Bei Pucaro in Roigheim laufen die Papiermaschinen rund um die Uhr
Der Isolationsspezialist hat viel zu tun. Auch die Energiewende sorgt für zusätzliches Geschäft. Der Drei-Schicht-Betrieb ist in den meisten Bereichen die Regel. Besuch bei der Nachtschicht.

Zur Begrüßung singt neben dem Parkplatz von Pucaro in Roigheim, ja, die Nachtigall. Es liegt ein undefinierbarer Geruch in der Luft, erinnert ein wenig an feuchte Kartoffeln. "Ja, das ist die Zellulose. Wenn das Wetter umschlägt, dann ist es besonders intensiv", sagt Mark Czernuschka, ein Pucaro-Urgestein. Jan Riekert ergänzt: "Das ist typisch für Papierfabriken." Der gebürtige Südafrikaner hat sein Berufsleben lang mit Holz und Papier zu tun. Seit Anfang 2022 ist er hier Geschäftsführer. Über fehlende Auslastung kann er derzeit nicht klagen. Vier von sechs Produktionslinien laufen rund um die Uhr.
Ein Gelände mit langer Geschichte
"Schaffsch du jetzt auch nachts?", ruft Ronald Kraus überrascht seinem Kollegen Czernuschka zu. Kraus ist Elektriker und Teil der schnellen Eingreiftruppe, wenn irgendwo eine Maschine steht. Zügig läuft er weiter. "Irgendwas ist immer", sagt er nur und verschwindet mit seinem Wägelchen in einem der vielen Gebäude auf dem Gelände.
Hier wird seit dem 17. Jahrhundert Papier hergestellt. Heute ist die Produktion aus Roigheim ausnahmslos zur Isolation von elektrischen Bauteilen gedacht. Pucaro hat sich damit weltweit einen Namen gemacht, ist einer dieser kleinen Riesen in der Nische. Ob in den USA oder in Asien, "wer mit Transformatoren oder Generatoren zu tun hat, der kennt Pucaro", sagt Czernuschka. Von daher blieb der Name auch unter ABB erhalten, die die Firma 1989 gekauft hatten. Und er bleibt auch jetzt unter dem japanischen Hitachi-Konzern, zu dem Pucaro seit 2020 gehört.
Prinzipiell ist es eine ganz normale Papierproduktion
Für den Einsatzzweck als Isolator kommt es auf die Reinheit an. Der Grundstoff ist Zellulose, die fertig in Ballen á 200 Kilogramm angeliefert wird. 250 Stück davon verarbeitet Pucaro am Tag. "Was beim Anlauf der Maschinen übrig bleibt, wird übrigens alles wieder verwendet", sagt Czernuschka.
Die Technik bei der Papierproduktion ist im Prinzip immer die gleiche. Zellstoff wird gemahlen, in Wasser zu einem Brei aufgelöst, der wird in auf Sieben verteilt und dünngewalzt, anschließend gepresst und getrocknet. Unterbrochen werden sollte der Vorgang allerdings nicht. Deshalb laufen die Papiermaschinen in der Platten- wie auch in der Rollenpressspan-Produktion fast ganzjährig durch. "Nur an hohen Feiertagen und zur Instandhaltung werden sie abgestellt."
"Die Bezahlung ist nicht schlecht"
Entsprechend viele Mitarbeiter sind in den Hallen auch nachts unterwegs. Holger Reinhart etwa transportiert Stapel von ein bis acht Millimeter dicken Platten mit seiner "Ameise". "Ich arbeite gerne auch mal nachts", sagt der Mann aus Adelsheim. "Man kann dann auch tagsüber mal etwas erledigen, das ist nicht schlecht." Mit der Wechselschicht komme er besser zurecht als mit wochenweiser Nachtschicht. Und ja, die Zuschläge könne er natürlich auch brauchen. "Die Bezahlung ist nicht schlecht."
Rund 20 bis 25 Mitarbeiter sind in den verschiedenen Bereichen nachts tätig. Insgesamt arbeiten für Pucaro nun 240 Mitarbeiter in Roigheim, etwas mehr als vor der Übernahme durch Hitachi. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass der Produktionsstandort in der Slowakei geschlossen wurde. Ein Werk in Polen und dieses in Roigheim profitierten davon. Allerdings sei nur ein Mitarbeiter aus der Slowakei dauerhaft nach Roigheim umgezogen. Zu weit ist wohl die Distanz zu den Familien, vermutet Czernuschka.
