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Architekt: Bauen ist eine Frage der Bildung

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Gerade im Schwabenland meinen private Bauherren, vieles selbst in die Hand nehmen zu können, beklagt der Heilbronner Architekt Matthias Müller. "Die bedauerlichen Ergebnisse kann man landauf landab erkennen", sagt er im Stimme-Interview. Angesichts hoher Kosten, aber auch aus sozialen und ökologischen Gründen sei ein Umdenken notwendig: weg vom Eigenheim, hin zum guten Geschosswohnungsbau.

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Matthias Müller im Homeoffice auf der Terrasse seines Wohnhauses, das schon sein Elternhaus war. Foto: Andreas Veigel
Matthias Müller im Homeoffice auf der Terrasse seines Wohnhauses, das schon sein Elternhaus war. Foto: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Herr Müller, sagen Sie, warum sind uns denn die eigenen vier Wände, im Idealfall das Eigenheim, eigentlich so wichtig?

Matthias Müller: Weil man sich über die Jahre hinweg gerne sein "eigenes Nest" bauen möchte, das den persönlichen Bedürfnissen und Vorstellungen entspricht. Das kann eine Wohnung sein oder ein Einfamilienhaus. Im Idealfall übernimmt das ein Architekt, der weiß, worauf es ankommt. Wer dieses Niveau nicht anstrebt, baut, gerade im Schwabenland, gerne selber. Die bedauerlichen Ergebnisse kann man landauf landab erkennen.

 

Was passiert, wenn meine Wohnung nicht passt? Es gibt da einen schönen Spruch von Albert Schweitzer: Erst machen Menschen Häuser, dann machen Häuser Menschen.

Müller: Erst machen Menschen Häuser: Da spielen zunächst individuelle oder gesellschaftliche Aspekte eine Rolle. Ein einfacher Mensch, der sozial etwas schwächer gestellt ist, hat ganz andere Vorstellungen und Bedürfnisse für ein einfaches "Häusle" als etwa eine Führungsperson in der Industrie. Für letzteren dient das Haus auch als repräsentatives Aushängeschild und zeigt, auf welchem gesellschaftlichen Niveau sich die jeweilige Person befindet. Wenn man nun die gesellschaftliche Pyramide betrachtet, sieht man, dass es, je weiter man nach unten geht, weniger anspruchsvoll gestaltete Häuser gibt, die wirklich gut sind: da zum einen nicht immer ein Architekt plant und zum anderen auch das fachliche Verständnis und die handwerkliche Qualität zu wünschen übriglässt.

 

Was meinen Sie damit konkret?

Müller: Letztendlich entscheidet der jeweilige Bildungsgrad der Menschen, ob ihr Haus gestalterische und handwerkliche Qualität hat. Das ist in der Kunst und Literatur nicht anders als im Design und in der Architektur. Je gebildeter ich mich in einer speziellen Richtung entwickelt habe, um so anspruchsvoller und qualitativ hochwertiger stellt sich ein Architekturprojekt dar. Die Heilbronner Stimme zeigte jüngst viele gute Beispiele. Die Sieger des Hugo-Häring-Wettbewerbs des Bundes Deutscher Architekten BDA. Vergleichen Sie dagegen ein ganz normales Neubaugebiet, wo das Niveau der Häuser eher durchschnittlich bis schlecht ist.

Die Baupreise sind explodiert. Ein Haus wie dieses kann sich kaum noch jemand leisten. Foto: Dietmar Strauß / Besigheim
Die Baupreise sind explodiert. Ein Haus wie dieses kann sich kaum noch jemand leisten. Foto: Dietmar Strauß / Besigheim  Foto: Fotografie Dietmar Strauß / Besigheim

 

Unter den 13 Gebäuden aus der Region war kein einziges Wohnhaus dabei. Warum?

Müller: Basis für jedes gute Gebäude ist, wie gesagt, ein entsprechender Bauherr und ein Architekt. Wenn keine interessanten Architekten ins Boot genommen wurden, ist auch die Zahl der eingereichten Arbeiten und letztlich natürlich auch die der ausgezeichneten Häuser eher gering.

 

Kann man daraus ableiten, dass Unternehmen und die öffentliche Hand weiter sind?

Müller: Genau. Die Verantwortlichen in diesen Bereichen haben in den letzten Jahren ein neues Architekturbewusstsein entwickelt. Eben durch Bildungsarbeit, durch die Reihe Heilbronner Architekturgespräche, durch die Arbeit der Architektenkammer und des BDA. In Führungsetagen wird Architektur heute viel mehr geschätzt, da gab es einen richtigen Qualitätssprung. Gute Gestaltung ist hier fast schon zum Selbstverständnis geworden - im Gegensatz zum privaten Bereich. Wir im Büro sehen das auch an der Auftragslage, die in den letzten Jahren von Privatseite stark nachgelassen hat. Das liegt aber auch an den hohen Baupreisen.

