Mit Gemüse aus dem eigenen Garten ernährt sie ihre ganze Familie
Manche schütteln den Kopf, wenn sie am Garten von Esen Karaali vorbeikommen. Doch was auf den ersten Blick verwildert aussieht, hat System. Die Bad Friedrichshallerin erklärt, wie ein Permakulturgarten funktioniert.

Eine Tomate hat Necati Karaali zuletzt Anfang Dezember gekauft. Das Gleiche gilt für Salatgurken und anderes Gemüse. Dass die fünfköpfige Familie dennoch keinen Mangel an Vitaminen hat, dafür sorgt Karaalis Frau Esen. Vor drei Jahren gestaltete die dreifache Mutter den bis dahin klassischen Garten der Familie – ein Gemüsebeet, viel Rasen und ein paar Blumen – nach den Grundsätzen der Permakultur um. "Es geht mir darum, ein eigenes stabiles und nachhaltiges Ökosystem zu erschaffen, das natürlichen Abläufen nachempfunden ist", erklärt Esen Karaali.
Das Prinzip der Permakultur sei ganzheitlich. "Ziel ist es, ein vernetztes und multifunktionales Ökosystem zu entwickeln und zu erhalten. Dabei sollen vorhandene Ressourcen effizient genutzt und deren Verbrauch sowie der Energieverbrauch verringert werden", erklärt die Bad Friedrichshallerin und lässt ihren Blick über die jetzt noch karg wirkenden Beete schweifen. In wenigen Wochen werden hier Gemüsepflanzen in die Höhe schnellen und Sträucher erste Früchte tragen. Bis es soweit ist, gibt es im Hause Karaali das Gemüse, das aktuell geerntet werden kann – Wintersalate, Rotkohl und mehr.
Nur von außen unstrukturiert und wild
Esen Karaali weiß, dass viele Spaziergänger den Kopf schütteln, wenn sie an ihrem Garten vorbeikommen. Er wirkt unstrukturiert und wild. Doch es steckt System dahinter. "Pfefferminze wächst zum Beispiel an vielen verschiedenen Orten in unserem Garten", berichtet Karaali. Sie erklärt es damit, dass jeder Ort andere Nährstoffe abgibt und sich somit auch die Pflanzen unterschiedlich entwickeln. Unvermittelt kniet die 42-Jährige nieder, um von einer kleinen Pflanze am Boden ein sattgrünes Blatt abzubrechen. Sofort liegt ein frischer Pfefferminzduft in der Luft. "Dort kommen jetzt langsam die Kichererbsen", zeigt sie direkt daneben auf ein winziges Pflänzchen im Boden. Karaali scheint jeden Zentimeter ihres Gartens zu kennen.

Acht Monate, von Oktober bis Mai, dauerte es 2018, bis aus dem grünen Rasen eine Anbaufläche wurde. "Ich habe den Rasen mit zehn Zentimeter dicker Pappe abgedeckt, so dass er absterben konnte und Regenwürmer kamen, um den Boden umzugraben." Außerdem verlegte Esen Karaali nach dem Prinzip der Zonen (siehe Grafik) ihren bisherigen Küchengarten näher ans Haus. "Jetzt kann ich alles vom Fenster aus beobachten, habe beim Gießen kurze Wege von der Regentonne bis zu den Beeten", sprudelt es an Erklärungen nur so aus Karaali heraus. Bei der Permakultur im eigenen Garten ginge es beispielsweise auch darum, möglichst gewinnbringend und nachhaltig mit der Ressource Wasser umzugehen.
Eine weitere Möglichkeit, die Natur im eigenen Garten nachzuahmen, ist auch ein ein wilder Boden, also ein Abschnitt im Garten, der komplett "der Natur überlassen" und in keiner Weise bearbeitet wird. Bei Familie Karaali ist diese Zone 5 heute der frühere Gemüsegarten – er liegt, uneffektiv und -praktisch, am weitesten vom Haus entfernt. In dieser sogenannten Naturzone gibt es nun große Komposthaufen, aufeinander gestapelte Steine und Hölzer. Daneben setzt die Familie auf mehrjährige Pflanzen, die wenig Pflegeaufwand benötigen und dennoch gute Erträge bringen. Beerensträucher wie die Johannisbeere eignen sich dafür besonders gut. Daneben gilt in der Permakultur die Regel, Böden nicht unbedeckt zu lassen, also sie entweder zu mulchen oder mit Pflanzen zu bedecken. So werden sie vor extremen Witterungsbelastungen geschützt und speichern Wärme.
"Wissen über die Logik der Natur geht verloren"
Ungerne erwähnt Esen Karaali, dass sie Gartenbauwissenschaften studiert hat. "Dann denken alle, nur deshalb gelingt mir der Gemüseanbau so gut", sagt Karaali, die mit 23 Jahren aus der Türkei nach Deutschland zog. "Dabei schafft das jeder, was ich in meinem Garten mache." Ihre Schwester lebe im Zentrum der türkischen Großstadt Istanbul und würde dort auf ihrem Balkon auf wenigen Quadratmetern Gemüse und Kräuter anbauen.

Besonders freut Karaali, dass ihre jüngste Tochter Lina immer an ihrer Seite ist, wenn sie im Garten arbeitet. Die Neunjährige liebt es, ihrer Mutter beim Säen oder Auspflanzen zu helfen. Und ganz nebenbei lernt die Viertklässlerin den Kreislauf der Natur kennen. "Ein, zwei Generationen weiter und keiner weiß mehr, wie Zwiebeln wachsen", befürchtet Karaali und denkt an ein Erlebnis vor vielen Jahren im Supermarkt zurück, als der junge Kassierer sie fragte, welche Sorte Salat sie denn gerade aufs Band gelegt habe. Blöd nur, dass es gar kein Salat, sondern ein Kohlkopf war.
Solche Erlebnisse schockieren Esen Karaali, die selbst bereits in ihrer Kindheit eigene Pflanzen im Garten ihrer Eltern züchtete. "Die Weltbevölkerung wächst und die Anzahl der Bauern nimmt von Jahr zu Jahr ab", so Karaali. "Wissen über die Logik der Natur, geht verloren." Dem will sie entgegenwirken.
Dass Permakulturgärtner nicht stundenlang im Beet sitzen, Unkraut jäten oder alles umgraben, ist jetzt klar. Die Devise lautet: Bloß nichts durcheinander bringen, wenn's im Garten Eden sprießen und gedeihen soll. Denn die Pflanzen, die da in weitestgehender Anarchie leben, die wissen ganz genau, was sie tun. Trotzdem ist an einen längeren Sommerurlaub nicht zu denken, wenn ab Mitte Juli die Ernte beginnt. "Es fängt mit einer Zucchini, ein paar Tomaten an", erzählt Esen Karaali voller Vorfreude auf den Sommer. "Kurze Zeit später aber ernten wir dann täglich große Mengen."