat ihren Nutzen als Warnung, wie es sein kann. Technologie kann ein Werkzeug oder eine Waffe sein. Wichtig ist, dass Zukunft nicht einfach passiert. Jeder hat die Möglichkeit, sie mitzugestalten. Brauche ich zu Hause eine Alexa, die alles mithört?

 

Viele Utopien bewahrheiten sich nicht, etwa wenn man an diese Postkarten denkt, wie man sich um 1900 das Jahr 2000 vorstellte.

Pätzold: (lacht) Es gibt ein Bild, auf dem Menschen in Kniebundhosen mit der Schrotflinte jagen gehen, aber eben mit Propellerrucksäcken. Ich finde das spannend. Wir denken immer nur einzelne Aspekte futuristisch und glauben, dass sich bestimmte Parameter nie verändern. Wir gehen davon aus, dass die Menschen immer noch zur Arbeit fahren wollen, nur eben mit selbstfahrenden Autos. Wir überlegen gar nicht, was komplett anders sein könnte.

 

Wie sehr haben wir das selbst in der Hand? Das Smartphone, heute unverzichtbar, haben US-Hersteller einfach auf den Markt geworfen.

Pätzold: Diese Frage kommt oft. Was kann ich als Einzelner überhaupt tun? Ich antworte immer: Das Leben ist komplex. Und in komplexen Systemen können kleine Veränderungen große Auswirkungen haben. Der amerikanische Meteorologe Edward Lorenz nannte das Schmetterlingseffekt. Wenn er nur geringfügige Änderungen im mehrstelligen Kommabereich bei seinen Wetterberechnungen vornahm, führte das zu ganz anderen Ergebnissen.

 

Was bedeutet das für uns Menschen?

Pätzold: Das heißt: Wenn einzelne Menschen ihre Haltung zu einem Thema ändern, kann das durchaus einen Effekt haben. Das heißt nicht, dass man Menschen in seinem Umfeld missionieren soll, das führt eher zu Widerstand. Aber wenn man sich selbst seine Vorstellung von Zukunft bewusst macht, hinterfragt, welche Auswirkungen Handlungen von heute darauf haben und sich danach richtet, bekommen andere das mit.

 

Haben Sie ein Beispiel?

Pätzold: Das kann man daran sehen, dass es immer mehr Vegetarier gibt. Trends fangen immer leise mit ein paar Leuten an. Greta Thunberg setzt sich mit ihrem Pappschild auf die Straße und plötzlich entsteht eine weltweite Klimaschutz-Bewegung. Jeder Einzelne hat sehr wohl Wirksamkeit, auch wenn sie nicht immer unmittelbar erkennbar ist. Das finde ich hoffnungsvoll.

 

Um meine Zukunft muss ich mich heute kümmern und für Haus und Rente sparen. Verständlich, dass viele das lieber ignorieren, oder?

Pätzold: Das ist eine wichtige Frage. Wie bereite ich mich auf eine ungewisse Zukunft vor? Mein Rat ist: Kümmern Sie sich selbst darum, dass Sie ein Backup haben, gleichzeitig aber flexibel bleiben! Jeder sollte sich fragen, wie tragfähig das eigene Beziehungsnetz ist. Das sind die Menschen, die uns im Notfall auffangen. Da können wir viel von anderen Ländern lernen.

Zur Person

Rike Pätzold (39) hat Sinologie, Japanologie und Sprachphilosophie in München studiert und mehrere Jahre in Asien gelebt. Anschließend hat sie sich in den Themen International Leadership und Coaching weitergebildet. Sie berät Menschen und Unternehmen zur Organisation von Prozessen und Zukunftsgestaltung, lehrt an verschiedenen Hochschulen und leitet das Institut für praktische Emergenz. In ihrem kürzlich erschienenen Buch "Ohne festen Boden" erklärt sie, wie man mit Unsicherheit umgeht.

 

Von welchen?

Pätzold: Mir ist der starke Zusammenhalt in den Familien und im Freundeskreis zum Beispiel im Senegal aufgefallen. Die Menschen arbeiten sehr viel. Viele wissen aber nicht, wo am nächsten Tag das Geld herkommt. Es ist völlig klar, dass man sich da gegenseitig unterstützt.

 

Gibt es das in Deutschland nicht?

Pätzold: Ich denke, viele haben während der Pandemie gemerkt, wie wichtig das sein kann. Einer alleinerziehenden Kollegin sind alle Aufträge weggebrochen, woraufhin Menschen aus ihrem Netzwerk ihr sofort angeboten haben, sie finanziell zu unterstützen. Diese große Hilfsbereitschaft fand ich total berührend. Ein absichtsloses Einzahlen aufs Beziehungskonto in guten Zeiten kann Sicherheit für schlechtere Zeiten geben. Dabei geht es nicht darum, dass man sich für andere aufreibt. Aber wir sind oft zu schnell dabei, Menschen aus Effizienzgründen wegzurationalisieren.

 

Wie soll man darauf vertrauen, dass Politik oder Arbeitgeber die richtigen Entscheidungen treffen, was die Zukunft betrifft?

Pätzold: Man sollte vor allem anerkennen, dass niemand sicher wissen kann, was in Zukunft ist. Man sollte sich lieber fragen: Was kann ich dazu beitragen? Es kann nicht darum gehen, alles in die Hände der Politik zu legen. Natürlich sollte man wählen gehen. Aber das reicht nicht aus. Wir alle sollten die Zukunft mitgestalten.

 

Das tun Bürgerinitiativen, Vereine und Aktivisten. Oft wird ihr Engagement in Teilen der Politik belächelt oder sogar verhindert.

Pätzold: Das beobachte ich genauso. Natürlich haben einige Machthabende Angst vor Kontrollverlust und wollen sich nicht aus der Komfortzone bewegen. Aktivisten halten da den Finger in die Wunde. Das ist unbequem und schmerzhaft, wenn man etwas loslassen muss, von dem man dachte, es sei die Normalität.

 

Sträuben sich deshalb viele gegen Veränderung?

Pätzold: Wir wollen natürlich sofort wissen, was das Richtige ist. Derzeit führen wir so viele Debatten, über Ernährung, Gendern, Sexismus, Klimaschutz. Da wird an vielen Fronten gekämpft. Und immer muss man Stellung beziehen und eine Seite wählen. Ich finde es wichtig, dass wir über solche Themen reden, ohne vorher schon eine Lösung festzulegen. Wir sollten versuchen, länger bei der Frage zu bleiben, das Problem zu bewundern und uns vor allem gegenseitig wirklich zuzuhören.

 

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