 

Wer kann sich denn heutzutage den Hausbau eigentlich überhaupt noch leisten?

Müller: Die Erbengeneration. Oder sehr gut gestellte Doppelverdiener, die keine Kinder haben. In der Region haben wir die komfortable Situation, dass sich viele Firmen mit entsprechenden Gutverdienern angesiedelt haben. Aber ein normaler Familienvater mit durchschnittlichem Einkommen kann den Hausbau heutzutage kaum bewältigen und über 20, 30 Jahre abbezahlen, wenn das überhaupt reicht. Das spielt auch beim aktuellen Trend zu Geschosswohnungen eine Rolle.

 

Um Flächen im Außenbereich zu schonen, müssen Stadtplaner stärker auf Nachverdichtung mit attraktivem Geschosswohnungsbau achten. Die Visualisierung zeigt ein Mehrfamilienhaus im Neckarbogen. Foto: Müller Architekten
Um Flächen im Außenbereich zu schonen, müssen Stadtplaner stärker auf Nachverdichtung mit attraktivem Geschosswohnungsbau achten. Die Visualisierung zeigt ein Mehrfamilienhaus im Neckarbogen. Foto: Müller Architekten  Foto: Fotografie Dietmar Strauß / Besigheim

Aber könnte man nicht auch beim Hausbau sparen? Was ist wichtig, was nicht?

Müller: Schwierige Frage. Im Grunde ist es die Masse oder das Volumen des Gebäudes. Man müsste auch hier die Bedürfnisse ziemlich zurückschrauben, was die Größe und Ausstattung betrifft. Es gibt aber auch Parameter, auf die wir wenig Einfluss haben. Zum Beispiel das neue Gebäudeenergiegesetz mit entsprechenden Techniken, die zu höheren Kosten führen.

 

Was halten Sie von der neuen Photovoltaik-Pflicht für Neubauten?

Müller: Ich sehe das individuell entwickelte energetische Gesamtkonzept eines Projektes für ausschlaggebend und nicht nur eine Stellschraube mit der Photovoltaik.

 

Ein Faktor sind auch die Grundstückspreise.

Müller: Genau. Die haben in den letzten Jahren bei uns einen richtigen Sprung nach oben gemacht. Aber in Heilbronn wird tatsächlich jeder Preis bezahlt, weil es hier über die starke Wirtschaft viele potente Privatleute mit hohen Einkommen gibt. Da hat sich Heilbronn anderen Großstädten angeglichen.

 

Aktuelles Wochenthema: Architektur in der Region

Von schön bis scheußlich: Eine Woche lang widmen wir uns ausgezeichneten architektonischen Hinguckern in der Region, wir stellen historisch bedeutende Bauwerke vor - und werfen einen genaueren Blick auf die scheußlichen Gebäude in der Stadt Heilbronn.

 

Hat denn das Eigenheim - auch aus ökologischer Sicht - überhaupt noch Zukunft?

Müller: Tatsächlich ist aus ökologischen, aber auch aus sozialen Gründen ein Umdenken notwendig. Heilbronn hat ja nicht zuletzt mit dem Neckarbogen gezeigt, wie interessanter Geschosswohnungsbau aussehen kann. Um Flächen im Außenbereich zu schonen, müssen wir im innerstädtischen Bereich stärker auf eine Nachverdichtung mit attraktivem Geschosswohnungsbau achten. Da ist die Stadtplanung gefordert, etwa was die Stellplatzfrage betrifft, aber auch Investitionsanreize sind notwendig.

 

Liegt nicht auch in vielen leeren Altbauten in Ortskernen von Dörfern Potenzial brach?

Müller: Ökologisch gesehen halte ich das für nicht so gut, weil dafür meist Personengruppen in Frage kommen, die weiterhin in der Stadt arbeiten. Das heißt: zusätzlicher Verkehr. Außerdem gehen auch auf dem Land die Baulandpreise weiter in die Höhe. Das liegt auch daran, dass im innerstädtischen Bereich zu wenig attraktiver Wohnraum geschaffen wird. In Heilbronn geht das ja in der Fleiner Straße oder Sülmer Straße gegen Null, wodurch die Innenstadt ausstirbt. Bauplätze wird es auf dem Land weiterhin geben. Wichtig ist es aber, diese in ein ökologisches Konzept einzubinden bis hin zum passenden ÖPNV-Angebot für Pendler.

 
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