Winter bei einem der größten Wolfsrudel Europas
Die hundeartigen Raubtiere führen ein reges Sozialleben. In einem Gehege im Wildpark Bad Mergentheim frisst, rauft und kuschelt eine Großfamilie von 37 Wölfen.

Krähen krächzen auf den Ästen, Bussarde kreisen am Himmel. Wie in einem Film tauchen hinter einem Hügel plötzlich mehr und mehr Wölfe auf. Neugierig halten zwölf der berühmten Tiere rund 300 Meter vom Besucherzaun entfernt Ausschau.
"Sie haben uns reden hören", sagt Stefanie Keim. Von ihrem hohenlohischen Heimatort Mulfingen-Hollenbach sind es für die Tierpflegerin 15 Minuten mit dem Auto zum Wildpark Bad Mergentheim.
Die Bad Mergentheimer Wölfe leben in einem außergewöhnlich großen Rudel

Im Norden des derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossenen Areals befindet sich das zwei Hektar umfassende Wolfsgelände, das großteils Waldgebiet ist. Die Tiere im Park sind kanadische Timberwölfe, beeindrucken mit braunem, weißgrauem und schwarzem Fell. Der europäische Grauwolf trägt dagegen ein graubraunes Fellkleid. "Von ihm stammen unsere Haushunde ab", weiß Keim.
37 Wölfe leben aktuell in dem Wildtierpark. Die Familienbande gilt als eines der größten Wolfsrudel Europas. Zum Vergleich: Das Wildparadies Tripsdrill beheimatet fünf europäische und sechs Polarwölfe. "So ein großes Rudel wie bei uns gibt es in freier Wildbahn nicht", klärt die Tierpflegerin auf. "Bei den kanadischen Wölfen leben etwa 20 Tiere zusammen, bei den europäischen höchstens zehn, weil die Beute hier kleiner ist."
Warum sie jetzt weniger hungrig sind

Um 11 Uhr macht sich die 34-Jährige an diesem Januartag mit einer Kollegin auf zur Fütterung im Gehege. "Kommt!" rufen die Wolfskennerinnen. Die Fleischstücke verteilen sie auf dem Weg vor den Hügeln, so wie sie es sonst bei öffentlichen Fütterungen tun. Wenn kein Besuch da ist, wie derzeit im Lockdown, gibt es Futter zu unregelmäßigen Zeiten.
Rund ein Kilo Fleisch frisst ein Wolf hier durchschnittlich."Er kann sich auch den Magen richtig vollschlagen und zehn Kilo auf einmal fressen. Dann ist er eine ganze Weile satt", sagt Stefanie Keim.
Meist bekommen die Wölfe regionales Rind, öfter Reste aus der Gastronomie oder mal ganze geschlachtete Tiere wie alte Ziegen vom Wildpark. Einige Wölfe beginnen zu fressen, viel Futter bleibt aber erstmal liegen. "Weil es gut zehn Grad wärmer ist als die Woche zuvor, verbrauchen die Wölfe weniger Energie und haben weniger Hunger", erklärt die Tierpflegerin.
Das Interesse am freilaufenden Wolf steigt

Die Wölfe sind das Highlight des Parkes. "Mein Vater Rolf Rügamer hat vor über 30 Jahren das ursprüngliche Rudel aus einem anderen Wildgehege geholt", erzählt Geschäftsführer Marcus Rügamer am Besucherzaun. 1985 hatte sein Vater aus Oberbayern den 1973 gegründeten Wildpark übernommen.
"Sein Steckenpferd war, die Tiere möglichst im natürlichen Lebensraum zeigen." So zieht ausschließlich das Rudel den Nachwuchs auf und die Tiere werden nicht kastriert. "Weil die Anzahl der Wölfe in freier Wildbahn steigt, beschäftigen sich Menschen auch mehr mit diesen tollen Tieren", beobachtet der 51-Jährige, der mit seinem Bruder Stephan den Wildpark leitet. Laut Bundesnaturschutzamt sind wieder 128 freilaufende Rudel in Deutschland heimisch, davon nur etwa drei Tiere in Baden-Württemberg.
Angst vor Wölfen brauche man nicht zu haben, betont Stefanie Keim: "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man einem Wolf begegnet. Er ist sehr scheu und sieht uns nicht als Beute an.Wölfe haben Angst vor uns, die sie fast ausgerottet haben, und wollen uns aus dem Weg gehen."
Der alte Chef zeigt, wo es lang geht

Während des Fressens sticht ein silbergrauer Wolf aus der Menge: Er streckt seinen Schwanz, seine Rute, als einziger nach oben und das permanent. "Das ist der Leitwolf", sagt Keim. "Eigentlich muss er sich nicht so präsentieren, jeder weiß, dass er der Chef ist."
Das Alphatier ist mit etwa zehn Jahren ein älterer Wolf. "Seine Erfahrung wird nicht angezweifelt", sagt Keim. Es sei ein bisschen wie bei Menschen: "Wenn er es gut macht, bleibt er Chef bis zum Tod." Wie man den Ranghöchsten noch erkennt: "Nur er hebt beim Pinkeln das Bein, die anderen Männchen sitzen."
Ein Gerangel zwischen dem Leitwolf und einem Rudelmitglied beginnt. Mit Zähnefletschen und lautem Knurren weist der Chef den Untergebenen zurecht. Der liegt auf dem Boden mit eingeklemmter Rute und streckt dem Alphawolf seine verletztlichsten Stellen, Bauch und Kehle, entgegen: ""Ich sehe meinen Fehler ein", zeigt er dem Chef", erklärt Keim.
Die Leitwölfin hat das Sagen
Der Kopf des Rudels sei jedoch die Leitwölfin. Sie entscheide, der Leitwolf führe nur aus, sagt die Tierpflegerin lachend. Ende Februar beginne die Paarungszeit: "Die Leitwölfin setzt die Weibchen unter Druck, dass sie nicht läufig werden. Und der Leitwolf guckt, dass die Männer keinen Unfug machen." Soll heißen: Nur das Anführerpaar pflanzt sich in dem Rudel fort.
Faszination Sozialleben

Sechs Welpen kamen Ende April 2020 zur Welt. Besonders scheu seien die jetzigen Jungtiere, sagt Keim, vor allem, weil sie wegen Corona kaum Besuchern begegnet wären. Aufgezogen werden die Kleinen von allen erwachsenen Tieren gemeinsam.
"Das Rudelleben ist sehr durchdacht", schwärmt Stefanie Keim, "jeder hat seine Aufgabe." Wenn etwa ein Wolf zu heulen beginne, stimmten die anderen mit ein, wie in einem Chor. "Das stärkt neben der Revierabgrenzung den Zusammenhalt." Besonders schön sei das Sozialleben im verschneiten Winter zu beobachten, findet die Tierpflegerin: "In Gruppen kuscheln die Wölfe miteinander. An den Stellen, wo sie zusammen gelegen sind, ist der Schnee weggeschmolzen."
Wildpark
Auf 35 Hektar erstreckt sich der Wildpark bei Bad Mergentheim. Darin leben vom Braunbär bis zum Uhu über 70 meist aus Europa stammende Wildtierarten, aber auch Bauernhoftiere. Der Park ist per Auto von Heilbronn aus in einer Stunde, von Künzelsau aus in rund 35 Minuten erreichbar.