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Kunst, die unter die Haut geht

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Tattoos, die an Wassermalfarben erinnern? Genau damit wurde Emrah Burkhardt, besser bekannt als Emrah Lausbub, vor sieben Jahren weit über die Grenzen von Heilbronn hinaus bekannt. Der heute 35-Jährige stieß damit einen bis heute anhaltenden Trend an.

von Milva-Katharina Klöppel
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Bevor es ans Stechen geht, zeichnet der 35-Jährige seine Ideen wie bei einer Leinwand auf den Körper des Kunden. Fotos: Ralf Seidel
Bevor es ans Stechen geht, zeichnet der 35-Jährige seine Ideen wie bei einer Leinwand auf den Körper des Kunden. Fotos: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Als Tätowierer Vater zu sein, ist nicht immer leicht. Emrah Burkhardt kann ein Liedchen davon singen. Oder wie erklärt man seiner fast drei Jahre alten Tochter, dass man nur auf Papier malen darf, wenn der eigene Körper übersät mit bunten Bildern ist? Und tatsächlich ist der 35-jährige Heilbronner mit seiner ganz besonderen Art zu Tätowieren, die auch kleine Mädchen wegen ihrer Farbigkeit anspricht, vor sieben Jahren weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus berühmt geworden.

"Ein neuer Trend erobert die Tattoo-Welt" überschrieb das Magazin "Taff" des Privatsenders ProSieben seinen Beitrag im Oktober 2014 und besuchte den jungen Tätowierer damals noch in seinem kleinen Studio in der Salzstraße. Anders als bei den bis dahin klassischen Tätowierungen sahen die Motive von Emrah, wie der zweifache Familienvater am liebsten nur genannt wird, aus, als wären sie mit Wasserfarben aufgemalt - doch sie blieben ewig. "Ich gehörte zu den jungen Wilden in der Tattoo-Szene", erinnert sich Emrah mit einem verschmitzten Grinsen. Damals entstand auch sein Künstlername: Lausbub. Seither ist viel passiert. Aus der Salzstraße ging es 800 Meter weiter in die Fügerstraße, in eine 240 Quadratmeter große Industriehalle. Aus dem Einzelkämpfer wurde das Lausbub-Kollektiv mit befreundeten Tätowierern.

Die Veränderung im Blick

Hochkonzentriert sticht Emrah teilweise bis zu zehn Stunden an einem Tag. Die Körperhaltung ist dabei alles andere als ideal.
Hochkonzentriert sticht Emrah teilweise bis zu zehn Stunden an einem Tag. Die Körperhaltung ist dabei alles andere als ideal.  Foto: Seidel, Ralf

"Stillstand macht mir Angst", sagt Emrah, der seinen Stil in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelte. Man könne das Rad nicht neu erfinden, doch er sei "immer auf der Suche nach neuen Kombinationen". Zuletzt flog er dafür zu einer Messe nach Neuseeland - wenige Tage vor dem ersten weltweiten Corona-Lockdown im März 2020. "Mit sehr viel Glück bin ich nach nur fünf Tagen wieder nach Deutschland zurückgekommen", erinnert er sich. Im Gepäck dennoch jede Menge neue Ideen und Inspiration: "Maori-Tattoos sind mehr als Körperschmuck", erklärt der Heilbronner, der jetzt in Brackenheim lebt. "Sie haben meist eine tiefsinnige Bedeutung und sind sehr komplex." Deshalb kopiert Emrah die Symbole auch nicht stumpf, sondern kombiniert sie mit eigenen Ideen und farbigen Elementen. Baut zum Beispiel Speerspitzen, die bei den Maori für Mut, Kampfgeist und Tapferkeit stehen, in seine Kunstwerke, die unter die Haut gehen, ein.