Mit weiteren Mitarbeitern könnte auch mehr produziert werden
Dabei hätte Pucaro die Leute gut gebrauchen können. "Fachkräfte zu bekommen ist hier draußen nicht einfach." Es fehlt an Maschinenbedienern, an sonstigen Produktionsmitarbeitern. Sobald sie gefunden sind, könnte die Produktion in einigen Bereichen noch weiter hochgefahren werden, erläutert Jan Riekert.
Ansonsten ist natürlich auch vieles automatisiert worden. Die Prozessleitsysteme bilden alles ab, messen und überwachen Qualität, Gewicht, Feuchtigkeit. Zudem waren in manchen Bereichen wie bei den Formteilen früher mehr Mitarbeiter beschäftigt. Zu Spitzenzeiten arbeiteten 450 Menschen für die Firma. Doch das ist lange her.
Mark Czernuschka selbst hat vor 43 Jahren mit einer Lehre als Papiermacher angefangen, war später unter anderem in der technischen Kundenbetreuung. "Da habe ich viel von der Welt gesehen, das war schon interessant", sagt der 60-Jährige. Heute ist er "Operational Excellence Manager" und für die Prozessoptimierung in allen Bereichen zuständig - in der Regel allerdings tagsüber. Die nächtliche Führung jetzt ist auch für ihn außer der Reihe. "Es ist ruhiger, das ist auch schön."
Hallen aus der Vorkriegszeit
Die Hallen liegen im Dunkeln. Auch der alte Trockenschuppen, der Czernuschka zufolge noch aus Vorkriegszeiten stammen müsste. Inzwischen hat darin die Kantine Platz gefunden. Auch dort ist nur eine Notbeleuchtung zu erkennen. Nächste Halle. Hier wird geklebt und beschichtet. "Die Lösemittel werden abgesaugt, verbrannt, und mit der Wärme wird dann der Trockner beheizt", erzählt Czernuschka. Trotzdem liegt ein Lösemittel-Geruch in der Luft. Das sei aber unbedenklich. Man liege um ein Vielfaches unter den maßgeblichen Werten.
Die Produkte, die hier entstehen, kommen in den exotischsten Bereichen zum Einsatz. "Das hier ist beispielsweise eine Stanzschweißunterlage für Blutplasmabeutel." Ein weiteres Team kümmert sich in dieser Nacht um Matten und Platten aus glasfaserverstärktem Kunststoff, aus dem Muttern, Stangen, Halterungen gefräst werden.
Der Umsatz ist zuletzt kräftig angestiegen, auch wegen der Inflation, und liegt bei über 50 Millionen Euro. Genaue Zahlen nennt Riekert allerdings nicht. Das Unternehmen profitiere derzeit übrigens in vielfältiger Weise von der Energiewende. Ob Windkraftanlagen oder Umspannwerke für neue Übertragungsnetze, Isolationsmaterial braucht es immer. Wie wichtig neue Energiequellen sind, spürt das Unternehmen selbst. Das Gas für die Trocknungsanlagen muss inzwischen teuer bezahlt werden.
Geschichte
Die Geschichte von Pucaro reicht mindestens bis ins Jahr 1667 zurück. Damals baute ein gewisser Jobst Rödter die obere Mahlmühle in Roigheim in eine Papiermühle um. 1872 kaufte ein Christian Authenrieth die Papiermühle. Diese blieb mehr als 100 Jahre im Besitz der Familie, die sich auch für die Gemeinde einsetzte. Ihr zu Ehren wurde die Gemeindehalle auf "Authenrieth-Halle" getauft. 1989 kaufte der schwedisch-schweizerische Konzern ABB das Unternehmen, das mit Isolatoren unter dem Produktnamen Pucaro - kurz für Pressspan- und Cartonagenfabrik Roigheim - bekannt geworden war. Pucaro wurde zum Firmennamen. 2020 ging das Unternehmen mit Teilen der ABB an den japanischen Mischkonzern Hitachi.