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Bad Wimpfen
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B wie Baustelle, Blauer Turm oder Bauhausstil

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Drei Einheimische erzählen, warum Bad Wimpfen ihr Zuhause ist. Dabei wird deutlich: Zwischen Wohntraum und Nervenprobe liegen in der Kleinstadt oftmals nur wenige Hundert Meter.

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Obwohl Türmerin Blanca Knodel in Sichtweite wohnt, möchte sie nichts mehr, als so schnell wie möglich in ihren Blauen Turm zurück. Foto: Ute Plückthun
Obwohl Türmerin Blanca Knodel in Sichtweite wohnt, möchte sie nichts mehr, als so schnell wie möglich in ihren Blauen Turm zurück. Foto: Ute Plückthun  Foto: Plückthun, Ute

Bad Wimpfen hat eine ganz besondere Wohnatmosphäre. Davon schwärmt nicht nur die einzige Türmerin Deutschlands, Blanca Knodel, seit Jahren. Auch Dr. Hanno Monauni fand sein Wohnglück vor den Toren der Altstadt: Nach vielen Stationen im Ausland hat den früheren Kopf der Gruppe "Aderlass" ein Häuschen im Bauhausstil in Bad Wimpfen sesshaft werden lassen. "Wimpfe is schee", fanden auch Gloria Jaculi und ihre Familie noch vor etlichen Jahren. Doch jetzt dominieren Straßensperrungen, Baustellenlärm, Umleitungen und ungelöste Parkprobleme ihr Leben in der Stauferstadt.

Nur ein halber Mensch

Mit dem Architekten hat Blanca Knodel einen Deal: "Nächstes Jahr am 14. Juni werde ich 70. Dann kriege ich meinen Turm wieder", sagt sie und lacht zuversichtlich. Zu Beginn der Sanierung musste Knodel ausziehen, konnte aber schon wenige Meter weiter im Burgviertel wieder einziehen - in das Haus des Vereins Alt Wimpfen, eine ehemalige Jugendherberge. Dennoch: Ohne ihren Blauen Turm fühlt sie sich nur wie ein halber Mensch. Sie trägt das Wahrzeichen sogar als goldenen Anhänger um den Hals.

Whirlpool in 30 Metern Höhe

Eine Scheidung hat sie und ihre Kinder damals auf den Turm gebracht. Dafür tauschte sie ihre Sechs-Zimmer-Wohnung über der Gaststätte Adler gegen die 53 Quadratmeter über den Dächern der Stadt. Bereut hat sie es nie. Mit Betten und Büchern, Klavier und Küche, Waschmaschine und sogar einem Whirlpool hat ihre Türmerwohnung alles, was das Herz begehrt.

Die Aussicht auf ein Glas Sekt hat schon etliche Turmbesucher freiwillig Sprudelkästen die vielen Stufen nach oben schleppen lassen. Und dank dem Plausch mit internationalem Publikum weiß Knodel auch, was "Auf Wiedersehen" auf Chinesisch heißt.

Das Haus ohne Ecken

Es war ein ganz besonderes Häuschen, das Dr. Hanno Monauni nach Bad Wimpfen gelockt hat. Der in Heilbronn geborene Jurist war zur Reorganisation von Firmen viel im Ausland tätig, zum Beispiel in der Schweiz, in Schottland und auch in der USA. Als er den Auftrag einer Schwetzinger Firma erhielt, wurde seine Frau Lieselotte (85) auf eine Annonce in der Zeitung aufmerksam.

Ausgeschrieben war ein Haus mit dem Grundriss eines Viertelkreises, tollem Lichteinfall und ohne Zimmerecken im rechten Winkel. Architekt Josef Vassillière erschuf es 1946 im Bauhausstil für den ukrainischen Hohenstaufen-Weinhändler Skrzypek. "Das passt zu uns", befand der passionierte Wappenkundler Monauni beim Kauf 1989. Zumal es auf halber Strecke zwischen der Arbeitsstätte und dem Geburtsort seiner Frau lag.

Die Entscheidung, am Tor zur Altstadt zu leben, hält der 89-Jährige auch heute noch für richtig. Nicht nur das alte "Städtle" mit Fachwerk kommt gut an, sondern auch das soziale Umfeld: "Wimpfen gefällt uns sehr gut."

Lärm und Dreck statt Ruhe und Natur

Gloria Jaculi wohnt direkt an der Baustelle der neuen Lidl-Zentrale. Seit Baustart hat sich ihr Leben am Ortsausgang von Bad Wimpfen geändert. Dreck, Lärm und Gestank bestimmen nun den Alltag. Foto: Christiana Kunz
Gloria Jaculi wohnt direkt an der Baustelle der neuen Lidl-Zentrale. Seit Baustart hat sich ihr Leben am Ortsausgang von Bad Wimpfen geändert. Dreck, Lärm und Gestank bestimmen nun den Alltag. Foto: Christiana Kunz  Foto: Kunz, Christiana

Viele Jahre fühlte sich auch Gloria Jaculi wohl in ihrer Heimatstadt Bad Wimpfen. "Als Kind fuhr ich in unserer Straße Inliner", erinnert sich die Abiturientin. Doch vor allem seit dem Baustart der Deutschland-Zentrale von Lidl ist das Leben in ihrem Zuhause zu einer Nervenprobe geworden.

Als direkte Anwohner leiden sie und ihre Familie jeden Tag unter dem Dreck, dem Gestank und dem immensen Lärm, den die Baustelle verursacht. "Als der erste Baum gefällt wurde, tat das im Herzen weh", erinnert sich die 18-Jährige. Statt Ruhe und Natur gibt es von da an nur noch Lärm und Dreck, "oftmals von 4 Uhr morgens bis 23 Uhr". Nachts erhellen die Flutlichter der Baustelle die Wohnung, tagsüber erschüttern Bohrer und Schlaghammer das ganze Haus. Regelmäßig stinkt es heftig nach Kanalisation.

Fast jede Straße blockiert

Dazu kommt, dass die Baufirmen mit ihren Fahrzeugen, die schon mal mit anzüglichen Aufdrucken beklebt sind, die Straßen im ganzen Viertel blockieren. "Uns als Anwohner bleibt oft nur noch, das Auto im Parkverbot abzustellen. Dafür gibts dann ein Knöllchen. Es gab Zeiten, da war fast jede Straße dicht", erzählt Jaculi. Freiwillig wegziehen, will die Familie aber nicht, "das hier ist unser Zuhause", betont Jaculi.

Gloria Jaculi rät jedem, sich Zeit zu nehmen, um Bad Wimpfen kennenzulernen. "Denn für Strecken, die früher in zwei Minuten zu schaffen waren, braucht man heute zehn. Dabei begegnen einem schätzungsweise vier Umleitungen, und man wird Zeuge oder Beteiligter von drei Fast-Unfällen", beschreibt sie die Situation.

(K)eine Glanzleistung

"Wirtschaftlich ist das Projekt vielleicht eine Glanzleistung, und Neubürger werden das später lieben. Doch was die Umsetzung und die sozialen Aspekte betrifft, wurde ohne Rücksicht auf Verluste gehandelt. Es wurde keine Sekunde an uns gedacht."

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