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Jedes Tattoo wird frei Hand gezeichnet

Handwerkszeug: Tätowierern stehen breite und feine Nadeln zur Verfügung.
Handwerkszeug: Tätowierern stehen breite und feine Nadeln zur Verfügung.  Foto: Seidel, Ralf

Tatsächlich ist es angebracht, bei der Arbeit von Emrah Burkhardt von Kunstwerken zu sprechen. Nicht nur, weil er seiner Kreativität auch auf Leinwänden mit Acrylfarben freien Lauf lässt und bereits mehrere Ausstellungen hatte. Sondern auch, weil seine Tattoo-Kunden sich auf die Experimentierfreude des 35-Jährigen einlassen müssen. "Ich zeichne nichts vor", erklärt Emrah. "Keiner weiß, was passiert." Ein "enormer Vertrauensvorschuss". Erst im Vorgespräch kämen die Einfälle, die er dann in bis zu drei Stunden auf der Haut des Kunden skizziert. Dann beginnt die Tätowiernadel zu surren.

Als erstes wird Schwarz gestochen, dann folgen alle Farben, die der Regenbogen hergibt. "Ich mische die Farbtöne an, bevor ich sie unter die Haut bombe", beschreibt Emrah seine Arbeitsschritte. Durch die Malerei habe er sein Verständnis für Farben noch verbessern können. "Viele meiner Kunden bekommen über ihre Tätowierungen einen Zugang zur Kunst", stellt der Vater einer Tochter und eines Sohnes erfreut fest. Vielleicht würde er deshalb auch gerne einmal seine frühere Kunstlehrerin tätowieren, die ihm riet, etwas Kreatives zu machen. Drei Monate vor dem Abitur schmiss der Lausbub dann aber hin, brach die Schule ab und "tingelte durch die Gegend".


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Gelagert in Fläschchen werden die Farben anschließend in einer Palette angerührt.
Gelagert in Fläschchen werden die Farben anschließend in einer Palette angerührt.  Foto: Seidel, Ralf

Den Plan, Heilbronn zu verlassen, setzte er allerdings nicht um. Stattdessen wuchs die Liebe zu Tattoos. Irgendwann drückte ihm ein befreundeter Tätowierer eine Nadel in die Hand. Er solle es mit dem Stechen doch einmal selbst ausprobieren. "Gelingt der Schädel mit ersten Wasserfarbklecksen auf der Wade, geht es weiter", sagt sich Emrah. Und er war mit seiner Arbeit zufrieden - seine Mutter allerdings ganz und gar nicht. "Meine Mum war stinksauer", sagt Emrah. "Sie hatte Angst, dass ich ganz abrutschen könnte." Heute sei sie aber sehr stolz auf ihren Sohn. "Sie hat sogar selbst vier Tätowierungen - eine davon am Hals."

Keine perfekte Stelle für den Körperschmuck

Die perfekte Stelle für den immerwährenden Körperschmuck gibt es laut Emrah übrigens nicht. "Ich sehe aber immer den ganzen Körper." Soll heißen, dass Emrah nicht beim Oberarm aufhört, sondern gerne noch ein Stück des Unterarms oder aber der Brust für seine großflächigen Bilder einbezieht. Wichtiger als die Stelle ist für Emrah das Motiv. "Ich habe es aufgegeben, meine Kunden zu bevormunden", sagt der Heilbronner. "Ich rate aber von Tattoos, die negativ belastet sind, ab. Damit meine ich ein Todesdatum oder etwas von der Ex-Freundin."

Nicht jede Tätowierung muss eine Bedeutung haben

Emrah liebt es, seine Ideen auf möglichst großen Flächen aufzutragen. Foto: privat
Emrah liebt es, seine Ideen auf möglichst großen Flächen aufzutragen. Foto: privat  Foto: Alternativer Fotograf

Auch müsse nicht jede Tätowierung eine Bedeutung haben. Wenn, dann würde er es bevorzugen, wenn der Hintergedanke der Motivwahl erst auf den zweiten oder sogar dritten Blick deutlich wird. "In bildlichen Darstellungen kann man extrem viel verstecken", erklärt der Familienmensch. "Die Sonne oberhalb meines rechten Auges steht beispielsweise für meine Kinder." Die dürfen sich übrigens frühestens mit 20 Jahren ihr erstes Tattoo stechen lassen. Da sei er sehr konservativ, sagt Emrah Lausbub. "Wer jünger ist, steckt noch mitten in der Selbstfindung und kann die Tragweite einer Tätowierung nicht abschätzen."

 
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